Zahnmedizin„Mit Implantaten sehe ich häufiger Probleme auf uns zukommen“

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Kinder haben heute erheblich weniger Karies als früher, der Besuch in der Zahnarztpraxis verläuft entsprechend entspannt. Trotzdem gibt es noch genügend Möglichkeiten für eine bessere Zahngesundheit.
Kinder haben heute erheblich weniger Karies als früher, der Besuch in der Zahnarztpraxis verläuft entsprechend entspannt. Trotzdem gibt es noch genügend Möglichkeiten für eine bessere Zahngesundheit. (Foto: Westend61/mauritius images)

Opas Gebiss im Glas ist Geschichte. Aber ist die Zahngesundheit der Deutschen wirklich so viel besser geworden? Sind Implantate empfehlenswert? Und was kann jeder tun, um seine Zähne bis ins Alter zu erhalten? Fragen an den Zahnmediziner Reinhard Hickel.

Interview von Christina Berndt

SZ: Herr Hickel, Sie sind mehr als 30 Jahre Direktor der Zahn-, Mund- und Kieferklinik der Universität München gewesen, bevor Sie im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen sind. Wie hat sich die Zahngesundheit der Deutschen in dieser Zeit verändert?

Reinhard Hickel: Sie ist eindeutig besser geworden. In diesen drei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Zähne, die jährlich neu gefüllt wurden, halbiert. Die Anzahl der gezogenen Zähne ist um ein Drittel gesunken und die Anzahl der Wurzelbehandlungen um fast ein Viertel. Das ist der Erfolg der Prävention. Die Zahnmedizin ist wirklich ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig und wirksam Maßnahmen zur Vorbeugung sein können. Als ich studiert habe, hatten zwei Drittel der Deutschen im Ruhestand eine Totalprothese. Heute gibt es dies kaum noch.

Weshalb ist die Prävention in der Zahnmedizin besser gelungen als in anderen Bereichen der Medizin? Weil Zahnschmerzen so wehtun und man den Erfolg so schnell sieht?

Das trägt bestimmt dazu bei. Die Patienten müssen ja lernen, dass sie selbst etwas dazu tun müssen, damit der Zahnarzt nicht mit dem Bohrer kommt. Schon Kinder spüren die Konsequenzen. So ist es für die allermeisten selbstverständlich geworden, zweimal am Tag die Zähne zu putzen. Früher hatte quasi jedes Kind Karies. Heute haben circa 80 Prozent der Zwölfjährigen keine oder sehr wenig. 20 Prozent haben dafür allerdings teils sehr viel.

Dann sprechen wir über diese 20 Prozent: Ist die Gesundheit der Zähne noch mehr eine soziale Frage als die etwa des Herzens?

Zum Teil. Sozial benachteiligte Familien wissen oft weniger über Zahnpflege. Aber es gibt natürlich auch Akademiker, auf die man lange einreden muss, bis sie ihre Zahnpflege verbessern. Und es hat auch viel mit Ideologie zu tun, ob Kinder gute Zähne haben und behalten: Manche Familien lehnen zum Beispiel Fluoridzahnpasta ab, weil sie sie für ungesund halten. Diese Menschen erreicht man etwa mit Zahnputzprogrammen im Kindergarten schlechter als sozial benachteiligte.

Der Zahnersatz ist jedenfalls durchaus eine Frage des Geldes. Da kommt man selten ohne Zuzahlungen aus, und die Preisunterschiede sind gewaltig.

In Deutschland ist die Situation noch recht fair. Grundsätzlich werden Zahnbehandlungen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. In der Schweiz wird hingegen ab dem 18. Lebensjahr nichts mehr bezahlt. Aber es stimmt schon, bei manchen Behandlungen gibt es hohe Zuzahlungen, die sich nicht jeder leisten kann. Implantate zum Beispiel zahlt die Kasse nur bei wenigen Indikationen, also eher im Ausnahmefall.

