Alkoholismus unter Politikern:Unter Druck und an der Flasche

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Früher galt der Bundestag bei manchem als Alkoholikerversammlung, heute wird übermäßiger Alkoholkonsum eher geächtet. Trotzdem haben viele Politiker ein Suchtproblem - wie der CDU-Abgeordnete Schockenhoff, der sich vor kurzem zu seiner Abhängigkeit bekannte. Und daran ist auch der Wähler schuld.

Florian Fuchs und Andreas Nefzger

Ein bisschen wankte, noch viel mehr lallte Detlef Kleinert, als er vor das Parlament trat. Es waren eher dröge rechtspolitische Fragen, über die er sprach, die Abgeordneten hatten trotzdem Spaß. Ganz offensichtlich war der FDP-Politiker ordentlich beschwipst, und als er dem Plenum mit schwerer Zunge dann auch noch "nachhaltig eingeschränkte Aufnahmefähigkeit" bescheinigte, brüllten die Zuhörer vor Lachen.

Lieber in Therapie: Der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff möchte sich von seiner Alkoholkrankheit heilen lassen. (Foto: AFP)

Kleinert ist ein bekannter Fall, der Grüne Joschka Fischer nannte den FDP-Abgeordneten "den schwankenden Teil der Koalition". Das Video seines Auftritts aus dem Jahr 1994 bringt es im Internet auf imposante Klickzahlen. Doch Kleinert, seit 1998 nicht mehr im Parlament, ist nicht das einzige Beispiel für Politiker, die öfter mal zur Flasche greifen. Erst vergangene Woche ging Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff an die Öffentlichkeit und erklärte: "Ich bin alkoholkrank." Nun will er sich therapieren lassen.

Keine Statistik zeigt, wie viele Politiker ein Alkoholproblem haben. Etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland sind laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung alkoholabhängig. 9,5 Millionen Menschen trinken mehr als ihrer Gesundheit guttut. Aber Politiker, da sind sich Experten einig, sind besonders gefährdet, weil sie gewaltigem Stress ausgesetzt sind. "Das kann die Entwicklung einer Suchterkrankung fördern", sagt Götz Mundle.

Kamillentee im Steinkrug

Der Chefarzt der Oberbergklinik Berlin/Brandenburg hat selbst schon suchtkranke Politiker betreut. Die Verantwortung der Entscheidungsträger, der Termindruck, die häufige Trennung von der Familie, die Erwartungen der Bürger, die Beobachtung durch die Medien - "es ist eine echte Herausforderung, das als Privatmensch zu überleben", sagt Mundle. Alkohol könne in dieser Situation dazu dienen, kurz den Druck zu vergessen und abzuschalten - oder einfach einzuschlafen.

Im Vergleich zu früher jedoch, das sagt nicht nur Peter Altmaier, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, "hat sich einiges geändert". In den übrigen Fraktionen sieht man das ähnlich. Früher lallte Franz Josef Strauß mehr als einmal in die Kamera, über Willy Brandts Trinkgewohnheiten gibt es viele Geschichten.

Als Joschka Fischer 1983 für die Grünen ins Parlament einzog, war er schockiert. "Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt", schimpfte er.

"Heute ist die Politik nicht mehr so männerdominiert, der Alkohol ist mehr geächtet", sagt die Drogenbeauftragte der SPD, Angelika Graf. Allerdings hetzen Politiker fast täglich von Veranstaltung zu Veranstaltung, und dann wird oft ein Glas Wein, Prosecco oder Bier gereicht. Die Gefahr ist noch immer groß, dass man beim Volksfestauftritt im Bierzelt versackt.

Wer Apfelschorle bestellt, gilt beim Wähler schnell als ungesellig. Edmund Stoiber ließ sich deshalb Kamillentee in den Maßkrug gießen. Es sah wenigstens so aus, als trinke er Bier.

Ein Vorbild für andere

Schockenhoff erwischte es jüngst bei einem Kreismusikfest in seinem oberschwäbischen Wahlkreis bei Ravensburg. Offenbar angetrunken rammte er beim Ausparken ein anderes Auto und fuhr trotzdem nach Hause. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf - und Schockenhoff outete sich. Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erhofft man sich, dass der einsichtige Umgang des Abgeordneten mit dem eigenen Suchtproblem anderen Alkoholikern als Vorbild dienen könnte.

Seine Fraktionskollegen in der Union hoffen erst einmal darauf, dass Schockenhoff nach der Therapie wieder seiner Arbeit als Außenpolitiker nachgehen kann, ohne auf ewig gebrandmarkt zu sein. "Ich würde mir wünschen, dass die Öffentlichkeit dann auch bereit ist, ihn wieder zu akzeptieren", sagt Fraktionskollege Altmaier.

Die Bereitschaft in den anderen Parteien, bald wieder mit Schockenhoff zusammenzuarbeiten, ist durchaus vorhanden. "Es ist gut, dass er sich in Therapie begibt", sagt die SPD-Abgeordnete Graf. Damit es in Zukunft gar nicht mehr soweit kommt wie bei dem CDU-Politiker, fordert sie, eine psychologische Anlaufstelle für Bundestagsabgeordnete einzurichten. "Damit würden viele Probleme schon frühzeitig gelöst", sagt Graf.

© SZ vom 15.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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