Berufsausbildung:So alt und wieder Azubi

Unbesetzte Ausbildungsplätze bringen Menschen, die 30, 40 oder 50 Jahre alt sind, auf die Idee, noch einmal Neues zu lernen. Doch es gibt einen Haken - und das ist nicht das Alter.

Von Lea Weinmann

Sie sind oft älter als ihre Ausbilder und drücken die Schulbank mit Menschen, die ihre Kinder sein könnten: In Deutschland gibt es immer mehr Auszubildende im fortgeschrittenen Alter. Mit 30, 40 oder 50 Jahren beginnen sie mit einer Berufsausbildung. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) hat sich die Zahl der Ausbildungsanfänger, die 24 Jahre oder älter waren, innerhalb von neun Jahren fast verdoppelt.

Sie macht mittlerweile knapp zwölf Prozent aus. Etwa 1350 neue Azubis waren 2016 sogar jenseits der Vierzig. Die Zahl ist absolut gesehen zwar gering, doch auch sie hat sich um das Zweieinhalbfache erhöht. Die Auszubildenden in Deutschland werden also älter. Woran liegt das?

"Die Menschen gehen länger zur Schule", sagt Katrin Gutschow, Expertin für Nachqualifizierung am Bibb. "Und es wird Schulabgängern heute nicht leichter gemacht, sich beruflich zu orientieren, weil sie immer hören: Du kannst alles werden." Hinzu kämen mehr Studienabbrecher und Flüchtlinge, die Arbeit suchen. Der Fachkräftemangel spiele ebenfalls eine Rolle.

"Die Betriebe haben sich in den letzten Jahren mehr geöffnet, weil es für sie schwieriger geworden ist, Leute zu finden", sagt Gutschow. Und auch die Arbeitsagenturen hätten erkannt, dass es nachhaltiger ist, Langzeitarbeitslose einen Beruf erlernen zu lassen, "damit sie nicht nach einem halben Jahr wieder vor der Tür stehen".

In vielerlei Hinsicht seien Ältere sehr angenehme Lehrlinge, sie hätten sich schon "ausgetobt" und erschienen am Montagmorgen pünktlich bei der Arbeit, sagt Gutschow. Auch die Lebenserfahrung komme ihnen zugute: "Ältere gehen verantwortungsvoller mit ihren Arbeitsgeräten um, weil sie wissen, wie viel das kostet."

Und je nach Branche könne ihr Alter das Vertrauen der Kunden steigern: "Die meisten Leute wünschen sich bei Fragen etwa zu Geldangelegenheiten einen älteren Berater."

Der Neuanfang zur Lebensmitte - das klingt verlockend, aber die Sache hat einen großen Haken. "Man muss es sich leisten können", sagt die Bibb-Forscherin. Zwar übernimmt das Arbeitsamt in vielen Fällen die Kosten einer Umschulung oder gewährt eine Berufsausbildungsbeihilfe.

Wer aber eine ganz normale Ausbildung machen möchte oder schon eine Umschulung hinter sich hat, der ist überwiegend auf das geringe Ausbildungsgehalt angewiesen. Oft ein Ding der Unmöglichkeit für Menschen, die bereits einen gewissen Lebensstandard gewohnt sind.

Was hilft, sind Förderprogramme wie "WeGebAU" (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen) oder "Zukunftsstarter" der Bundesagentur für Arbeit, die Aus- und Weiterbildungen älterer Lehrlinge finanziell und ideell unterstützen.

Knapp eine halbe Million Arbeitnehmer wurden nach Angaben der Agentur für Arbeit von 2007 bis 2017 im Programm "WeGebAU" gefördert. Die meisten waren zwischen 45 und 54 Jahre alt. "Da brauchen wir aber noch mehr", sagt Gutschow. Darüber hinaus sieht sie Schulungsbedarf in Fragen der Methodik und Didaktik: "Ausbilder und Unternehmen müssen darin geschult werden, wie sie mit älteren Azubis richtig umgehen." Vier Senior-Azubis erzählen, wie es ihnen ergangen ist.

Vom Matrosen zum Erzieher

Helmut Salvatore Hartwich, 54 Jahre

"Als ich 15 Jahre alt war, bin ich als Matrose zur See gefahren. Das lag daran, dass mein Stiefvater sagte: Der Junge soll zur See fahren. Ich hätte lieber Abitur gemacht, aber so bekam ich nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Mit 18 Jahren hatte ich die Ausbildung beendet und bin wieder zurück nach Berlin.

