Abitur:Abschluss für die Masse

Nach dem Abi kommt die Konkurrenz: Schulabgänger wetteifern um Studienplätze. Jeder zweite Studiengang hat einen Numerus clausus verhängt, anderswo gibt es Tests und Vorstellungsgespräche.

Tanjev Schultz

Ständig kreisen die Gespräche um die Abitur-Prüfungen, um Noten und den Numerus clausus an der Uni, schon seit Anfang des Jahres geht das so. Allmählich, sagt David Bode, gehe ihm das "auf den Keks". Nach den Osterferien beginnt für den Gymnasiasten aus Halle die heiße Abi-Phase, in vier Fächern muss er dann Klausuren schreiben. Sein Abitur werde "wohl nicht blendend", sagt der 18-Jährige, dem die Schule aber keineswegs schnuppe ist. Bode ist Landesschulsprecher und als solcher hat er gleichsam von Amts wegen täglich mit Schulpolitik und mit den Nöten seiner Mitschüler zu tun.

Abitur: Abschluss für die Masse

Erst Pauken fürs Abi - und was kommt dann? Abiturientinnen des Mariengymnasiums Kaufbeuren bei ihrer Abirüfung im Fach Deutsch.

(Foto: Foto: dpa)

Die Abiturienten in Sachsen-Anhalt stehen in diesem Jahr unter besonderem Druck, denn wegen der auf acht Jahre verkürzten Gymnasialzeit beenden gleich zwei Jahrgänge die Schule und konkurrieren anschließend um Ausbildungs- und Studienplätze. "Viele haben Angst, keinen Platz zu bekommen", sagt Bode. Auch in anderen Bundesländern wird es bald doppelte Abiturjahrgänge geben, zum Beispiel im kommenden Jahr in Mecklenburg-Vorpommern, 2009 im Saarland, 2010 in Hamburg und 2011 in Bayern und Niedersachsen.

Auch ohne doppelte Jahrgänge ist das Abitur längst zu einem Abschluss für die Massen geworden. Im vorigen Schuljahr erwarben rund 284.000 Jugendliche die allgemeine Hochschulreife, 17 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. In wohlhabenden Vierteln, zum Beispiel in München-Schwabing, besuchen mehr als die Hälfte eines Jahrgangs das Gymnasium, das sich im wahrsten Sinne des Wortes zur neuen "Hauptschule" entwickelt. Bundesweit legt allerdings nur jeder Vierte das klassische Abitur am Gymnasium ab; stark steigt dafür die Zahl derer, die an beruflichen Schulen die Fachhochschulreife erwerben. Insgesamt gelten also etwa 40 Prozent eines Jahrgangs als Abiturienten.

Während die OECD jedes Jahr wieder mahnt, Deutschland müsse noch wesentlich mehr Abiturienten und Akademiker ausbilden, um wettbewerbsfähig zu bleiben, klagen Professoren über die mangelnde Studierfähigkeit vieler Abiturienten. Diese müssen oft schmerzlich erfahren, dass ihr Schulabschluss immer weniger wert ist. Auf das Abitur, zumal auf ein mittelmäßiges, kann sich niemand mehr etwas einbilden. "Es wird doch heute stärker auf die ganze Person und auf außerschulisches Engagement geschaut", sagt David Bode, der Abiturient aus Halle.

Abschluss für die Masse

Ganz unwichtig sind die Noten freilich nicht: Nur wer ein Einser-Abi schafft, dem öffnen die Universitäten bereitwillig jedes Tor. Alle anderen müssen bei ihren Bewerbungen mit Enttäuschungen rechnen, Warteschleifen drehen oder sich vom Wunschberuf verabschieden. Um den Andrang abzuwehren, haben die Hochschulen über jeden zweiten Studiengang einen Numerus clausus verhängt. Auch an Fachhochschulen (FH) ist es oft nicht leicht, einen Platz zu ergattern. Wer sich zum Beispiel in diesem Sommersemester an der FH in Köln auf einen von 30 Studienplätzen in Wirtschaftsrecht beworben hatte, konkurrierte mit 277 anderen Interessenten.

Das Abitur vorzulegen, damit ist es allerdings oft nicht getan. Viele Hochschulen verlangen mittlerweile Motivationsschreiben, kleine Aufsätze oder standardisierte Test, wie sie früher für Bewerber um einen Medizin-Studienplatz üblich waren. Wer an der Freien Universität Berlin Psychologie studieren möchte, muss künftig einen auf das Fach zugeschnittenen Test ablegen.

Das eröffnet zwar neue Chancen für jene, deren Notenschnitt in der Schule nicht so berauschend war. Doch der Aufwand für Bewerbungen steigt, und die Vielfalt der Optionen ist so groß, dass manchem Abiturienten der Kopf schwirrt, wenn er an seine Zukunft denkt. Abiturienten haben die Wahl zwischen rund 9000 Studienangeboten an mehr als 330 Hochschulen, von den Möglichkeiten im Ausland ganz zu schweigen. Eltern können bei der Auswahl nur selten helfen, ihre eigene Ausbildung liegt zu lange zurück, die Hochschulen und Berufswege haben sich seitdem stark verändert.

Die Kultusminister haben jüngst beschlossen, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS), die bisher nur einen kleinen Teil der Studienplätze vergibt, zu einer Servicestelle umzubauen, die den Stress bei Mehrfachbewerbungen mildern könnte. Nach Meinung des privaten Studien- und Berufsberaters Matthias Trüper müssen sich aber auch die Schulen stärker des Themas annehmen. Es gebe unter Abiturienten eine "tief geprägte Orientierungslosigkeit", sagt der 58-jährige frühere Lehrer. Die Beratung durch die Arbeitsagentur sei oft zu wenig individuell. Und leider seien auch die meisten Lehrer nicht auf der Höhe der Zeit. Wenn Schulen ein Referenzschreiben für eine ausländische Uni ausstellen sollen, reagierten sie hilflos.

Das Abitur habe seine zentrale Bedeutung eingebüßt, sagt Trüper. Heute gehe es darum, genauer hinzuschauen, was ein Jugendlicher kann - und was er will. Das mit Hilfe eines privaten Karriereberaters herauszufinden, ist allerdings nicht billig. Trüper, dessen Berliner Agentur 80 bis 140 Schüler und Studenten im Jahr berät, nimmt Honorare von 1200Euro und mehr.

Auch David Bode aus Halle ist sich über seine Pläne noch nicht im Klaren. Jetzt schreibt er erstmal das Abitur, anschließend könnte ihm ein Politologie-Studium gefallen "oder etwas Soziales". Vielleicht mache er ein Freiwilliges Soziales Jahr. So würde der Abiturient, der im verkürzten Gymnasium nur zwölf Schuljahre bis zum Abschluss braucht, wieder etwas Zeit gewinnen.

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