Beruf:Wie sich Job und Pflege vereinbaren lassen

Altenpflege zuhause Pflegerin betreut Seniorin in ihrer Wohnung am Bett

"Die sind dann überfordert, weil sie gleichzeitig mitten im Beruf stehen": Altenpflege zu Hause kostet viel Zeit und ist anstrengend.

(Foto: imago/Jochen Tack)

Immer mehr Arbeitnehmer pflegen Angehörige. Darauf stellen sich auch die Unternehmen zunehmend ein - und reagieren.

Report von Lea Hampel

Es dämmert und viele Mitarbeiter eilen bereits gen Parkplatz, doch im Besprechungsraum im Erdgeschoss der Telekom-Niederlassung in Karlsfeld herrscht am späten Nachmittag Konzentration. Auf der Powerpoint-Präsentation geht es nicht etwa um Verkaufszahlen oder Firmenstrategien, sondern um Tagespflegeeinrichtungen und Essen auf Rädern. Die 25 Mitarbeiter sind zwischen 35 und 55 Jahren alt, eigentlich haben sie Feierabend. Doch einige sind sogar aus anderen Standorten nach Karlsfeld hergefahren. Mit der Pflege eines Angehörigen haben viele von ihnen eigene Erfahrungen. Sie hören genau zu, während Monika Gelderblom ihnen erklärt, worauf sie bei Anträgen an die Pflegeversicherung achten müssen. Gelderblom arbeitet für einen professionellen Sozialdienstleister. Sie war schon öfter hier, Informationsabende wie diesen veranstaltet das Unternehmen regelmäßig und kostenlos - im eigenen Interesse und dem der Mitarbeiter.

Die Zahl der Menschen, die Angehörige pflegen, steigt. Jeder 17. Erwerbstätige, so ein aktueller Report des "Zentrums für Qualität in der Pflege", kümmert sich intensiv um einen Angehörigen. Die Gründe sind klar: Die Zahl der älteren Menschen steigt, die Lebensdauer ebenfalls. Weil gleichzeitig mehr Menschen berufstätig sind, ist die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ein immer wichtigeres Thema.

Carina Appelhans hat den Abend in Karlsfeld mit organisiert. Sie ist Familienmanagerin bei der Telekom und zuständig für Bayern: Mittlerweile, erzählt sie, kämen mehr Menschen in ihre Beratung, weil sie einen Angehörigen pflegen müssen, als solche, die Kinder haben. Denn Pflege ist weniger plan- und vorhersehbar als Kinderbetreuung. Tritt ein Fall ein, stünden die Menschen vor zahlreichen Schwierigkeiten auf einmal.

Zumal das oft in einer Phase geschehe, wo auch noch Kinder im Haus seien, beobachtet auch Dorothee Lange. Sie berät beim Fürstenberg Institut Arbeitgeber zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: "Die Mitarbeiter sind dann überfordert, weil sie gleichzeitig mitten im Beruf stehen", sagt Lange. Plötzlich gilt es, Unterkunft, Betreuung, möglicherweise einen Umbau zu organisieren - und sich auf eine neue Lebenssituation einzustellen. Denn Pflege bedeutet oft auch: Weniger Urlaub und Freizeit, eine dauerhafte psychische und körperliche Belastung.

Pflege war im Job lange ein Tabuthema

Auch in Karlsfeld stehen viele der Telekom-Mitarbeiter noch vor Grundsatzfragen: Seine Mutter sei ihr Leben lang Hausfrau gewesen, schildert einer der Anwesenden. "Hat sie überhaupt ein Anrecht auf staatliche Unterstützung bei der Pflege?"

In Firmen war Pflege lange ein Tabuthema. "Es wird auch jetzt oft noch hinter vorgehaltener Hand oder gar nicht darüber gesprochen", sagt Appelhans. Nur 10 Prozent der Anfragen an sie, sagt Appelhans, thematisieren Pflege direkt. De facto gehe es aber in viel mehr Gesprächen um solche Angelegenheiten. Vielen Mitarbeitern ist das mit Krankheit und Tod verbundene Thema zu persönlich, im Vergleich auch zu Kinderthemen. "Zu sagen ,Ich muss meine Mutter windeln' geht eben nicht", sagt auch Lange. Zudem haben Mitarbeiter Angst, als Problemfall zu gelten. Lange berichtet von einem Fall, in dem die Mutter eines Mitarbeiters Pflegefall wurde und er jedes Wochenende 300 Kilometer zu ihr fahren musste, sich aber nicht traute, seinem Arbeitgeber davon zu erzählen oder gar nach Heimarbeit zu fragen.

Expertin: Zwei Jahre als maximale Familienpflegezeit sind zu kurz

Dabei hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Es gibt Kurzzeitpflege und Familienpflegezeit, zum 1.1.2017 wird zudem eine stärkere Berücksichtigung der Pflege von Demenzkranken Praxis. Und auch Unternehmen entdecken immer häufiger, dass es wichtig ist, die Mitarbeiter bei dieser Aufgaben zu unterstützen - weil sie so Fachkräfte halten und sicher sein können, dass die einsatzfähig sind. Bei der Telekom ist auch deshalb das Engagement gewachsen, weil Mitarbeiterbefragungen ergeben haben, dass das Thema sie umtreibt.

Vor allem größere Unternehmen erreichen eine enorme Bandbreite. Die reicht von flexiblen Arbeitszeiten über Auszeiten, die der Gesetzgeber seit einigen Jahren fördert, bis zur Beratung. Vor allem letztere hat sich bewährt - Abende mit externer Beratung gibt es daher bei vielen Unternehmen. "Es ist wichtig, dass wir als Arbeitgeber aus den konkreten Angelegenheiten draußen sind", sagt Appelhans. So fühlen sich die Arbeitnehmer aufgehoben und trotzdem anonym. Bei der Telekom haben Mitarbeiter sogar Anrecht auf kostenlose Einzelberatung bei einem Dienstleister. Solche Lösungen finden sich allerdings bisher vor allem bei größeren Arbeitgebern. Dagegen hapert es bei kleineren Unternehmen. Selbst wenn Rechtsanspruch besteht: Hier fehlen oft die Kapazitäten, jemanden zu ersetzen.

2,6 Millionen

Deutschland wird älter. Mittlerweile zählt die amtliche Statistik rund 2,6 Millionen Menschen, die gesetzlich als pflegebedürftig eingestuft werden. Die Dunkelziffer allerdings gilt als höher.

"Noch bietet die ambulante Versorgung nicht immer das, was die Menschen brauchen", sagt Catharina Hansen, Pflegeexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen - das liege an den Unternehmen und am Gesetzgeber. Zwei Jahre als maximale Familienpflegezeit seien zu kurz, wenn Pflegefälle im Schnitt fünf bis sieben Jahre dauern. "Die derzeitige Regelung geht an der Realität vorbei", sagt Hansen. Auch deshalb suchten sich viele Menschen Arbeitskräfte aus dem Ausland, die Abend- und Nachtstunden abdeckten. Zudem müssten bereits vorhandene Beratungsangebote, beispielsweise die Pflegestützpunkte, aber auch rechtliche Regelungen, bekannter werden. "Viele Mitarbeiter kommen gar nicht darauf, dass der Arbeitgeber im Pflegefall helfen kann", sagt Appelhans. Dabei sei der Bedarf hoch: "Die greifen nach jedem Strohhalm", berichtet Lange. Zudem, auch das wird in der Studie deutlich, müssten Leistungen übersichtlicher und leichter zu beantragen sein.

Auch die Mitarbeiter an dem Abend in Karlsfeld können von vielen Formularen und Anträgen erzählen, die sie schon ausgefüllt, eingereicht und auch mal abgelehnt zurück erhalten haben. Im Gespräch mit der Expertin geht es deshalb auch um praktische Fragen: Muss man die Rechnungen für zur Pflege notwendige Produkte monatlich einreichen? Was ist, wenn jemand als Pflegefall aus dem Krankenhaus kommt und die Wohnung ist noch nicht umgebaut? Sind die Tarife für häusliche Pflege deutschlandweit einheitlich oder ortsgebunden? Gelderblom kann all das beantworten. "Letzteres", erläutert die Dozentin, die Beträge für Pflege sind nicht überall gleich. "Also ab nach Ostdeutschland", witzelt eine der Zuhörerinnen. Viele im Saal lachen. Denn auch darum geht es: Neben Fakten und Broschüren, die alle am Ende einpacken, ist Austausch wichtig. Familienmanagerin Appelhans arbeitet nun mit Kollegen daran, ein Netzwerk unter den Mitarbeitern einzurichten. Eine gute Idee, findet auch Beraterin Lange: "Sobald einer so ein Thema aufbringt, platzt der Knoten."

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