Süddeutsche Zeitung

Ärztemangel:Sondereinsatz in Busch und Ödnis

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Die Landflucht der Mediziner ist fatal. Um diesen Trend umzukehren, braucht es jedoch mehr als eine Landarzt-Quote.

Nina von Hardenberg

"Rühmt immer eure große Stadt und lasst ihr Lob erschallen, mein liebes kleines Dörfchen hat mir dennoch mehr gefallen", schrieb der Theologe Martin Miller 1772 in seinem "Lob des Landlebens". Solche inbrünstigen Verfechter der Provinz sind selten geworden. Das Landleben wird zumindest von Hauptstadt-Politikern offenbar eher als Strafe empfunden.

So will Gesundheitsminister Philipp Rösler Ärzten, die sich bereiterklären, aufs Land zu ziehen, einen priviligierten Status geben, wie ihn bislang nur angehende Truppensanitäter genießen, die im Zweifel in den Krieg ziehen müssen. Der Vergleich von Landarzt und Truppenarzt zeigt die Hilflosigkeit des Plans: Solange das Leben auf dem Land als Härte wahrgenommen wird, als Sondereinsatz in Busch und Ödnis, wird es kaum gelingen, Ärzte dafür zu gewinnen.

Dabei muss man Rösler zugutehalten, dass er sich eines dringlichen Problems annimmt: In den ländlichen Regionen werden die Ärzte knapp. Die 120.000 niedergelassenen Mediziner in Deutschland sind im Schnitt 52 Jahre alt. Bald wird sich ein Großteil von ihnen zur Ruhe setzen. Doch schon jetzt finden viele keine Nachfolger.

In einer älter werdenden Gesellschaft spielen die niedergelassenen Ärzte aber eine immer wichtigere Rolle. Denn gebrechliche Menschen schaffen oft den Weg bis zu der Praxis im Nachbarort nicht mehr. Sie sind auf Arztbesuche angewiesen. Die Mediziner in unterversorgten Regionen fahren schon heute lange Strecken über das Land, und sie betreiben Zweigpraxen in Nachbardörfern.

Ohne Nachwuchs wird es aber bald Landstriche geben, in denen kein Arzt mehr kranke Menschen zu Hause aufsucht. In dieser Situation ist ein bevorzugter Studienzugang für angehende Landärzte eine schöne Idee. Das Problem lösen wird er nicht. Es muss vielmehr darum gehen, beides - den Arztberuf und das Landleben - wieder attraktiver zu machen.

Ärztevertreter haben sich schon einiges einfallen lassen, um junge Menschen aufs Land zu locken. Es gibt Zuschüsse für Praktika in Hausarztpraxen genauso wie Hilfen bei Praxisgründungen. In Thüringen übernahm die Kassenärztliche Vereinigung selbst eine Praxis, für die sich kein Nachfolger finden ließ, und stellte eine Ärztin an. Künftig werden auch Kliniken und niedergelassene Ärzte stärker zusammenarbeiten müssen.

Am Ende aber ist die Landflucht kein Problem der Mediziner alleine. Regionen, in denen die Ärzte wegbleiben, haben häufig zuvor schon einen Großteil der jungen Bevölkerung verloren. Erst ziehen die Menschen auf Suche nach Arbeit weg, dann schließen die Schulen, Kindergärten und Dorfkneipen - und wen wundert es, dass sich dann auch kein Arzt mehr niederlassen will.

Um diesen Trend umzukehren, braucht es aber mehr als eine Landarztquote. Es braucht Netzwerke auf lokaler Ebene, die die Jobs und damit auch die Menschen und das soziale Leben in der Region halten. Dann werden sich auch wieder glühende Verfechter des Landlebens finden.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2010
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