Sprechen über Gehälter:Nur Fische sind schweigsamer

Geheimsache Gehalt: Wenn es ums Geld geht, werden die Deutschen ganz still - völlig zu Recht, wie Studien zeigen.

Nicole Grün

Über Geld spricht man nicht. Über Gehalt erst recht nicht - besonders in Deutschland. Während in Amerika Jobs gleich mit Gehaltsangabe ausgeschrieben werden, in Schweden jeder die Steuererklärung seines Nachbarn einsehen kann und in Indien Gehaltsgespräche so normal sind wie der Small Talk über das Wetter, redet hierzulande nur jeder Fünfte mit Kollegen über seinen Lohnzettel. Je höher ihre Bezüge, desto schweigsamer werden die Deutschen, ergab eine Befragung von 91.000 Berufstätigen durch das Manager Magazin. Doch woher kommt diese Scheu, darüber zu reden, was man seinem Arbeitgeber wert ist?

Geldbeutel mit Euro-Scheinen, 2001

Niemand will offenlegen, wie viel er wirklich verdient - der Neidfaktor ist zu groß.

(Foto: ddp)

"Wer wenig verdient, schämt sich, und wer viel verdient, will keinen Neid auf sich ziehen", begründet Gehaltscoach Martin Wehrle aus Jork bei Hamburg die deutsche Zurückhaltung. "Außerdem wird uns mit der Muttermilch eingeflößt, dass Geld ein Thema ist, über das man zumindest mit Menschen außerhalb der Familie nicht zu reden hat."

Amerikaner haben diese Hemmungen nicht, was nicht zuletzt mit ihrer Leistungsmentalität zusammenhängt. Wer besser bezahlt wird, arbeitet auch mehr und hat deshalb eine bessere Bezahlung verdient, so sieht man es in den USA. Deshalb schlägt "Besserverdienern kein Neid, sondern Bewunderung entgegen. Wer weniger verdient, sagt: Mensch, wenn der es geschafft hat, dann schaffe ich es auch", sagt Wehrle.

In Amerika werde mehr Leistung in der Regel mit einer Gehaltserhöhung belohnt, sagt auch Christiane Hartnack, Leiterin des Fachbereichs Interkulturelle Studien an der Donau-Universität Krems. "In unseren statischen Strukturen ist das anders." Nämlich oftmals unfair, wie Karriereberater Wehrle sagt. Da bekomme etwa ein Manager, der von einer anderen Firma abgeworben wurde, bereits am ersten Tag im neuen Unternehmen ein besseres Gehalt als ebenso qualifizierte Kollegen, die dem Betrieb schon seit Jahren die Treue halten. Kein Wunder, dass viele Unternehmen oder Beschäftigte so etwas nicht an die große Glocke hängen wollen.

Hartnack hat in ihren Studien festgestellt, dass Gehaltsstrukturen in Deutschland transparenter sind, wenn Leistung zählt und wenn es eine hohe Chancengleichheit gibt. Um die Chancengleichheit aber sei es hierzulande nicht gut bestellt: "Es wird viel gemauschelt, gut bezahlte Jobs gehen nicht an Bewerber mit der besten Qualifikation, sondern an den, der die besten Beziehungen hat."Zum anderen gelte auch: Je konservativer oder undemokratischer die gesellschaftlichen Strukturen in einem Land seien, desto weniger wollten die Menschen über ihr Gehalt reden. Ähnlich schweigsam wie die Deutschen seien daher auch Chinesen oder Osteuropäer.

Das aber ist weniger peinlich, als es auf den ersten Blick aussieht: Ausgerechnet amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass keine Antwort auf die Frage nach dem monatlichen Salär meist die einzig richtige Antwort ist. Denn der Neidreflex ist keineswegs eine exklusiv deutsche Angelegenheit, wie aus der Studie von Forschern der Universitäten Princeton und Berkeley hervorgeht. Die Ökonomen machten sich zunutze, dass der Bundesstaat Kalifornien die Bezüge seiner Staatsangestellten offenlegen muss. Seit drei Jahren kann man in der Online-Ausgabe der Zeitung Sacramento Bee nachlesen, was der Bibliothekar um die Ecke verdient oder dass der Football-Trainer der Universität Berkeley 2009 mit 2,3 Millionen Dollar der höchstbezahlte Staatsdiener war.

Weniger Geld- weniger Leistung?

Doch die hohen Bezüge des Trainers interessierten die meisten Studienteilnehmer gar nicht. 80 Prozent erkundigten sich nach den Gehältern ihrer unmittelbaren Kollegen. Denn das relative Einkommen spielt für die meisten Angestellten eine größere Rolle als das absolute - das wussten schon Ökonomen der ersten Stunde wie Karl Marx und Adam Smith. Nur indem sie sich mit anderen vergleichen, gewinnen Menschen Informationen über sich selbst, meinte der amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger.

Doch nicht immer sind ihnen diese Informationen lieb. So war es bei den amerikanischen Studienteilnehmern, die feststellen mussten, dass sie weniger verdienen als der Durchschnitt der Abteilung: Ihre Zufriedenheit mit Gehalt und Job sank rapide, viele wollten sich nach einer neuen Stelle umsehen. Wer dagegen mehr verdiente als die Kollegen, war deshalb nicht zufriedener.

Ähnliche Erkenntnisse hat auch der Schweizer Ökonom Bruno Frey, der an der Universität Zürich lehrt, gewonnen. "Man gewöhnt sich eben schnell an mehr materielle Güter", begründet er den Umstand, dass ein höheres Einkommen kaum zusätzliche Lebenszufriedenheit bringt. "Wer 10.000 Euro mehr pro Jahr verdient, mag anfänglich zufrieden sein - aber nur solange, bis er oder sie erfährt, dass ein Arbeitskollege 12.000Euro mehr erhalten hat. Dann ist die betroffene Person trotz der Lohnerhöhung sogar weniger zufrieden als zuvor", beschreibt er seine Forschungsergebnisse.

Große Einkommensunterschiede mindern nicht nur die Zufriedenheit, sondern auch die Leistung. Knapp eine Dekade lang analysierten Forscher um Frey die Anzahl der Tore und Torvorlagen sowie die gewonnen Zweikämpfe von 1040 Bundesliga-Kickern. Das Ergebnis: Je größer das Einkommensgefälle im Team, desto schlechter war die Leistung der einzelnen Spieler. Weil sich Managementteams ebenso aus "Stars und Wasserträgern" zusammensetzen, könne man die Ergebnisse der Fußball-Studie auf das Arbeitsleben übertragen, heißt es in der Untersuchung. Eine Gefahr bestehe besonders darin, dass sich unterbezahlte Teammitglieder mannschaftsfeindlich verhielten und versuchten, die Star-Kollegen schlecht dastehen zu lassen, um ihre eigene Position relativ zu verbessern.

Doch Einkommensunterschiede können auch anspornen, sagt Coach Wehrle. Er würde die Gehaltsstruktur von Unternehmen transparent machen - vorausgesetzt, das Vergütungssystem sei fair und nachvollziehbar. "Man sollte demjenigen, der weniger verdient, sagen: ,Wenn du diese Fortbildung machst und jene Leistung bringst, kommst du auf dasselbe Niveau wie dein besser bezahlter Kollege'. Dann wäre es auch motivierend."

Doch Unternehmen mit hundertprozentig gerechten Vergütungssystemen sind ebenso utopisch wie eine Welt ohne Ungerechtigkeit. Daher liegen die Deutschen mit ihrer Haltung ganz richtig: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Und je mehr Gold man hat, desto rigoroser sollte man schweigen.

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