Reinhard Hickel war von 1992 bis 2024 Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Auch im Gesundheitsforum der  Süddeutschen Zeitung  engagiert er sich für das Thema Zahngesundheit.
Reinhard Hickel war von 1992 bis 2024 Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Auch im Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung engagiert er sich für das Thema Zahngesundheit. (Foto: Stephan Rumpf)

Sind Implantate denn empfehlenswert? Viele Menschen sind unzufrieden damit.

Wenn die Nachbarzähne noch gesund sind, haben Implantate einen klaren Vorteil. Denn für eine Brücke müsste man beide Nachbarzähne abschleifen. Bei richtiger Indikation und einwandfreier Ausführung haben Implantate nach fünf Jahren eine Erfolgsquote von circa 95 Prozent. Das bedeutet allerdings auch, dass bei einem von 20 Patienten etwas schiefgeht. Oft liegt das daran, dass die Knochensubstanz nicht gut genug ist oder eine chronische Zahnfleischentzündung, eine Parodontitis, vorliegt. Man muss Implantate sehr gut reinigen, sonst können sie infolge von Entzündungen verloren gehen oder müssen entfernt werden.

Das wird für viele Menschen im Alter ein Problem …

Ja, das ist so. Ältere Patienten, die zum Beispiel dement sind oder Einschränkungen etwa aufgrund von Parkinson oder einem Schlaganfall haben, können häufig nicht mehr so gut ihre Zähne reinigen, und auch die Pflegekraft schafft das oft nicht. Weil viel mehr Menschen jetzt mit Implantaten alt werden als noch vor einigen Jahren, sehe ich hier durchaus häufiger Probleme auf uns zukommen.

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So schafft sich die Zahnmedizin letztlich neue Probleme. Wo sehen Sie denn neben der Implantatpflege weitere Herausforderungen für die Zukunft?

Ein großes Problem ist nach wie vor die Parodontitis. Man kann vielen Patienten helfen, aber es bleibt doch eine hartnäckige Erkrankung. Derzeit wird intensiv daran geforscht, ob man spezielle pathogene Bakterien im Mund so reduzieren kann, dass nicht so leicht Parodontitis entsteht. Da wird zum Beispiel in der Forschung auch mit Bakteriophagen gearbeitet, die einzelne pathogene Bakterienarten abtöten. Aber das ist wirklich noch Zukunftsmusik.

Wie sieht es bei Wurzelbehandlungen aus? Die halten oft nur einige Jahre ... 

Auch bei Wurzelbehandlungen erhoffe ich mir einigen Fortschritt in den nächsten Jahren. Heute wird bei irreversibler Entzündung der Zahnnerv gezogen und die Wurzel gefüllt. In Zukunft könnte es gelingen, dass man durch regenerative Methoden etwa mit Stammzellen das Bindegewebe mit den Nerven wieder wachsen lässt, ähnlich wie man es beim Knochenwachstum versucht. Aber auch das wird sicher noch einige Jahre dauern, bis es praxisreif ist.

Und bei der Prävention? Könnte man dort trotz der bisherigen Erfolge noch besser werden?

Man könnte hier noch mehr erreichen, wenn die Menschen, die stärker gefährdet sind, engmaschiger untersucht und individueller versorgt werden. Sie müssten drei- bis viermal im Jahr zum Zahnarzt gehen statt einmal. Die Risiken für Karies und Parodontitis sind individuell sehr unterschiedlich. Das liegt zum Beispiel an der Immunreaktion, der Härte der Zahnsubstanz, aber auch am Lebensstil. Wir brauchen eine noch bessere und zuverlässigere Risikoeinschätzung, wer häufiger untersucht und gezielt therapiert werden muss. Dann könnte man die Notwendigkeit für Zahnersatz sicherlich noch viel weiter senken. Vielleicht sind Brücken und Implantate in 30 Jahren dann so selten wie heute die Totalprothesen.

Rund um das Thema Zahngesundheit veranstaltet die „Süddeutsche Zeitung“ am Montag, den 19. Mai ab 19.30 Uhr ein Gesundheitsforum. In der Online-Veranstaltung werden auch Fragen von Zuschauenden beantwortet. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung ist hier erforderlich.

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