Selbstbewusstsein:Wer sich kennt, hat weniger Angst

Selbstbewusstsein ist wichtig für den beruflichen Erfolg. Aber kann man es trainieren? Ein Seminarbesuch mit feuchten Händen und flauem Magen.

Christine Wollowski

Manager können vieles lernen: Powerpoint, Controlling und BWL, vielleicht sogar Rhetorik, Zeitmanagement und Konfliktkommunikation. Aber gilt das auch für Selbstbewusstsein? Was ist das überhaupt, Selbstbewusstsein? Liegt es außen als sicheres, souveränes Auftreten? Oder innen, wie der Brockhaus behauptet, als "Überzeugung vom Wert der eigenen Person"? Und lässt sich so eine Überzeugung lernen?

Selbstbewusstsein: Selbstbewusstsein lässt sich trainieren. Oder doch nicht?

Selbstbewusstsein lässt sich trainieren. Oder doch nicht?

(Foto: Foto: iStock)

Vorsichtig formulieren die Teilnehmer des Seminars "Selbstbewusstsein", welchen Lernerfolg sie von den zwei Tagen erwarten. "Ich will meine Unsicherheit überwinden", erhofft sich einer. Ein anderer zweifelt: "Ich weiß nicht, was ich hier lernen kann, jedenfalls keine Verhaltensmuster zum Nachahmen - die wirken sowieso nicht überzeugend." Ein Dritter sagt: "Als Ausbund des Selbstbewusstseins werde ich wohl nicht hier herauskommen - aber vielleicht wenigstens wissen: Ich kann an mir arbeiten."

Trainerin Gaby Rockmann war lange in der Werbung tätig, bis sie sich vor Jahren entschloss, lieber mit Menschen zu arbeiten. Nicht eindrucksvolle Körperhaltungen will sie vermitteln, sondern die ersten Schritte auf dem Weg zu echter innerer Sicherheit. Indem sich die Selbstbewusstseins-Schüler besser kennenlernen, Ängste abbauen und dadurch freier werden. Außerdem sollen sie Strategien zur Stressbewältigung entwickeln. Viel Stoff für zwei Tage.

Los geht es mit einer kleinen Lehrstunde in Gruppendynamik, nach den Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingram, die in den fünfziger Jahren das sogenannte Johari-Fenster erfunden haben: Danach besteht das "öffentliche Selbst" aus allem, was ein Mensch der Öffentlichkeit zugänglich macht - nur hier kommuniziert er angstfrei. Ebenso groß wie dieser Bereich sind üblicherweise das "private Selbst", das nur der Person selbst bekannte Geheimnisse enthält, das "unbewusste Selbst", welches Dritten eventuell sichtbare, dem Betroffenen aber unbekannte Elemente birgt.

Zuletzt versteckt der "blinde Fleck" Dinge, die weder dem Betroffenen noch Dritten zugänglich, aber dennoch vorhanden sind. In den beiden eher unbekannten Bereichen, so Rockmann, gebe es viele Stärken und Talente zu entdecken. Wichtiger sei aber zunächst das öffentliche Selbst, denn je größer dieser Bereich, desto freier agiert der Mensch, der nun weniger Energie auf das Verbergen verwenden muss.

Das fühlt sich gut an

Hier setzt die erste Übung an, bei der sich jeder befragt, welche Veränderungen er bei sich selbst in den letzten Jahren beobachten konnte. Wie hat sich das Aussehen verändert? Die Fitness? Die Überzeugungen? Die Ziele? Welche Veränderungen möchte er beibehalten, welche lieber ablegen? Fragen, für die im zunehmend hektischen Berufsalltag oft keine Zeit bleibt. Ihr Sinn: Sich selbst besser auf die Spur kommen - und gleich ein paar Geheimnisse mit anderen teilen, denn jeder bespricht sich nach der kurzen Innenschau mit dem Nachbarn.

Schnell stellt sich heraus: Das geht. Das fühlt sich gut an. Zumindest in dieser angenehm kleinen Gruppe rücksichtsvoller Menschen, die weder Konkurrenzdruck ausüben noch verspüren. Ganz im Gegensatz zum Berufsalltag. Nicht alle Teilnehmer haben sich das Seminarthema selbst ausgesucht, einigen legten Kollegen oder Vorgesetzte wenig charmant nahe: "Mach doch mal ein Selbstbewusstseins-Seminar!"

