Jugendarbeitslosigkeit:Jung, arbeitslos, abhängig von den Eltern

Unternehmen klagen über Fachkräftemangel - aber zahlreiche Jugendliche finden trotzdem keinen Job. Soziologieprofessor Walter Heinz erklärt, welche Folgen Arbeitslosigkeit für Berufsanfänger hat und warum die "verlorene Generation" vielleicht nie den Lebensstandard ihrer Eltern erreicht.

Nicola Holzapfel

Für viele junge Menschen hat die Finanzkrise ganz persönliche Auswirkungen: Sie finden keinen Ausbildungsplatz und keinen zukunftssicheren Job. Die internationale Arbeitsorganisation ILO befürchtet sogar eine "verlorene Generation". Das Magazin des Deutschen Jugendinstituts, Impulse, sprach mit dem Soziologieprofessor Walter R. Heinz von der Universität Bremen über die Folgen für Jugendliche.

Jobparade - arbeitslos

Gefangen in der Arbeitslosigkeit: Zahlreiche Jugendliche finden trotz Fachkräftemangel keine Anstellung.

(Foto: dpa/dpaweb)

DJI Impulse: Welche Folgen hat die Wirtschaftskrise für junge Menschen?

Walter R. Heinz: Verglichen mit anderen Ländern hält sich Deutschland ganz wacker. Die Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen ist angestiegen, aber sie ist dennoch weit unter dem Durchschnitt in der Europäischen Union. In Südeuropa erreicht die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 30 Prozent, auch in Großbritannien liegt sie über zehn Prozent. Es kann jedoch sein, dass die Wirtschaftskrise langfristige Auswirkungen hat, die in Deutschland noch nicht spürbar sind, aber die Lage in den kommenden Jahren verschärfen.

DJI Impulse: Wen hat die Krise besonders getroffen?

Heinz: Nur 40 Prozent der Schulabgänger können in Deutschland eine reguläre Berufsausbildung aufnehmen. Diejenigen, die auf Übergangsmaßnahmen angewiesen sind, haben auf dem Arbeitsmarkt sehr schlechte Einstiegschancen. Um zu wissen, wie sich die Wirtschaftskrise auf die Übergänge in Beschäftigung auswirkt, brauchen wir Längsschnittdaten: Wir müssen dieselben Personen über einen längeren Zeitraum immer wieder befragen. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Großbritannien und den USA planen wir mit dem Deutschen Jugendinstitut eine international vergleichende Studie. Wir wollen die Übergänge vor, während und nach der Krise im Jahr 2008 untersuchen.

DJI Impulse: Es gibt in Deutschland einige staatliche Maßnahmen für Jugendliche, die auf dem Arbeitsmarkt nicht unterkommen.

Heinz: Diese Maßnahmen sind gegenüber betrieblichen Ausbildungen strukturell benachteiligt. Die Chancen, danach in eine einigermaßen stabile Erwerbstätigkeit zu kommen, sind sehr, sehr gering. Für die Teilnehmer ist das nur eine Überbrückung, sie bewerben sich währenddessen weiter. Die Bundesagentur für Arbeit bezeichnet sie als "Altbewerber". Und ihre Zahl steigt. Es gibt Jugendliche, die richtige "Maßnahmenkarrieren" machen und aus dem Teufelskreis nicht mehr herauskommen. Sie werden nur älter, aber die Chance, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden, wird für sie immer geringer. Diese Menschen werden langfristig auf Hartz IV angewiesen sein.

DJI Impulse: Aber die Wirtschaft spricht doch von einem Fachkräftemangel. Wie passt das zusammen?

Heinz: Da besteht eine enorme Diskrepanz. Es liegt an den Auswahlkriterien der Betriebe. Sie sehen auf Olympiareife bei den Bewerbern und wollen bei der Ausbildung Kosten sparen. Wir haben in Deutschland kein innovatives Ausbildungskonzept, das auch schwächeren Jugendlichen die Chance geben würde, gute Fachkräfte zu werden. Wegen der demografischen Entwicklung wird es aber künftig immer weniger Schulabgänger geben. Die Firmen werden bereit sein müssen, auch jene zu rekrutieren, die nicht so gute Noten haben. Das Handwerk wird zum Beispiel gar nicht anders können. Für Jugendliche mit Migrationshintergrund könnte es mittel- bis langfristig Chancen bei Unternehmen geben, deren Geschäftsführer selbst einen Migrationshintergrund haben.

DJI Impulse: Und was ist mit denen, die zurzeit in staatlichen Maßnahmen stecken?

Jugendarbeitslosigkeit, 2003

Trotz Fachkräftemangels finden viele Berufseinsteiger keine Anstellung.

(Foto: DDP)

Heinz: Meine Befürchtung ist, dass sie keine Chancen mehr bekommen. Die Unternehmen werden eher die Jugendlichen ausbilden, die gerade die Schule verlassen.

DJI Impulse: Wie ist es, wenn man schon beim Berufseinstieg erfahren muss, dass man auf dem Arbeitsmarkt nicht gebraucht wird?

Heinz: Es nagt am Selbstwertgefühl, immer wieder abgewiesen zu werden. Je länger Jugendliche in überbrückenden Maßnahmen stecken, desto belastender ist die Situation für sie. Die Ideologie auf dem Arbeitsmarkt ist doch "Gestalte deine Zukunft". Aber um meine Zukunft gestalten zu können, muss ich Chancen haben.

DJI Impulse: Wie sieht die Situation für Hochschulabsolventen aus?

Heinz: Junge Menschen mit Hochschulabschluss haben deutlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Aber die Beschäftigungsbedingungen haben sich für alle in den vergangenen Jahren stark verändert. Sehr viele junge Menschen sind befristet beschäftigt. Das wird auch in den nächsten Jahren nicht anders sein. Selbst der Staat als Arbeitgeber setzt zunehmend auf flexible Arbeitsverhältnisse. Einige Optimisten sagen, das würde dem Lebensgefühl der Jugend entsprechen, und es sei doch interessant, viele unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln - aber dabei übersehen sie einen wesentlichen Punkt: Das deutsche Sozialversicherungssystem ist auf kontinuierliche Beschäftigung ausgerichtet.

DJI Impulse: Werden die Jungen angesichts dieser Entwicklung den Lebensstandard ihrer Eltern halten können?

Heinz: Sie sind in vielen Fällen sogar stärker von ihren Eltern abhängig als je zuvor. Da ihre Beschäftigungsdauer nicht prognostizierbar ist, müssen sie auch ihr Konsumverhalten anders strukturieren. Dazu kommt, dass die Löhne in den vergangenen Jahren gesunken sind. Viele junge Menschen werden untertariflich bezahlt oder stecken in dem prekären Leiharbeitssystem.

Die Folgen von Hartz IV

DJI Impulse: Und dennoch sagten Sie anfangs, dass Deutschland im internationalen Vergleich gut da steht.

Heinz: So schlimm es ist, Hartz IV zu beziehen, man kann davon leben. In den USA dagegen sind arbeitslose Jugendliche auf ihre Eltern angewiesen, auf die Nachbarn, Kirchen und philanthropische Vereine. In Großbritannien gibt es zwar Überbrückungshilfen, aber keine lebenslangen Sozialhilfestrukturen.

DJI Impulse: Ein Leben lang Hartz IV zu beziehen, ist für Jugendliche keine Perspektive.

Heinz: Die Arbeitgeber müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Anstatt zu jammern, dass sie keine Fachkräfte finden, sollten sie lieber Fachkräfte ausbilden. Deutschland hat strukturelle Vorteile, da wir ein funktionierendes Ausbildungssystem haben. Das müssen wir nützen, um die Jugendlichen aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen. Damit die jungen Menschen die Chance haben, selbstständig zu werden und an der Gesellschaft teilzuhaben.

Walter R. Heinz ist Professor emeritus an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), Universität Bremen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen berufliche Sozialisation, Biografie- und Lebenslaufforschung. Das Interview ist dem aktuellen Magazin des Deutschen Jugendinstituts, Impulse, erschienen.

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