Die Zahl der arbeitslosen Zahnärzte steigt unaufhaltsam. Werbebotschaften mit lächelnden Lippen und schneeweißen Zähnen sind passé - die locken niemanden, weil sie jeder hat. Und mit Geschichten vom Zahnarztbohrer kann man Kinder nicht mehr vom Zähneputzen überzeugen.
Den Schlüssel zur Verwirklichung solcher Visionen haben Forscher der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) in der Hand. Mit einem neuen Wirkstoff wollen sie gezielt dem Kariesbakterium den Garaus machen; die gesunde Mundflora soll davon unberührt bleiben.
Die Forscher arbeiten mit einer international bekannten Firma für Mundhygiene zusammen. Das Endprodukt soll alle paar Tage zusätzlich zum Zähneputzen verwendet werden.
Der Wirkstoff mit der Abkürzung Stamps (selectively targeted antimicrobial peptides) ist eine Kombination aus einem Signalmolekül, das auch beim Karieserreger Streptococcus mutans vorkommt, und einem antimikrobiell wirkenden Eiweißfragment, dem Antibiotikum Novisipirin G10.
Das Signalmolekül verankert den Wirkstoff gezielt an Karieskeimen, das Antibiotikum zerstört dann ihre Membran. Im Gegensatz zu herkömmlichen Antibiotika hat diese Methode den Vorteil, dass sie speziell die Kariesbakterien abtötet.
Die harmlosen Keime im Mund überleben. Würden auch sie verschwinden, könnten Pilze und andere Krankheitskeime die Mundhöhle besiedeln.
Mit Stamps sei es wie mit einer Wiese, auf der Löwenzahn wachse, sagt Wenyuan Shi, leitender Forscher an der UCLA. "Ein gewöhnliches Pflanzenvernichtungsmittel zerstört die gesamte Wiese einschließlich des Löwenzahns. Ein Herbizid, das genau auf den Löwenzahn zugeschnitten ist, zerstört nur ihn. Nach und nach wächst die Wiese in die Lücken und der Löwenzahn kommt nicht mehr zurück." Ebenso verhalte es sich mit dem neuen Wirkstoff.
Immerhin besitzen 30 Prozent aller Amerikaner natürlicherweise keine Kariesbakterien, und trotzdem siedeln sich an deren Stelle keine anderen schädlichen Bakterien an.
Die amerikanischen Forscher erproben zurzeit ihren Wirkstoff in Speichelproben und Biofilmen, das sind Schleimschichten aus Bakterien, wie sie zum Beispiel im Zahnbelag vorkommen. "In Speichelproben töten Stamps innerhalb von 30 Sekunden die Kariesbazillen ab", sagt Shi. "Auch in dickeren Biofilmen, die über mehrere Tage gewachsen sind und viele verschiedene Arten von Bakterien beheimaten, zeigt der Wirkstoff die gleiche Tötungsgeschwindigkeit. Er ist damit regulären Antibiotika, die in Biofilmen einen sehr geringen Wirkungsgrad haben, weit überlegen."
Resistenzen sehr unwahrscheinlich
Gegen geläufige Antibiotika entwickeln Bakterien jedoch relativ schnell Resistenzen. Sie verändern sich also so, dass die Mittel keine Wirkung mehr auf sie haben. Resistenzen seien bei Stamps sehr unwahrscheinlich, da sie so konstruiert sind, dass die Bakterien sich gleich in mehreren Eigenschaften auf einmal verändern müssten, damit sie resistent würden, erklärt Shi.
Matthias Hannig, Direktor der Uniklinik für Zahnerhaltung in Homburg an der Saar, lobt die Entwicklung der kalifornischen Kollegen. "Die Grundidee und Wirkungsweise der amerikanischen Methode ist sehr faszinierend."
Hannig forscht selber an Kariesbakterien und Biofilmen. Einer der wenigen Kritikpunkte, die er äußert, ist zum Beispiel, dass man noch ausschließen müsse, dass Stamps wegen ihrer geringen Größe auch in Körperzellen eindringen und sie schädigen. Laut Shi gibt es dafür keine Hinweise, weitere Versuche an Tieren und Menschen müssen das aber noch belegen.
Zulassungsprozess in USA dauert drei Jahre
Hannig möchte außerdem die Ergebnisse des Testverfahrens der Food and Drug Administration (FDA) abwarten, der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde. Dieser Zulassungsprozess dauert schätzungsweise drei Jahre. Haben die Stamps den FDA-Test bestanden, sei es sehr wahrscheinlich, dass sie auch von der EMEA, der Europäischen Arzneimittelagentur, zugelassen werden und damit auch in Deutschland auf den Markt kommen, sagt Hannig.
Bis dahin solle aber niemand die vier Säulen der Kariesvorsorge vernachlässigen: zuckerhaltige Lebensmittel meiden, die der Kariesbazille Nahrung geben, nach jedem Essen Zähne putzen, fluoridhaltige Zahnpasta verwenden und zerklüftete Zahnoberflächen vom Zahnarzt versiegeln lassen.
In Zukunft wollen die Forscher die Methode der Stamps auch nutzen, um Parodontosebakterien im Mund zu bekämpfen. In anderen Teilen des Körpers, wo gewöhnliche Antibiotika das sensible Zusammenspiel von Bakterien zerstören würden, wie zum Beispiel in Nase und Ohr, Vagina oder Magen-Darm-Trakt, wollen sie mit ihrer Methode der selektiven Antikörper ebenfalls krankmachende Bakterien vernichten und "die Wiese" über die geschlagenen Lücken wachsen lassen.