Organisation von Arbeit:Neue Ideen gegen starre Hierarchien

Microsoft eröffnet neue Deutschland-Zentrale

Offene, flexible Büros (wie hier in der neuen Microsoft-Zentrale in München) führen viele Unternehmen ein. Wenn es um den Abbau von Hierarchien und mehr Demokratie geht, sind viele zögerlicher.

(Foto: dpa)
  • Die starren Hiearchien in vielen deutschen Unternehmen werden den Anforderungen von Globalisierung und Digitalisierung nicht mehr gerecht.
  • Mehr und mehr wird daher mit neuen Arbeitsformen experimentiert: offene Büros, Netzwerke statt Hierarchien, Führungskräfte, die auf Zeit gewählt werden.
  • Bei der Umsetzung sind sowohl Chefs als auch Mitarbeiter gefordert.

Von Alexander Hagelüken

Der Direktor hat kein Chefbüro, aber einen Totenkopfring am Mittelfinger. Christian Kuhna trägt keinen Anzug, aber eine gelbe Brille plus Trainingsjacke mit Aufnähern. Damit hebt sich der Adidas-Mann hier auf der Messe "Zukunft Personal" eklatant von all den Pinguinen ab, wie er die Anzugträger nennt. Und genau darum geht es: anders zu sein und es anders zu machen als bisher.

Kuhna erforscht als büroloser Direktor einer Denkfabrik von Adidas moderne Arbeitsformen, weil sie bei dem Sportartikelhersteller anders arbeiten wollen als bisher. Design, Marketing, Finanzen - früher werkelte jede Abteilung isoliert. Jetzt sitzen bei einem neuen Produkt alle von Anfang an am Tisch. "Es wird viel mehr in Teams gearbeitet", doziert der Direktor mit dem Totenkopf. "Hierarchien werden von Netzwerken abgelöst."

"Heute fressen die Schnellen die Langsamen"

Früher entwarfen sie Trikots für die Fußball-WM im stillen Kämmerlein und befassten dann Pinguine in Chefbüros damit. 2014 probierten sie es mit einem Netzwerk: Sie trafen sich mit Bürgern und Adidas-Mitarbeitern aus den Teilnehmerländern, die nichts mit Design zu tun haben. Auf diese Weise fanden sie zum Beispiel heraus, wie stolz die Russen auf den Raumfahrer Jurij Gagarin sind, den ersten Menschen im All. Das Fußballtrikot mit der Anspielung auf den Nationalhelden verkaufte sich dann hervorragend.

Die Russland-Episode zeigt, welche Bewegung gerade deutsche Unternehmen erfasst. Wer sich auf der Kölner Personalmesse ein paar Tage mit Managern und Forschern unterhält, spürt die Unruhe ob des rasanten Wandels in der globaldigitalen Ära. "Früher haben die großen Firmen die kleinen gefressen", erklärt Direktor Kuhna. "Heute fressen die Schnellen die Langsamen. Die Kunden erwarten ständig Neues."

Das neue Zeitalter fordert deutsche Unternehmen besonders, warnt der BWL-Professor Benedikt Hackl von der Hochschule Baden-Württemberg: "Digitalisierung und Globalisierung bedrohen ihre klassischen Wettbewerbsvorteile." Hackl sagt: Die Deutschen bauen ihre Firmen streng hierarchisch wie Maschinen auf, in denen Mitarbeiter wie Rädchen ineinandergreifen. So produzierten sie stets effizienter als die Konkurrenten. Doch in der neuen Ära, in der bald Kleinstfirmen Turnschuhe aus dem 3D-Drucker rauslassen, bedeutet diese Effizienz immer weniger.

Künftig zählen Ideen

Um zu überleben, zählen künftig vor allem Ideen. Doch für Ideen lässt die streng hierarchische Organisation vom Typ Maschine traditionell zu wenig Raum.

Bei einem Treffen von 800 Informatikern fragte Hackl kürzlich, wer in seiner Firma schon mal eine Idee für sich behalte. Sehr viele Hände gingen hoch. Das erlebt er oft. Mitarbeiter denken, der Chef könne ohnehin nichts mit ihren Vorschlägen anfangen. Und Chefs lassen Vorschläge gerne versanden. Weil sie denken: Wie stehe ich da, wenn die gute Idee von einem Mitarbeiter kam und nicht von mir?

Um innovativer zu werden, experimentieren deutsche Firmen nun herum: Offene Bürolandschaften, weniger Hierarchien oder neue Formen der Bezahlung. Idealerweise hilft das nicht nur der Firma zu mehr Umsatz, sondern auch Mitarbeitern zu mehr Freude am Job, weil sie mehr mitreden können.

Vorzimmer und Meeting? Abgeschafft!

Wer wie mit wem redet, kann über das Schicksal von Ideen entscheiden. Christian Kuhna arbeitete lange bei Siemens. Damals wäre er nicht nur mit dem Totenkopf an seinem Finger angeeckt. Auch die Kommunikation ist bei Adidas anders, sagt er. "Man muss nicht über x Vorzimmer gehen, man trifft sich und bespricht es." Kuhna gab vor Jahren sein Büro auf und setzte sich in die Nähe der Bühne, auf der regelmäßig Außenstehende vortragen, für alle Mitarbeiter offen. Auf diese Weise sehen ihn ständig Kollegen und besprechen sich mit ihm. Klassische Meetings schaffte er einfach ab.

"Die beste Idee zählt, egal welchen Titel einer hat", verkündet er. Im Firmen-Intranet schrumpften die üblichen Konzerninfos. Jetzt kann jeder auf einer digitalen Pinnwand posten - und jede Abteilung fragen, wie ein Produkt ankommt. Neuerdings chatten Mitarbeiter regelmäßig mit dem neuen Chef Kasper Rorsted. Die Idee dazu hatte: eine Praktikantin.

Wie sehr sie bei Adidas wirklich anders arbeiten als bisher? Das können sie im Moment wohl nur selbst beurteilen. Professor Hackl hat untersucht, wie viele deutsche Firmen neue Arbeitsformen einführen - und was am meisten Umsatz und Zufriedenheit der Mitarbeiter bringt. Das Ergebnis: 70 Prozent der Befragten haben oder planen offene Bürolandschaften. "So was kann man wunderbar vermarkten und es gibt keine Widerstände", ätzt er. Hierarchien abzubauen und Mitarbeiter mehr entscheiden zu lassen, sei schwieriger, bringe aber viel mehr. Zu solchen Änderungen ringt sich jedoch gerade einmal ein Viertel der Firmen durch.

Der Elefant lernt tanzen

Jens-Knut Fabrowsky von der Bosch-Sparte "Automotive Electronics" wirft das Bild eines Elefanten auf die Leinwand in der Messehalle 2.2. "Auch wir sind groß und träge", sagt der Vorstand. In Reutlingen müssen sie sich wie Elefanten vorgekommen sein, als Tesla Elemente für seine Elektroautos bestellte. Die Entwicklung dauere drei Jahre, antworteten sie. Tesla verlangte die Lieferung binnen neun Monaten. "Der hier ist auch so", Fabrowsky zieht sein rotes iPhone aus der Hosentasche. Kunde Apple verlangt Lösungen binnen einer Woche.

Und Bosch? Weil die Schnellen die Langsamen fressen werden, lernt der Elefant jetzt tanzen.

Bosch startete einen Campus, bei dem Chefs über Monate nachdenken und lernen, wie Führung aussehen könnte. Dazu gehören Meditationskurse. Weil Meditieren lehrt, in sich reinzuhören und auf Mitarbeiter einzugehen, was in der Mailwelt von heute eher schwieriger wird. Anfangs guckten die Chefs reichlich befremdet, wenn sie die Kissen auf dem Boden liegen sahen.

Fabrowsky ist einer, der offen sein möchte. "Wir wollen weg von der Hierarchie." Er trägt keinen Totenkopf, aber mintgrüne Turnschuhe. "Ich ziehe jetzt an, was mir gefällt." Er habe gelernt, mit Mitarbeitern auf Augenhöhe umzugehen. Wenn er früher eines der Werke in aller Welt besuchte, bekam er stundenlange Präsentationen im Konferenzraum. "Jetzt rede ich mit Teamführern. Mit denen habe ich früher nie geredet. Die waren sieben Hierarchieebenen weg." Fabrowsky erzählt begeistert, welche Ergebnisse die neue Offenheit bringt. Da kommt ein Produktionsleiter auf ihn zu, dessen Team nun Fehler auf Memorykarten pinnt. Um ständig durchzuspielen, wie sich Fehler vermeiden lassen. Auch das mit den neun Monaten für Tesla bekamen sie hin.

70 Prozent

der befragten Firmen wollen offene Bürolandschaften einführen, damit ihre Beschäftigten innovativer werden. In der gleichen Untersuchung zeigte sich: Viel weniger Unternehmen rütteln an den Hierarchien. Dabei bringt das auch betriebswirtschaftlich viel mehr.

Fabrowsky räumt aber ein, dass es genauso viele Hierarchieebenen gibt wie zuvor. "Wir trauen uns nicht, Kästchen umzumalen." Die Kästchen aus dem Organigramm gäben den Beschäftigten Sicherheit. Er umgeht einfach die Hierarchie, indem er Mitarbeiter direkt anruft, damit sie ein Problem lösen. Ist das schlau? Oder inkonsequent? Und damit nur eine Scheinverbesserung?

Chefs, die nicht loslassen - und Mitarbeiter, die nicht ranwollen

Der Personalprofessor Stephan Fischer von der Hochschule Pforzheim beobachtet Firmen, bei denen Mitarbeiter selbständiger und verantwortlicher werden sollen. Fazit: Es gibt zwei Hindernisse. Chefs, die nicht loslassen. Und Mitarbeiter, die nicht ranwollen. Ersteres hatte man sich schon gedacht. Letzteres ist vielleicht weniger überraschend, als es zunächst scheint. Größere Freiheit kann mehr Freude am Job bedeuten, klar. Aber sie ist für Mitarbeiter auch ziemlich anstrengend.

Wie radikal sich Hierarchien verändern lassen, probieren sie bei der Firma Haufe-Umantis. Die entwickelt passenderweise Software, die hilft, Mitarbeiter zu gewinnen und ihre Leistung zu steigern. Die rund 150 Umantis-Leute haben viel zu sagen. So entscheidet ein Team selbst, was ein Neueingestellter verdient. Dafür muss aber erst mal jeder im Team offenlegen, was er verdient. "Das ist in deutschen Firmen die heilige Kuh, die normalerweise keiner schlachtet", sagt Professor Fischer. Die größere Freiheit bei Umantis kostet etwas.

Boss auf Zeit

Marc Stoffel, der einem auf dem Messestand der Firma freundlich die Hand schüttelt, ist ein Boss auf Zeit. Die 150 Umantis-Leute haben ihn 2013 zum Vorstandschef gewählt. Sie haben ihn auch schon einmal bestätigt. Nächstes Jahr könnten sie den 34-Jährigen wieder abwählen. Genauso bestimmen sie andere Führungskräfte. Nach ein paar Minuten Gespräch muss Stoffel aufstehen. Ein anderer hat den Tisch am Messestand reserviert. Vorfahrt für den Boss? Von wegen.

Stoffel sagt: Das Wahlmodell führt dazu, genauer zu kontrollieren, was der auf Zeit Bestimmte in seinem Amt leisten will - und was er dann hinbekommt. Rasantes Wachstum der Firma scheint ihm Recht zu geben. Stoffel will aber nicht schönreden, was eine Abwahl bedeutet. "Das ist dann ein, zwei Monate ein Tal der Tränen." Mit intensiven Gesprächen bekomme man es hin, dass noch kein Abgewählter Umantis verlassen habe.

Stoffel verkauft das Modell sogar als einen neuen Typ Karriere, in dem es nicht mehr darum geht, einen Führungsposten zu erklimmen und ihn mit Messern und Klauen zu verteidigen, statt sich ums Geschäft zu kümmern. Die besten Produktentwickler bei Umantis seien ehemalige Führungskräfte, die nicht mehr angetreten oder abgewählt worden seien. Weil sie alle Seiten kennen, die Entwicklung genauso wie Kunden.

Fachkarrieren bezahlt wie Führungsjobs

Professor Hackl fordert, dass Firmen generell verschiedene Karrierewege bereitstellen sollten. "Die meisten streben einen Führungsjob an, weil sie nur so mehr verdienen. Dadurch verlieren Firmen oft ihre besten Fachkräfte und gewinnen schlechte Führungskräfte." Hackl plädiert für Projekt- und Fachkarrieren, die bezahlt sind wie Führungsjobs. Um das zu finanzieren, müssten die Führungsgehälter sinken. Dann werde es - zum Wohle der Firma - viel mehr Wechsel zwischen den Positionen geben, so wie im Silicon Valley bereits Realität. "Mit Führung verdient eine Firma noch kein Geld, es braucht die Fachkräfte."

Chef-auf-Zeit Stoffel erzählt, bei der ersten Wahl vor drei Jahren hätten andere Manager Umantis für verrückt erklärt. Inzwischen ließen sich Firmen beraten, weil sie ebenfalls experimentieren wollten. "Die deutsche Wirtschaft ist in der Zange. Asien produziert günstiger, die USA sind innovativer. Wer sich nicht ändert, wird keine Rolle mehr spielen." Ein Dax-Konzern, dessen Namen er nicht verrät, wolle demnächst manche Führungskräfte wählen lassen.

Stoffel atmet durch. Eins ist ihm noch wichtig. Die demokratischen Strukturen bescheren Umantis sehr viele Bewerber. "Aber viele verstehen nicht, welche Verantwortung Freiheit bedeutet." Wer mitentscheidet, von dem werden Ideen erwartet: Das ist in allen Firmen so, die neue Arbeitsformen einsetzen. Bei Umantis geht es noch etwas weiter: Das Team darf entscheiden, welchen Bewerber es einstellt. Aber wenn der dann die Erwartungen nicht erfüllt, ist das Team auch dafür zuständig, ihn zu kündigen.

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