Dort habe ich mich dort mit allen möglichen Jobs durchgeschlagen. Ich war damals schon viel im pädagogischen Bereich aktiv, in Jugendgruppen und als Betreuer im Zeltlager. Zwischendrin war ich auch arbeitslos gemeldet und habe dem Mitarbeiter auf dem Amt gesagt, dass ich Erzieher werden will. Aber dort hieß es, das sei doch ein Frauenberuf. Ich habe das damals nicht hinterfragt - heute würde ich Widerworte geben.

Berufsausbildung: Helmut Salvatore Hartwich fuhr als Matrose zur See, obwohl er eigentlich andere Interessen hatte. Mit fast 50 begann er die Ausbildung zum Erzieher.

Helmut Salvatore Hartwich fuhr als Matrose zur See, obwohl er eigentlich andere Interessen hatte. Mit fast 50 begann er die Ausbildung zum Erzieher.

(Foto: privat)

"Das Amt wollte mich nicht unterstützen"

Dann habe ich mit meiner damaligen Lebensgefährtin eine Familie gegründet und mich als Hausmann um die Kinder gekümmert. Mit 46 Jahren war die Beziehung vorbei, und ich hatte die Chance, einen Neuanfang zu wagen. Mir kam dann wieder die Idee mit dem Erzieher, aber dafür musste ich erst die mittlere Reife nachholen. Das Amt wollte mich dabei nicht unterstützen, weil sich das in meinem Alter ja nicht mehr lohnen würde.

Das kam mir ziemlich merkwürdig vor. Ich bin dann auf den europäischen Sozialfond gestoßen, der mir den Abschluss finanziert hat. Nachdem ich den Abschluss hatte, habe ich wieder ein Programm gefunden, das Projekt "Chance Quereinstieg/Männer in Kitas", das vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Darüber habe ich einen Ausbildungsplatz bekommen. Im vergangenen Juli bin ich fertig geworden und hatte da schon Stellenangebote von mehreren Kitas.

"Wie Goldstaub auf dem Arbeitsmarkt"

Wir Erzieher sind gerade wie Goldstaub auf dem Arbeitsmarkt, wir können uns aussuchen, wo wir arbeiten möchten. Die Leiterin meines jetzigen Kindergarten versteht nicht, warum ich das in meinem Alter noch mache, bei dem ganzen Lärm und Stress. Aber ich sehe das anders: Arbeiten Sie mal am Fließband, in einer Fleischerei oder in der Stanzfabrik - das ist auch nicht lustig! Klar, der Beruf ist anstrengend, aber er macht auch viel Spaß, und ich kann den Kindern zusehen, wie sie sich entwickeln. Inzwischen kann ich mir auch vorstellen, irgendwann als Sozialarbeiter oder Pädagoge in einer Behindertenwerkstatt oder Schule zu arbeiten."

Von der Zahnarzthelferin zur Köchin

Carola Staats, 39 Jahre

"Meinen Schwiegereltern gehörte ein Restaurant in Oederquart nordwestlich von Hamburg. Da bin ich manchmal eingesprungen: Abwasch, Gemüse schnippeln und so weiter. Ich habe eigentlich Zahnarzthelferin gelernt, und der Beruf hat mir auch großen Spaß gemacht. 13 Jahre habe ich in derselben Praxis gearbeitet, in der ich ausgebildet wurde, und habe in dieser Zeit zwei Kinder bekommen.

"Ich war Küchenchefin, aber keine Köchin"

Ich wäre wohl auch nie auf die Idee gekommen, noch etwas Anderes zu lernen, wenn ich keinen Mann aus der Gastronomie geheiratet hätte. Es wurde immer schwerer, alles zu vereinen: die Kinder irgendwo unterbringen, mein Job als Zahnarzthelferin und zugleich im Betrieb mithelfen. Als mein Mann das Restaurant vor zehn Jahren übernahm, habe ich den Beruf in der Praxis endgültig aufgegeben und nur noch in der Küche gearbeitet. Meine Aufgaben sind dort immer mehr geworden - irgendwann habe ich alles gemacht und war Küchenchefin.

Berufsausbildung: Die medizinische Fachangestellte Carola Straats arbeitete schon lange in der Gastronomie, als sie beschloss, eine Lehre zur Köchin zu machen.

Die medizinische Fachangestellte Carola Straats arbeitete schon lange in der Gastronomie, als sie beschloss, eine Lehre zur Köchin zu machen.

(Foto: privat)

"Der erste Tag in der Berufsschule war der Horror"

Es hat mich aber gestört, dass ich den Beruf Koch nie wirklich gelernt habe. Das war auch ein bisschen ein Kampf: die Chefin, die eigentlich gar keine Köchin ist. Vor zwei Jahren hat mein Mann einfach mal bei der Industrie- und Handelskammer angerufen - und dann hat es sich so ergeben, dass ich als Azubi in seinem Restaurant arbeiten konnte. Der erste Tag in der Berufsschule war der Horror: Da sitzt man da mit 37 Jahren, drumherum Kinder, die ohne weiteres die eigenen sein könnten.

"Mama, nimm den anderen Eingang"

Mein Sohn ist jetzt 16 Jahre alt und hat vor einigen Monaten auch eine Kochausbildung begonnen. Das letzte halbe Jahr sind wir auf die gleiche Berufsschule gegangen und hatten die gleichen Lehrer. Ich durfte ihn auch im Auto mitnehmen, aber er sagte dann: "Mama, nimm bitte den Eingang auf der anderen Seite der Schule." Aber insgesamt war es schon okay für ihn.

Vor vier Wochen habe ich meine Ausbildung beendet und habe es nicht bereut, sie gemacht zu haben. Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen gegenüber den Kindern, weil ich so wenig Zeit für sie hatte. Aber wenn der Ältere von ihnen jetzt das Gleiche lernt, kann ich so viel nicht falsch gemacht haben. Da wir selbständig sind, war ich auch nicht auf ein Azubi-Gehalt angewiesen - sonst wäre es finanziell problematisch geworden."

Von der Lehrerin zur Industriemechanikerin

Elena Maucher, 46 Jahre

"Ich kam vor 14 Jahren der Liebe wegen nach Deutschland. In Rumänien hatte ich Körperkultur und Sport studiert und an einem Gymnasium unterrichtet. Es fiel mir schwer, mich von meinem Beruf zu trennen, aber es war mir wichtiger, hier eine Familie zu gründen. Als mein Sohn zwei Jahre alt war, beschloss ich, wieder arbeiten zu gehen. Aber es gab Schwierigkeiten mit der Anerkennung meiner Ausbildung.

Bei der Firma Festo habe ich dann eine Stelle als Montagearbeiterin in Vollzeit gefunden. Das war gut - aber ich hatte immer den Wunsch, etwas Neues zu lernen. Weil dann mein Mann verstarb, war das allerdings erst mal lange Zeit nicht möglich, ich musste mich um meinen Sohn kümmern. Vor drei Jahren, als mein Sohn alt genug war, habe ich mich bei der Arbeitsagentur erkundigt. Die meinten, ich hätte doch einen guten Job. Ja, sagte ich, aber ich möchte lernen!

Berufsausbildung: Elena Maucher hat früher in Rumänien als Sportlehrerin gearbeitet. Mit Mitte 40 begann sie mit einer Ausbildung zur Industriemechanikerin.

Elena Maucher hat früher in Rumänien als Sportlehrerin gearbeitet. Mit Mitte 40 begann sie mit einer Ausbildung zur Industriemechanikerin.

(Foto: Festo)

"Meine Schüler früher waren so alt wie jetzt meine Klassenkameraden"

Ich habe dann die Firma über meinen Wunsch informiert, Industriemechanikerin zu werden, aber die Ausbildung konnte ich mir nicht leisten. Die Personalabteilung schlug mir das Förderprogramm "WeGebAU" vor. Dabei macht man eine Lehre, die auf zwei Jahre verkürzt ist, und das Gehalt wird entsprechend des vorherigen Lohns von der Firma und der Arbeitsagentur aufgestockt. Als die Zusage kam, bin ich vor Freude in die Luft gesprungen.

