Ausbildung für die EU:Brügge sehen - und studieren

Das Collège d'Europe in Brügge bildet für die große Politik aus. Der Aufnahmetest ist berüchtigt, doch Absolventen winken Macht und Einfluss.

D. Solfrian

Wer die pittoreske Kleinstadt in der belgischen Provinz besucht, begegnet meist Touristen im Rentenalter. Dicht gedrängt schippern jedes Jahr mehr als 100.000 Gäste auf urigen Kähnen durch Brügges unzählige Kanäle, vorbei an alten Handelshäusern und Sterne-Restaurants. Für ihr mittelalterliches Flair ist die ehemalige Hansestadt über die europäischen Grenzen hinaus berühmt, als Universitätsstadt ist sie weniger bekannt.

Ausbildung für die EU: Brügge sehen und ... studieren: Wer den Sprung auf das angesehene Collège d'Europe schafft, kann Karriere bei der EU machen.

Brügge sehen und ... studieren: Wer den Sprung auf das angesehene Collège d'Europe schafft, kann Karriere bei der EU machen.

(Foto: Foto: dpa)

Aber was sich hinter der Fassade der Nummer 11 in der Dijver Straße versteckt, kann man als Kaderschmiede für europäische Politik bezeichnen. Zwischen September und Juni machen 300 Studenten aus 45 Ländern hier auf dem Collège d'Europe, beziehungsweise College of Europe, sowie 120 auf dem polnischen Partnercampus in Natolin ihren Master in europäischem Recht, Ökonomie, Internationalen Beziehungen, Politik und interdisziplinären Studien.

Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen

Wer den Sprung auf die angesehene Hochschule schafft, hat bereits ein abgeschlossenes Studium und einen anspruchsvollen Bewerbungsprozess hinter sich. Die meisten Anwärter kommen aus Frankreich, wo das "Europakolleg", so seine inoffizielle deutsche Bezeichnung, einen guten Namen hat und in einer Reihe mit anderen Eliteuniversitäten steht. Aus Deutschland gibt es deutlich weniger Aspiranten, auch weil das Kolleg hier eher unbekannt ist. 60 deutsche Bewerber werden zum Auswahlgespräch geladen, von denen es 35 Kandidaten auf das Europakolleg schaffen.

Einige Studenten beschreiben das Auswahlgespräch als "die härteste Viertelstunde meines Lebens". In diesen 15 Minuten müssen sie nicht nur eloquente Antworten auf Fachfragen geben, sondern auch zwischen verschiedenen Sprachen wechseln können: "Sie haben ein Semester in Spanien studiert? Dann erklären Sie uns doch bitte kurz die Beschlüsse der Oslo-Konferenz - auf Spanisch!"

Theatergruppen, Chöre, Streichquartette

Sehr gute Kenntnisse in Englisch und Französisch, ein überdurchschnittlicher Studienabschluss und zwei Gutachten von Professoren sind die Voraussetzungen für das Aufbaustudium in Brügge. Neben internationaler Erfahrung und Praktika ist Persönlichkeit gefordert. Das Interkulturelle zählt am College, es gibt Theatergruppen, Chöre und Streichquartette. "Man lernt in Brügge, dass Leute unterschiedlich denken und baut Stereotypen ab. Wenn die Deutschen hier unpünktlich sind, freut sich jeder", sagt Dieter Mahncke, Professor für internationale Beziehungen am College of Europe.

In der Regel gibt das Bildungsministerium allen deutschen Studenten ein Stipendium auf den Weg nach Belgien, das die Studiengebühren deckt. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung müssen sie selbst tragen. Alle Studenten leben über die Stadt verteilt in Wohnheimen, unter der Woche essen sie in der Mensa, am Wochenende kocht eine Herbergsmutter für sie. Für indische und amerikanische Studenten ein gewohntes Prinzip, für Deutsche oft eine Beschneidung ihrer Selbständigkeit. Die eine oder andere Kochplatte wurde bereits heimlich im Zimmer installiert.

Auch die Lehrmethoden stoßen je nach kulturellem Hintergrund auf Gefallen oder nicht. Im ersten Semester gibt es vor allem Vorlesungen und damit Frontalunterricht. Das verursacht bei deutschen und skandinavischen Studenten erst mal Unbehagen, beobachtet Mahncke. Im zweiten Semester finden überwiegend Seminare statt, individuelle Beteiligung und kritisches Urteil sind dann gefordert - das wiederum sei für Spanier und Italiener ungewohnt.

Auf der nächsten Seite: Warum auch die Arbeit für Think Tanks für die Absolventen Collège d'Europe interessant ist.

Brügge sehen - und studieren

Austausch mit anderen Nationalitäten

Fachlich unterscheiden sich die Studenten jedoch gar nicht so sehr, meint Mahncke. Alle seien sehr motiviert: "Die Deutschen hängen am wenigsten zusammen und tauschen sich mit anderen Nationalitäten am meisten aus, können sich schnell anpassen." Mahncke war einst Redenschreiber von Bundespräsident Karl Carstens und kennt den Politikbetrieb aus langjähriger Praxis. Am Kolleg ist er unter den 150 Gastprofessoren und Dozenten eine Ausnahme, weil er einen der wenigen Lehrstühle innehat.

Dieses System der "Flying Faculty" hebt sich von Lehrinstitutionen mit ähnlichen Aufbaustudiengängen ab: Die Gründer des College of Europe legten 1949 Wert darauf, zuerst ein Programm zu entwickeln und dann nach den besten Leuten zu suchen. So können ständig neue Lehrkräfte aus Wissenschaft und Praxis gewonnen werden.

Für die Arbeit bei der Europäischen Kommission, der Nato und bei Verbänden bietet das College eine gute Ausbildung und beste Kontakte. Die Hälfte der Absolventen findet sich in Brüssel wieder. Doch ein Abschluss aus Brügge ist keine Garantie für eine EU-Karriere. Viele deutsche Absolventen wurden für ein Praktikum bei der Kommission in Brüssel abgelehnt. Zu hoch ist dort schon die Zahl der Mitarbeiter aus den europäischen Gründungsländern. Durch die EU-Osterweiterung sind die Chancen für Bewerber aus den neuen Mitgliedstaaten wesentlich höher.

Belgisches Bier

Christoph Linden vom Netzwerk für europäische Bewegung empfiehlt, auch bei Think Tanks oder Landesvertretungen anzuheuern. Der Verein repräsentiert Interessengruppen wie Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Wissenschaftliche Institute, Stiftungen oder Parteien im Bereich Europapolitik; außerdem organisiert er das Bewerbungsverfahren für die Aufnahme am Europakolleg.

Auch das Alumni-Netzwerk und reger Kontakt zu den Kommilitonen können sich bezahlt machen. Jeden Donnerstag werden in der Bar des Wohnheims bei belgischem Bier Pläne geschmiedet - und Allianzen. Die Hälfte der Absolventen trifft sich später in der Arbeitswelt der EU wieder. Ein Viertel, so ein hartnäckiges Gerücht, sogar in einer Ehe.

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