Auslagerung von Kündigungen:Wenn der Chef saubere Finger behalten will

Mit einer Kündigung sind viele Chefs überfordert. Weil sie weder Schimpftiraden noch heulendes Elend ertragen wollen, lassen sie den Rauswurf immer häufiger von externen "Vollstreckern" erledigen. Gleiches gilt für Arbeitszeugnisse. Für Hartgesottene werden Seminare für "kreative Kündigungsgründe" angeboten. Unmoralisch? Und wie!

Jasmin Off

"Die Kündigung war wie ein Schlag ins Gesicht", erinnert sich Marlene Rebner. "Ich war sprachlos und bin, ohne was zu sagen, einfach aus dem Raum gestolpert." 19 Jahre lang hatte die 58-Jährige als Verkäuferin in einem großen deutschen Supermarkt gearbeitet, in der Wirtschaftskrise wurde Personal abgebaut. Vier Monate ist das her, doch die Kündigung bleibt ihr in besonders schlechter Erinnerung: "Das Schlimmste war, dass mein Chef es nicht mal für nötig befunden hat, es mir persönlich ins Gesicht zu sagen."

Rebners Kündigung wurde von einem externen Dienstleister durchgeführt - Outsourcing nennt sich das auf Neudeutsch und wird immer häufiger praktiziert. "Beschließen lässt sich eine Kündigung leicht, aber sie durchzuziehen ist ja das Komplizierte", sagt Alena Schröder. "Deswegen lassen viele Firmen das mittlerweile lieber von anderen machen." Schröder hat sich intensiv beschäftigt mit diesen anderen, sie nennt sie "die Vollstrecker" - so der Titel ihres neuen Buches. Die Vollstrecker sind für Schröder und Ko-Autor Christan Esser diejenigen, "die für die Unternehmen die Drecksarbeit erledigen, womit sich keiner die Finger schmutzig machen will und was die Führungsetagen überfordert".

Unangenehmes wird ausgelagert

Dazu gehört vor allem das Kündigungsgespräch. Denn wenn ein Arbeitnehmer seine Existenzgrundlage verliert, reagiert er oft entsprechend heftig, rastet aus, wird verbal ausfallend oder bricht weinend zusammen. Um der unangenehmen Situation zu entkommen, geben Chefs solche Gespräche gerne von vornherein in andere Hände. "Doch letztlich ist es doch bei der Kündigung wie bei einer Liebesbeziehung, die ein böses Ende nimmt. Das möchten wir ja auch lieber von demjenigen persönlich hören und nicht per SMS erfahren", sagt Schröder.

Zudem birgt eine Kündigung durch externe Dienstleister für die Firmen selbst Gefahren. Denn schafft der Chef es nicht einmal persönlich, die schlechte Nachricht zu überbringen, ist bei vielen Entlassenen nicht nur der Zorn groß, sondern auch die Lust, es der Firma auf irgendeine Weise heimzuzahlen. So zieht der Gekündigte möglicherweise noch schnell geheime Informationen ab, klaut Firmeneigentum oder lästert im letzten Kundengespräch noch einmal ausgiebig über die Führungsetage. "Schon allein deshalb sollten Unternehmen ein ureigenes Interesse daran haben, die Kündigung so zu managen, dass es am Ende nicht mehr Scherben gibt als nötig", sagt Schröder.

Das Zeugnis vom Ghostwriter

Und Kündigen ist nicht die einzige Tätigkeit, die Unternehmen heute lieber anderen überlassen. Auch Arbeitszeugnisse werden in vielen Fällen längst von externen Firmen verfasst. Hans-Uwe Dahmen ist Chef eines solchen Unternehmens, vor einigen Jahren hat er "diese Marktlücke entdeckt", wie er es nennt. Seitdem machen die Mitarbeiter seiner "Zeugnisfabrik" das, was sonst Personalabteilungen tun: Sie bewerten Belastbarkeit, Führungsqualitäten und Teamfähigkeit eines scheidenden Mitarbeiters, drücken ihren Dank für die Zusammenarbeit aus und wünschen alles Gute für die berufliche Zukunft - alles im Namen des eigentlichen Chefs.

"Aber selbstverständlich können wir nicht zaubern", sagt Dahmen. Ein paar Informationen muss der ehemalige Arbeitgeber den Zeugnisfeen schon liefern. Direkten Kontakt zu den Menschen, deren Arbeit sie bewerten, haben die Ghostwriter aber nicht. Das sei allerdings kein Nachteil, betont Dahmen, ganz im Gegenteil: "In vielen Personalabteilungen bleiben Zeugnisse meist lange unbearbeitet liegen, außerdem kennen die oft gar nicht die sprachlichen und juristischen Feinheiten, die man beachten muss." Zudem sei ein extern geschriebenes Zeugnis immer noch besser als die in kleinen Betrieben oft übliche Praxis, dass der Gekündigte selbst seine letzte Würdigung verfassen muss.

Arbeitnehmervertreter wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sehen ein solches Angebot dennoch kritisch: "Dass Zeugnisse extern verfasst werden, ist unzulässig und ein Skandal. Das ist persönliche Sache des Arbeitgebers, nur er kann und darf die fachlichen Qualifikationen eines Mitarbeiters beurteilen", sagt Jens Schubert, Leiter der Verdi-Rechtsabteilung. "Jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf ein Zeugnis von seinem Arbeitgeber."

Auch Alena Schröder war von dem Ergebnis ihrer Recherchen überrascht: "Ich dachte immer, in einer idealen Welt würde sich der Chef abends mit einem Glas Rotwein hinsetzen, eine Zigarre anstecken und sich überlegen, was hat dieser Mensch für meine Firma geleistet? Aber ich habe festgestellt, das ist leider nicht die Realität."

Legal, aber unmoralisch

Realität in deutschen Unternehmen ist dagegen, dass Arbeitgeber heute auch mit unzähligen Tricks arbeiten, um Mitarbeiter mit speziellem Kündigungsschutz loszuwerden - etwa Schwangere, Behinderte oder Betriebsratsmitglieder. Auch zu diesem Thema finden die Firmen extern Hilfe, etwa bei spezialisierten Anwaltskanzleien. Diese bieten den ratlosen Personalern Seminare an mit Titeln wie "Krankheit als Kündigungsgrund - So kündigen Sie die 'Richtigen'" oder "Kündigung störender Arbeitnehmer - Kreative Kündigungsgründe". Ganz legal, aber zumindest moralisch fragwürdig.

Einen Trick, den die Teilnehmer dort lernen, ist etwa das gezielte Aufstellen von Fallen. Zufällig werden im Verkaufsraum 100 Euro liegengelassen, zufällig ist der Schein später weg, zufällig war nur derjenige Mitarbeiter im Raum, den man loswerden will. Diebstahl ist ein Kündigungsgrund, der unbeliebte Arbeitnehmer prompt entlassen. Eine andere umstrittene Methode wird oft zur Kündigung von Betriebsratsmitgliedern angewandt: Unter dem Stichwort "Umstrukturierung" wird ein Arbeitnehmer erst auf einen anderen Posten versetzt. Wenig später wird die Stelle gestrichen, ein vergleichbares Angebot kann der Chef - "tut mir wirklich leid" - nicht machen. Es folgt die Kündigung.

Psychoterror als letztes Mittel

Und hilft keiner der legalen Tricks, um einen bestimmten Mitarbeiter loszuwerden, bleibt immer noch Psychoterror - irgendwann gibt der Mitarbeiter schon von selber auf. Damit es ein bisschen schneller geht, helfen auch hier externe Firmen gerne nach: Nicht nur bei den sonst immer verteufelten Discountern würden Mitarbeiter konsequent überwacht, sondern das sei gang und gäbe, sagt Schröder. Im Buch listet sie eine Reihe von legal im Handel erhältlichen Spionagemitteln auf, mit denen etwa überprüft wird, ob der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abrechnet oder sich unbegründet krankmeldet.

"Einigen Chefs kann man sicherlich zugutehalten, dass sie sich wirklich nicht anders zu wehren wissen und manche Mitarbeiter will man wohl auch aus berechtigten Gründen loswerden", so die Autorin. "Aber in vielen Fällen geht es einfach nur darum, so effizient wie möglich zu wirtschaften und da ist dann eine große Portion Unmoral im Spiel." Die Entpersonalisierung vieler Vorgänge zeigt sich schon an der Sprache, die in vielen Personalabteilungen heute gesprochen wird. Arbeitnehmer werden nicht "gekündigt" sondern "freigesetzt", der Trennungsprozess liebevoll "offboarding" genannt.

Das klingt nach Freiheit und neuen Chancen, aber nicht nach unschönem Karriereende. "Unternehmen wollen bloß nicht darüber nachdenken müssen, dass da Einzelschicksale dranhängen", sagt Schröder und fordert ein Nachdenken über die Wertschätzung der Mitarbeiter: "Es wäre schön, wenn wieder offen gesagt werden würde, worum es tatsächlich geht, nämlich dass Menschen ihren Job verlieren und das auf ziemlich unangenehme Weise."

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