Zahnarzt-Unfall:Wie riskant sind Vollnarkosen?

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Viele Zahnärzte bieten mittlerweile Vollnarkosen an, vor allem für Angstpatienten. (Foto: Hans Wiedl/dpa)

Ein junger Mann ist nach einer Vollnarkose beim Zahnarzt ums Leben gekommen. Wie sicher sind derartige Anästhesien?

Von Christoph Behrens

Ein 18-jähriger Mann ist am vergangenen Freitag in Hamburg nach einer Zahnarzt-Behandlung unter Vollnarkose gestorben. Nach Komplikationen wurde der Mann aus der Praxis in ein Klinikum im Stadtteil Altona gebracht, dort konnte jedoch nur noch der Tod festgestellt werden. Zuvor waren Versuche der Reanimierung gescheitert.

Was ist über die Ursachen des Todesfalls bekannt?

Die Vollnarkose habe der 18-Jährige ausdrücklich verlangt, sagte die Zahnärztin der Hamburger Morgenpost. Offenbar litt der Mann an panischer Angst vor dem Zahnarzt und wollte sich der mehrstündigen Wurzelbehandlung nicht bei vollem Bewusstsein unterziehen.

Die Obduktion der Leiche hat bereits ein vorläufiges Ergebnis gebracht: Der Tod sei "hochwahrscheinlich" in Folge eines Herzversagens eingetreten, das durch eine Vorerkrankung des Organs sowie durch die Belastungen der mehrstündigen Operation verursacht worden sei, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. "Dieser tragische Todesfall hat sicher nichts mit der Zahnbehandlung zu tun, sondern muss mit der Narkose zusammenhängen", sagte die behandelnde Zahnärztin dem Hamburger Abendblatt.

Wie sicher sind Vollnarkosen?

Seit der Erfindung der Vollnarkose vor etwa 170 Jahren sind die Eingriffe immer sicherer geworden. Etwa sieben von einer Million gesunden Anästhesie-Patienten in Deutschland sterben aktuellen Zahlen zufolge aufgrund der Vollnarkose oder erleiden einen schweren Zwischenfall - ein Wachkoma, aus dem sie nicht mehr aufwachen. Noch vor 50 Jahren lag das Risiko zwei bis drei Mal so hoch. Bei Vorerkrankungen, aber auch mit dem Alter steigt jedoch das Risiko für Komplikationen. Daher haben Anästhesisten in Deutschland eine "Aufklärungspflicht" und müssen etwaige Vorerkrankungen abfragen.

Eine mögliche Gefahr bei der Narkose ist, dass die Beatmung der Patienten nicht gewährleistet ist. Schon nach fünf Minuten ohne Sauerstoff kann das Gehirn dauerhafte Schäden erleiden, bei etwa 20 Minuten droht der Herzstillstand. Dennoch seien Vollnarkosen - korrekt angewendet und überwacht - insgesamt sehr sicher, sagt Hugo van Aken, Lehrstuhlinhaber für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Münster und Generalsekretär des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten. "Das Risiko ist geringer, als über eine vielbefahrene Straße zu gehen", sagt van Aken, "oder bei schlechtem Wetter auf der Autobahn zu fahren."

Sind Zahnarztpraxen für Vollnarkosen gut genug ausgestattet?

Gerade die Entwicklung in kleineren Praxen betrachteten die Anästhesisten in der Vergangenheit durchaus mit Sorgen. "In Zahnarztpraxen hat es in den vergangenen Jahren einige schwere Zwischenfälle gegeben", sagt van Aken. Ein Problem war häufig eine veraltete Ausrüstung und wenig Erfahrung. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und der Berufsverband haben daher 2013 Mindeststandards festgelegt.

Patienten müssten während und nach der Narkose von geschultem Personal überwacht werden, zudem müsse es einen speziellen "Aufwachraum" in einer Praxis geben, heißt es in dem Dokument. Zudem werden ein Atemgas-Messgerät, ein EKG-Monitor und andere Überwachungstechnik empfohlen. Die Mindestanforderungen sind rechtlich nicht bindend, haben aber beispielsweise große Relevanz, wenn ein Unfall passiert. Beim aktuellen Fall in Hamburg könnte sich ein Gutachter an den Empfehlungen des Berufsverbands orientieren, um Hinweise auf Fehlverhalten zu entdecken.

Wie oft wird eine Vollnarkose beim Zahnarzt angewendet?

Hierzu gibt es keine verlässlichen Zahlen, sicher ist aber, dass etliche Zahnärzte mittlerweile aktiv für die Narkose werben. Vor allem Menschen mit großer Angst vor dem Zahnarzt verlangen statt einer lokalen Anästhesie häufig eine Vollnarkose - einigen Schätzungen zufolge leidet etwa jeder Zwanzigste an einer solchen Zahnbehandlungsphobie. Diese Patienten trauen sich oft jahrelang nicht zum Arzt, ihr Gebiss weist daher durchschnittlich zehn kranke Zähne auf. Erst starke Schmerzen treiben die Phobie-Patienten dann doch zum Zahnarzt.

Welche Mittel kommen zum Einsatz?

Eine tiefe Sedierung erfolgt beispielsweise mit Propofol, einem sogenannten Hypnotikum, das auch bei Darmspiegelungen eingesetzt wird. Auch Barbiturate wie Thiopental kommen infrage. Dazu werden Schmerzmittel verabreicht und häufig ein Stoff, der die Muskeln lockert.

Gibt es Alternativen zur Narkose für Angstpatienten?

Eine Alternative ist eine psychotherapeutische Behandlung. Bereits 2004 konnten Forscher zeigen, dass die Verhaltenstherapie bei der Mehrzahl der Patienten wirkt. Eine Studie kam 2011 zu dem Schluss, dass die kognitive Verhaltenstherapie Narkose und auch Hypnose deutlich überlegen ist. Hypnose wird seltener angewandt, die Methode ist wissenschaftlich bislang nicht umfassend untersucht. Einzelne Studien fanden aber Hinweise darauf, dass auch Hypnose die Ängste lindern kann.

Bei der Verhaltenstherapie werden Patienten langsam an die angstbesetzte Situation herangeführt. Gleichzeitig lernen sie Strategien, um die Angst kontrollieren und bewältigen zu können. Zwei Drittel der Patienten nützt diese Behandlung langfristig. Mit einer Narkose lassen sich zwar die Zähne behandeln - nicht aber die Phobie selbst.

© SZ.de/chrb/beu/Mit Material von dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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