Positiver Tunnelblick

Die üblichen Stresssymptome kennen alle genau - von den feuchten Händen über das flaue Gefühl im Magen bis zu Schlafstörungen. Neu ist die Idee, dass mindestens eines der Symptome auch positiv zu bewerten sein könnte: der sogenannte Tunnelblick, weil er nicht nur ein eingeschränktes Sichtfeld, sondern auch die vollkommene Konzentration auf die augenblicklich zu bewältigende Aufgabe bedeutet und so etwa möglich macht, nörgelnde Kollegen elegant zu überhören, solange man an einer wichtigen Arbeit sitzt. Auch hilft er, auf Provokationen nicht einzugehen, weil keine Zeit ist. Und das sind bereits die ersten, oft unbemerkten Schritte zu mehr Gelassenheit.

Beinahe wie Gruppentherapie

Am nächsten Tag ist praktisches Handeln gefragt: In 15 Minuten eine Rede vorbereiten, die anschließend vor den Teilnehmern zu halten ist. Thema: Erfolg und Misserfolg. Nach hektischem Kramen und Schreiben, Blicken aus dem Fenster und in die Notizen geht es los. Manche bleiben sitzen, andere stellen sich vor die Gruppe. Alle lassen sich filmen, um ihre Performance hinterher selbst ansehen zu können. Und alle bitten um Feedback.

Hinterher erleichtertes Aufatmen und die verblüffende Erkenntnis: Es ist möglich, dass einer selbst fürchtet, sich auf seinen zitternden Beinen kaum noch halten zu können - und dass die Zuschauer davon nichts sehen. Es ist Tatsache, dass einer sich deutlich versprechen kann - und dass die anderen den Stotterer glatt überhören. Es kann passieren, dass einer selbst meint, Unverständliches zu stammeln - während die anderen einen wohl strukturierten Vortrag hören.

Fazit: Die Fremdwahrnehmung ist deutlich weniger streng als die Eigenwahrnehmung. Manche erkennen auf dem Bildschirm, wie wenig ihre Nervosität begründet ist. Das beruhigt. Andere hingegen lassen sich weder vom Urteil der Zuschauer noch von der Aufzeichnung überzeugen. Egal, wie gut sie wirken - sie fühlen sich nicht gut dabei.

Kein therapeutischer Anspruch

Was jetzt folgt, wirkt manchmal beinahe wie eine Gruppentherapie. Im Prospekt des Veranstalters heißt es zwar klar: "Im Seminar wird kein therapeutischer Anspruch erhoben." Und die Teilnehmer haben vermutlich selbst nichts dergleichen gesucht. Dennoch reden sie gerne und offen über ihre Schwachstellen und Ängste. Sie sind auf der Suche nach "hinderlichen Überzeugungen". Solche Überzeugungen entstehen, wenn eine lange vergangene Erfahrung in einen persönlichen Glaubenssatz übersetzt wird, der anschließend das eigene Handeln blockiert.

Oft stehen solche Glaubenssätze im Weg, wenn einer genau weiß, wie er in einer Situation richtig reagieren sollte - und es trotzdem regelmäßig nicht tut. Auch erfolgreiche Menschen können davon befallen sein. Etwa die junge Teamleiterin, die in Meetings mit älteren, erfahreneren Kollegen immer wieder automatisch verstummt und nur zuhört, anstatt ihre Kompetenz zu demonstrieren.

Ein kleiner Schritt

Wovor fürchtet sie sich? Ablehnung, wie sie es als Kind erfahren hat, wenn sie versuchte, den Erwachsenen etwas zu erzählen, und schroff abgewiesen wurde? Klingt nach Küchenpsychologie? Tatsache ist: Hinderliche Überzeugungen erwachsen gern aus kleinen, unscheinbar wirkenden Situationen. Dann werden sie jahrelang nicht beachtet - aber befolgt. Gelingt es, einem derart automatisierten Mechanismus auf die Spur zu kommen, bedeutet das einen weiteren Schritt zur angstfreien Kommunikation und damit zum Selbstbewusstsein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: