Süddeutsche Zeitung

AGG-Prozess:Billige Diskriminierung

Millionenentschädigungen wie in den USA wird es für deutsche Diskriminierungs- und Mobbingopfer nicht geben. Das zeigt das Urteil im Fall Sule Eisele, die schwanger war und degradiert wurde.

Roland Preuß

Sule Eisele lacht - und sagt: "Ich bin stinksauer." Die 39-Jährige steht im Saal 118 des Wiesbadener Arbeitsgerichts zwischen Kamerateams und grauen Kunststofftischen und weiß nicht so recht, ob sie nun weinen oder auf die nächste Instanz hoffen soll. Arbeitsrichter Jörg Krampe hat ihren Arbeitgeber, die R+V-Versicherung, zu fast 11.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt wegen Geschlechts-Diskriminierung. "Das ist lächerlich, bei dem, was mir angetan wurde", sagt Eisele.

Das Zigfache, eine halbe Million Euro, hatten Eiseles Anwälte gefordert und werfen dem R+V-Konzern vor, die studierte Germanistin im Sommer vergangenen Jahres degradiert zu haben wegen ihrer Schwangerschaft - und ihrer Herkunft. Eisele-Gaffaroglu, wie sie mit vollem Namen heißt, ist Deutsche, wurde aber in der Türkei geboren. Die Versicherungsfachfrau arbeitete bis Frühling 2007 im oberschwäbischen Bad Saulgau und wurde nach der Geburt ihres Kindes in einen Nachbarbezirk versetzt, in dem nach aller Erfahrung nur ein Bruchteil der Versicherungen abzuschließen und deshalb weniger Geld zu verdienen ist.

Das wollte Eisele als Haupternährerin ihrer vierköpfigen Familie nicht mitmachen. Der Fall gilt als Pilotverfahren für Klagen nach dem seit gut zwei Jahren geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Dieses sieht erstmals abschreckende Schadensersatz-Summen für Ungleichbehandlung, etwa wegen des Geschlechts oder der Herkunft, vor. Was das konkret heißt, sollte nun das Arbeitsgericht Wiesbaden klären.

Innerliche Schmerzen

Richter Krampe gestand Eisele zwar zu, dass ihre Versetzung nicht in Ordnung war, doch lehnte er Hunderttausende Euro Entschädigung als übertrieben ab. Diese Entscheidung hatte sich angedeutet. Krampe hatte sich zwar in der Verhandlung Ende Oktober sichtlich Mühe gegeben, keine Miene zu verziehen. Als Eiseles Anwalt Michael Alenfelder jedoch erläuterte, warum ein Milliardenkonzern wie die R+V für Diskriminierung spürbar bestraft werden müsse, da zog der Richter den Mund breit und senkte den Kopf, als hätte er innerliche Schmerzen.

Er blieb bei den Summen, die in vielen Arbeitsgerichtsverfahren üblich sind: Drei Monatsgehälter; im übrigen kann Eisele laut Urteil auf ihre alte Stelle zurückkehren. Deshalb könne kein Schaden für die kommenden Jahre oder gar Jahrzehnte geltend gemacht werden. Eisele freilich hält eine Rückkehr für nahezu unmöglich, das Verhältnis zur R+V ist offenbar zerrüttet.

Der Anwalt des Unternehmens, einer der großen Versicherer Deutschlands, spricht zufrieden davon, dass die 11.000 Euro für seinen Mandanten "natürlich" verschmerzbar seien. Die amerikanische Praxis mit Millionen-Entschädigungen für Diskriminierung von Frauen oder für Mobbingopfer wird es damit in Deutschland vorerst nicht geben. "Dieses Urteil gibt das Zeichen: freie Diskriminierung für freie Arbeitgeber", klagt Eiseles Anwalt Alenfelder.

Auf der nächsten Seite: Warum das Gerichtsverfahren die grundverschiedenen Sichtweisen, die beim Thema Diskriminierungsverbot aufeinanderprallen, illustriert.

Wickeltisch statt Firmenwohl

Das Gerichtsverfahren illustrierte die grundverschiedenen Sichtweisen, die beim Thema Diskriminierungsverbot aufeinanderprallen. Für den Versicherungsanwalt Ulrich Volk war die Versetzung eine "ganz normale arbeitsrechtliche Maßnahme". Einer Frau, die schwanger geworden sei und monatelang aus dem Job aussteige, dürfe eine andere Stelle zugewiesen werden. Im Klartext: Schwangerschaft hin oder her - das ist das Recht des Chefs, wenn der Umsatz in Gefahr ist.

Eiseles Anwälte dagegen sehen hier ein besonders krasses Beispiel für die vielen Ungleichheiten im Arbeitsleben, die es abzuschaffen gilt: Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, bessere Karrierechancen für Männer oder eben Degradierung, weil ein Kind unterwegs ist und deshalb vermutet wird, die Mitarbeiterin werde sich nun am Wickeltisch aufreiben statt zum Wohle der Firma.

Sule Eisele hat einen hohen Preis bezahlt für dieses Urteil. Das zermürbend langsame Verfahren führte sie im Sommer zwei Monate in eine Klinik. "Ich trau' mich kaum mehr alleine raus", sagt sie. Mit ihrer Klage steht sie jedoch nicht mehr alleine. Ein Kollege und ein Ex-Mitarbeiter der R+V haben inzwischen ebenfalls auf Diskriminierung geklagt. Eisele selbst will in Berufung gehen.

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SZ vom 19.12.2008/bön
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