Ärzte in Deutschland:Der Alltag im Osten

Lesezeit: 2 min

Zwölf Stunden harte Praxis.

Heidrun Graupner

(SZ vom 31.5.2002) Anke Müller möchte nicht woanders leben. Seit 1981 wohnt sie in der kleinen Stadt Strasburg, hier hat sie ihre Wurzeln, wie sie sich ausdrückt. Jeder kennt die Frau Doktor für Allgemeinmedizin, und sie kennt jeden. "Aber man muss es mögen", sagt Anke Müller über ihr Leben in Strasburg, wo nicht gerade viel los ist.

In ihrer Praxis ist das anders. Da ist meistens sehr viel los, und meist fängt Anke Müller um 7 Uhr morgens an und hört um 7 Uhr abends auf, nach den Hausbesuchen und der Büroarbeit. Dass dies mit einer Familie möglich sei - die beiden Kinder machen gerade Abitur - liege an der intakten Partnerschaft, sagt sie. Manchmal aber fällt ihr der lange Tag doch schwer, etwa wenn sie Bereitschaftsdienst hatte, nachts dreimal zu einem Hausbesuch fortfahren musste und dann um 7 Uhr früh wieder die Praxis aufsperrt. Oder wenn sie am Wochenende einen Notfall behandeln muss, weil das nächste Krankenhaus zwanzig Kilometer entfernt ist. Dann denkt sie, dass es den Hausärzten, in Strasburg und anderswo auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern, auch nicht viel anders geht als den Krankenhausärzten mit ihren viel kritisierten langen Arbeitszeiten.

Nur ein Neuzugang

Zehn Ärzte praktizieren zur Zeit in Strasburg, fünf Allgemeinmediziner, zwei Praktische Ärzte, ein Gynäkologe, ein Orthopäde und ein Neurologe. Zwei von ihnen sind über sechzig Jahre alt, einer wurde gerade 60. Anke Müller gehört mit 45 zu den jungen Ärzten. "Wenn vier Ärzte aufhören, dann können wir das nicht mehr auffangen", sagt sie. 7000 Menschen leben im Einzugsgebiet von Strasburg, aber es kommen auch Patienten aus Brandenburg in die kleine Stadt in der Region Uecker-Randow. Nur eine einzige Ärztin hat sich seit der Wende hier neu niedergelassen; alle anderen waren schon da, zwei sind seither gestorben.

Anke Müller hat nach der Wende, als die Poliklinik geschlossen wurde, mit Krediten eine Praxis aufgemacht, zusammen mit einer Kinderärztin, die gleichzeitig als praktische Ärztin arbeitet. So können sie sich gegenseitig vertreten, wenn eine in Urlaub fahren will oder einmal selbst krank ist. Doch länger als vier Wochen halte man es nicht aus, die doppelte Zahl von Patienten zu behandeln.

Über den langsam bedrohlich werdenden Ärztemangel in Mecklenburg- Vorpommern weiß Anke Müller besonders gut Bescheid, da sie in der Ärztekammer des Landes mitarbeitet - an ein oder zwei Tagen im Monat, als Freizeitvergnügen sozusagen. Nirgendwo auf dem Land wollen sich Ärzte niederlassen. Müller berichtet von einem Arztehepaar in Törpin bei Demin , das 70 und 67 Jahre alt ist. Sie können nicht aufhören, weil sonst kein Arzt mehr im Ort wäre. So schlecht sei Strasburg noch nicht dran, sagt sie.

Vor kurzem allerdings wurde deutlich, wie schnell sich das auch in ihrer kleinen Stadt ändern kann. Ein Kollege wurde schwer krank und musste aufhören, seine Frau, ebenfalls Ärztin, praktiziert seither nur noch reduziert. "Wir kompensieren das durch mehr Arbeitsaufwand." Die Belastung spüren alle Ärzte in Strasburg, und Anke Müller spricht schon vom Burnout-Syndrom, dass sich viele wie ausgebrannt fühlen. Noch mehr Arbeit dürfe nicht dazu kommen. "Man kann die Patientenzahlen nicht erhöhen, ohne zu pfuschen. Und das will ich nicht."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: