Führungsspitzen:Überstunden - Wer kann da schon widerstehen?

Sie machen krank und belasten die Familie. Warum nur machen so viele Arbeitnehmer trotzdem Überstunden und gehen abends nicht heim? Eine Motivsuche.

N. Holzapfel

Lange Arbeitszeiten fördern die Gesundheit und sind ein Geschenk für das Ehe- und Familienleben. Das wäre eine Nachricht, die überraschen und manchen Arbeitgeber erfreuen würde. Stattdessen meldet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua), dass die körperlichen und die privaten Beschwerden mit der Dauer der Arbeitszeit zunehmen. Das ist nicht neu, dennoch sind Überstunden für viele selbstverständlich. Und nicht nur das: Wer endlich daheim ist oder feiertags und während des Urlaubs gar nicht erst in der Arbeit erscheint, steht dennoch zur Verfügung. Jeder zweite ist jederzeit für seine Firma erreichbar.

Sozialer Jetlag: Müdigkeit durch ungünstigen Arbeitsrhythmus

Keiner mag sie, aber jeder macht sie: Überstunden.

(Foto: iStock)

Die Belohnungen dafür muten zweifelhaft an: Notorischen Vielarbeitern drohen Schlafstörungen, Rückenprobleme und Herzbeschwerden, warnt die Baua. Nun ist nicht anzunehmen, dass jemand seinen körperlichen Verfall derart absichtlich befördert. Es muss also Gründe für so ein Verhalten geben. Nur welche?

Vielleicht verbindet viele Beschäftigte eine heimliche und innige Herzensbeziehung zu ihrem Chef? Auch das wäre mal eine überraschende Nachricht: 90 Prozent der Mitarbeiter verspüren eine tiefe Liebe zu ihrem Vorgesetzten und schaffen es deswegen abends nicht, sich pünktlich von ihm zu trennen.

Vielleicht halten sich die Beschäftigten auch alle gegenseitig von der Arbeit ab, so dass die eigentlichen Aufgaben nur in Nachtschicht erledigt werden können? Ein solches Verhalten ist zumindest unter Managern belegt: Die schwedische Wissenschaftlerin Rebecka Arman von der Universität Göteborg begleitete Führungskräfte in ihrem Alltag und stellte fest, dass diese kaum zum Arbeiten kommen. Die meiste Zeit sind sie damit beschäftigt, auf kurzfristige Anforderungen höherer Ebene zu reagieren oder plötzlich auftretende Probleme zu lösen oder in Meetings zu sitzen.

Leider sagt die Studie nichts darüber, wie die Mitarbeiter dieser Manager ihren Tag verbringen. Vielleicht stört ihr Chef sie ständig beim Arbeiten. Vielleicht wollen manche aber auch gar nicht nach Hause. Könnte es etwa sein, dass es viel anstrengender ist, die Kinder ins Bett zu bringen oder sich mit dem Ehepartner zu unterhalten, als alleine am Schreibtisch noch ein paar knifflige "To dos" zu erledigen? Singles wiederum scheuen womöglich die Einsamkeit daheim. Im Büro ist es nicht nur gesellig, es ist auch schön warm. Da lassen sich zu Hause prima Heizkosten sparen, und die Wohnung muss auch nicht so großzügig sein, wenn man sowieso nicht da ist.

Vielleicht geht es aber auch darum, den Anspruch auf den eigenen Arbeitsplatz physisch geltend zu machen, nach dem Motto: Solange ich hier sitze, nimmt mir kein anderer meinen Job weg. Oder es gibt tatsächlich zu viel zu tun.

Das wäre eine gute Nachricht für alle, die in den vergangenen Jahren erfahren haben, wie es ist, wenn zu wenig los ist - noch immer sind 220.000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Doch dann dürfte es sich bei Überstunden nur um ein vorübergehendes Phänomen handeln. Wenn die Wirtschaft brummt, werden schließlich auch bald wieder neue Mitarbeiter eingestellt. Das Problem verschwindet.

Ob der Drang zur Mehrarbeit und ständigen Erreichbarkeit also bald ein Ende findet? Gerne lesen würde man dann folgende Studie: Revival des Feierabends. Immer mehr Beschäftigte machen pünktlich Schluss. Chefs gehen mit gutem Beispiel voran.

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