Angst im Job:"Du hast andere Sorgen, als auf meine Schweißflecken zu gucken"

"Wer wird Millionär?"-Gewinner Leon Windscheid

"Wer wird Millionär?"-Gewinner Leon Windscheid

(Foto: Thilo Ross Image Agency)

Bei seinem ersten Vortrag im Studium hat Leon Windscheid gestottert und geschwitzt. Jetzt weiß der "Wer wird Millionär?"-Gewinner, wie man die Nerven behält.

Interview von Larissa Holzki

Nach 35 Minuten Grübeln hat Leon Windscheid, damals 27 Jahre alt, im Dezember 2015 bei Günther Jauch die Millionenfrage richtig gelöst: Der Zauberwürfel von Ernö Rubik besteht insgesamt aus 26 Steinchen. Die Frage ist knifflig. Vor Millionenpublikum und mit der Aussicht auf eine Million Euro auf die richtige Lösung zu kommen, ist aber noch um einiges schwieriger.

Wie man unter Druck die Nerven behält, hat Windscheid im Psychologiestudium gelernt. Inzwischen steht er kurz vor seiner Promotion. In seinem Buch "Das Geheimnis der Psyche" erklärt er, mit welchen Tricks sich Angst und Stress im Beruf bewältigen lassen.

SZ.de: Herr Windscheid, Sie haben über sich selbst gesagt, Sie wären normal schlau. Würde das ausreichen, um in der Quiz-Show von Günther Jauch eine Million zu gewinnen, wäre RTL längst pleite. Ist "normal schlau" einfach untertrieben oder was hat Ihnen geholfen?

Leon Windscheid: Ich hab mal bei einem IQ-Test mitgemacht und lag leicht über dem Durchschnitt. Aber ich weiß nicht alles. Was ich wusste, habe ich mir antrainiert: die Reihenfolge der Bundespräsidenten, Hauptstädte, Nationalspieler, Charts und wo welcher Staat im Golf von Mexiko liegt. Und ich habe mir im Psychologiestudium Kniffe angeeignet, mit denen ich das Wissen vor Millionen TV-Zuschauern abrufen konnte.

Sie waren also nicht immer so gelassen wie in der Sendung?

Bei meinem ersten Fachvortrag an der Uni dachte ich, ich werde gleich ohnmächtig. Ich war inhaltlich akzeptabel vorbereitet, aber null Komma null auf diese Aufregung. Ich habe gestottert und geschwitzt. Dass ich das in den Griff bekommen habe, verdanke ich einer Professorin, die uns die Spirale der Angst erklärt hat.

Was hat es damit auf sich?

Am Anfang gibt es einen Reiz, den jemand als Gefahr wahrnimmt. Unabhängig davon, ob tatsächlich Gefahr von dem Reiz ausgeht. Bei Panikpatienten vielleicht die Spinne oder Höhe, bei mir der Vortrag vor Kommilitonen. Dann fängt der Körper an zu reagieren, einem wird heiß, das Herz schlägt schneller. All das bestätigt dem Hirn: "Da muss wirklich Gefahr sein!" Die Angst verstärkt sich weiter.

Und diesen Prozess kann man stoppen?

Der Kniff ist, den Angstreiz so oft zu erleben, bis man sich daran gewöhnt. Angst flacht irgendwann ab, egal, wie krass sie ist. Das kann man schrittchenweise lernen. Ich nenne das Psycho-McFit: Der eine muss im Training mehr tun als der andere, aber es hilft immer. Und wenn Sie einen Vortrag halten müssen und Angst haben, auf die Bühne zu treten, dann fangen Sie an, sich dieser Angst auszusetzen.

Wie trete ich denn schrittchenweise auf die Bühne?

Ohne Zuschauer. Am besten setzen Sie sich erst mal vor Ihr Spiegelbild und halten den Vortrag alleine. Dann merken Sie schon, wie unangenehm das ist, plötzlich frei einen Vortrag zu halten. Im nächsten Schritt gehen Sie zu einer Freundin und dann holen Sie vielleicht noch ein paar Freunde mehr dazu. So hab ich das für die Wer-wird-Millionär?-Vorbereitung gemacht. Und um das Unwohlsein noch zu steigern, in Unterhose. Dann wird's richtig peinlich.

Gegen Stress hilft oft nur Umdenken

Warum in Unterhose? Bei einem Vortrag vor Kollegen oder in der Fernsehshow trage ich Rock oder Anzug.

Wenn man in Unterhose dasitzt und alle anderen sind angezogen, denkt der Kopf, oh Gott, ist das ungewohnt und peinlich. Das ist zwar nicht das Gleiche wie im Studio oder auf dem Podium, aber bei meinem Training habe ich so schon mal in einer ungewohnten Situation Fragen beantworten müssen. Bei der Übung geht es nicht um die eigenen Speckröllchen, sondern um die Situation des Irgendwie-komisch-Fühlens.

Manchmal geben Angst und Stress aber auch den Kick, um Höchstleistungen zu vollbringen. Vor Publikum oder unter Zeitdruck sind wir dann besser als sonst. Woran liegt das?

In der Forschung wird Stress als Peitsche für das System beschrieben. Wenn man in eine Situation kommt, in der man funktionieren will, schüttet der Körper Adrenalin aus: Man kann schneller rennen, schneller denken, schneller gucken. Da gibt es viele Parallelen zur Angst.

Was passiert, wenn der Stress anhält?

Dann wird er extrem schädlich. Das ist vergleichbar mit einem Auto, das dauerhaft im vierten Gang mit 180 über die Autobahn fährt. Das ist schädlich fürs System.

Das heißt, ich muss die Ursachen für Stress abstellen?

Was sind denn alles Stressoren? Wir werden zugeschüttet mit Aufgaben, wir müssen ständig erreichbar sein, der Terminkalender explodiert, die Bahn kommt immer zu spät und dann gibt es auch noch sozialen Stress, weil man in den sozialen Medien vorgehalten bekommt, was für ein tolles Leben die anderen führen. Es ist unmöglich, alle diese Stressoren abzuschalten. Nicht jeder kann aussteigen und in die Südsee ziehen. Viel schlauer ist es, mit Stress anders umzugehen. Dann hilft es, sich zu fragen, ob mich die lästigen Termine heute stressen müssen oder ob ich sagen kann, ich habe heute einen spannenden Tag, ich bin locker drauf und werde viel erreichen.

Zu sozialem Stress gehören auch die Angst vor dem Versagen und die Sorge, negativ aufzufallen. Viele Menschen müssen dafür nicht erst auf die Bühne treten. Gibt es dagegen auch eine Strategie?

Ich war mal zu einem Vortrag bei einer Firma eingeladen. Es war sehr heiß und ich schwitzte. So sehr, dass man das auch an unangenehmen Stellen an der Hose sehen konnte. Aus Versehen bin ich auch noch aufs Damenklo gerannt, um mich zu akklimatisieren. Als mir das auffiel, habe ich mich eingeschlossen und bin abgehauen, als alle weg waren. Später habe ich mich dann mit dem Spotlight-Effekt auseinandergesetzt und gelernt, dass ich überreagiert habe.

Aber schon die Vorstellung ist doch ziemlich peinlich. Was kann dieser Effekt dagegen helfen?

Weil wir alle ständig mit uns selbst beschäftigt sind, nehmen wir an, dass auch die Gedanken anderer Leute um uns kreisen. Aber die haben andere Sorgen, als auf meine Schweißflecken zu gucken. Unsere Aufmerksamkeit ist limitiert. Deshalb der Appell: Ruhe bewahren und sich vor Augen führen, dass man nicht so wichtig ist, dass alle ständig auf einen achten würden.

Sind psychologische Tricks am Ende also der eigentliche Schlüssel zum Erfolg in Beruf und Millionenspiel?

Die Psychologie zeigt, dass Intelligenz am besten vorhersagt, ob jemand gut im Beruf ist. Deshalb ist in jedem Assessment-Center auch eine Intelligenztest-Komponente versteckt. Ich würde das trotzdem relativieren wollen. Wichtig ist auch die soziale Intelligenz: Wie gehe ich mit meinem Wissen um, wovon will ich wie viel wissen und wovon eher nichts. Die Psychologie hat bestimmte Hebel, die ich nutzen kann, um besser zu funktionieren. Aber Psychotricks sind kein Hokuspokus, mit dem man die Welt regieren kann.

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