Doch am Anfang war es sehr schwer. Ich spreche nicht perfekt Deutsch, und die vielen technischen Begriffe waren nicht leicht. Ich brauchte oft mehr Zeit als meine Azubi-Kollegen, aber am Ende schaffte ich es doch immer. Bald stehen die Zwischenprüfungen an. Früher in Rumänien waren meine Schüler zwischen 14 und 19 Jahre alt - jetzt sind das meine Klassenkameraden. Natürlich versuche ich, gute Noten zu bekommen, aber ich muss auch für meinen Sohn da sein. Da ist es unmöglich, immer zu den besten Schülern zu gehören. Es ist anstrengend, und ich investiere viel Freizeit. Aber ich bekomme Gehalt, um zu lernen - besser geht es nicht."

Vom Industriemechaniker zum Altenpfleger

Bernd Maier, 55 Jahre

"Vor sieben Jahren habe ich den Pflege-Basiskurs abgeschlossen, um als Pflegehelfer arbeiten zu können. Ursprünglich hatte ich nach dem Abitur und einem abgebrochenen Bauingenieurstudium eine Lehre zum Industriemechaniker gemacht. Danach war ich als Leiharbeiter in Berlin tätig. Das war pure Ausbeutung, aber ich fand damals keinen anderen Job. Mit 30 Jahren kam dann die Umschulung zum Kommunikationselektroniker, die wurde mir vom Arbeitsamt bezahlt.

Fünf Jahre später habe ich mich mit einem kleinen Fuhrunternehmen selbständig gemacht. Es lief viele Jahre gut, aber mit der Öffnung des Marktes Richtung Osteuropa kam mehr Konkurrenz, dem Preisdruck konnte ich nicht standhalten. Ich war 47 Jahre alt, als ich die Firma aufgab und mich fragte: Was machst du jetzt? Da kam die Idee mit dem Pflegekurs - das hatte mir als Student schon Spaß gemacht, als ich mal in der ambulanten Pflege aushalf.

Berufsausbildung: Bernd Maier hat mehrere Ausbildungen absolviert und in vielen verschiedenen Jobs gearbeitet. Jetzt absolviert er eine Ausbildung zum Altenpfleger.

Bernd Maier hat mehrere Ausbildungen absolviert und in vielen verschiedenen Jobs gearbeitet. Jetzt absolviert er eine Ausbildung zum Altenpfleger.

(Foto: privat)

Ich war erst als Helfer in einer Demenz-Wohngemeinschaft unterwegs. Das hat mir aber nicht gereicht, ich wollte immer staatlich anerkannter Altenpfleger werden. Im Oktober 2017 habe ich die Ausbildung bei der Caritas begonnen. Die Arbeitsagentur wollte mich dabei nicht mehr unterstützen, weil mich der Pflegehelferjob ja schon vor Arbeitslosigkeit schützte. Das Jobcenter schlug dann vor, Hartz IV zu beantragen als Aufstockung zu meinem Ausbildungsgehalt. Ich bekomme jetzt 35 Euro Hartz IV monatlich - da komme ich mir schon ein bisschen veräppelt vor.

"Ich arbeite sieben Tage in der Woche"

Finanziell ist es für mich schwierig, über die Runden zu kommen. Ich arbeite sieben Tage in der Woche. Am Wochenende habe ich noch einen Job auf 450-Euro-Basis, weil die 750 Euro Ausbildungsvergütung einfach nicht reichen. Ich überlege oft, ob ich mein Auto oder mein Motorrad verkaufen soll oder die Ausbildung hinwerfe. Aber der Beruf macht mir großen Spaß. Man kommt heim und hat das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben.

In der Berufsschule bin ich als Ältester voll integriert. Ich bin der drittbeste Schüler und wurde sofort zum Klassensprecher gewählt. Dort nennen mich alle nur "Papabär". Aber so schön es auch ist, wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass sich meine finanzielle Situation so stark ändert, hätte ich die Ausbildung nicht begonnen."

Zur SZ-Startseite
Karrierestrategie: Fragen Sie einen Coach.

Frage an den SZ-Jobcoach
:Kann ich mit 32 noch eine Umschulung machen?

Alexandra P. hat erst mit der Geburt ihres Kindes entdeckt, was ihr Traumberuf ist. Vom Jobcoach will sie wissen, ob sie jetzt ihren besser bezahlten Job kündigen soll.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: