Süddeutsche Zeitung

Zweifelhafte Wissenschaft:Der GAU im Leben eines Forschers

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Von Hanno Charisius

Brian Wansink ist einer der Popstars der Ernährungsforschung. Jeder nur halbwegs an Nachrichten aus der bunten Welt der Wissenschaft interessierte Mensch hat wohl schon von ihm oder vielmehr einer seiner Studien gelesen, die oft ein großes Medienecho hervorgerufen haben. Auch die SZ hat über solche Untersuchungen berichtet, in denen es immer um ernährungspsychologische Fragen geht, also: Was essen wir in welcher Menge und warum? Gerade ist Wansink wieder in den Schlagzeilen, dieses Mal allerdings ist es wenig rühmlich, was über ihn geschrieben wird.

Am Mittwoch meldete die angesehene Fachzeitschrift Jama, dass die Redaktion sechs Artikel zurückzieht, bei denen auch der Name Brian Wansink in der Autorenzeile steht. Für Wissenschaftler ist das bereits bei nur einem Fachartikel der GAU, der größte anzunehmende Unfall. Sechs an einem Tag haben eine verheerende Wucht, zumal Jama in einer Mitteilung schreibt, dass die Cornell University, Wansinks Arbeitgeber, nicht versichern könne, dass "die Ergebnisse der Studien valide sind".

Das bedeutet nicht unbedingt, dass Wansink mit all seinen Veröffentlichungen falschliegt, oder dass hinter seinen Behauptungen nicht auch ein wahrer Kern stecken könnte. Es fehlt allerdings an Belegen dafür, und andere Wissenschaftler konnten die Ergebnisse aus dem berühmten "Food and Brand Lab" an der Cornell University in eigenen Experimenten zumeist nicht bestätigen - ein deutlicher Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Mit diesen sechs ist die Zahl der Wansink-Studien, die in der letzten Zeit zurückgezogen wurden, auf 13 gestiegen.

Die Prüfer entdeckten mehrere statistische Tricksereien

Ihren Anfang nahm diese Serie durch einen Blogeintrag von Wansink selbst im November 2016. Darin lobte er eine Doktorandin seines Labors, die aus den Daten einer gescheiterten Untersuchung laut seinen Aussagen immer neue interessante Beobachtungen ziehen konnte, die schließlich in eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen mündeten.

Angestoßen durch diese Anekdote, begannen etliche Forscher und Journalisten, sich diese Arbeiten genauer anzuschauen. Es ging um Essensmengen und Pizza, weswegen die besagten Studien auch als die "Pizza Papers" bezeichnet werden. Darin stießen die Prüfer auf Unstimmigkeiten, auf Schlussfolgerungen, die nicht zu den angegebenen Daten passten, und auf eine Reihe von statistischen Tricksereien.

Ein in Zusammenhang mit den Arbeiten wiederkehrender Vorwurf: Die Forscher haben bei den Analysen ihrer Daten so lange an den statistischen Formeln gedreht, bis etwas herauskam, das zu irgendeiner Hypothese passte, die sie dann aufstellten. Wansink verweigerte den unbeteiligten Wissenschaftlern Zugriff auf die Originaldaten, die Klarheit hätten schaffen können. Im Februar 2017 bezeichnete ein Artikel im New York Magazine die Pizza Papers als "schockierend unprofessionell". Anfang des Jahres gab Jama bereits eine Notiz heraus, in der die Redaktion Bedenken zum Ausdruck brachte, ob die Studien belastbar seien. Es kann sein, dass die Zahl der zurückgezogenen Wansink-Papers noch weiter steigen wird. Kurz nach den neuerlichen Zurückziehungen kündigte die Cornell Universität an, dass Wansink die Hochschule Ende des Jahres verlassen wird.

Der Fall ist auch ein Lehrstück über die verdorbenen Anerkennungsmechanismen in der Wissenschaft. Allenthalben wird moniert, dass die Zahl der veröffentlichten Studien steigt, deren Qualität aber im Durchschnitt sinkt. Bislang nämlich ist die Zahl der Veröffentlichungen, die den Namen eines Forschers tragen, sowie die Menge der Kollegen, die sich auf diese Studien berufen, das Maß für Ansehen in der Wissenschaft. Die Arbeiten von Wansink wurden in den vergangenen Jahren zigtausendfach zitiert.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2018
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