MeinungWissenschaft:Wie die US-Regierung Fachzeitschriften einschüchtert, ist lächerlich, aber leider todernst

Kommentar von Berit Uhlmann

Lesezeit: 2 Min.

Wissenschaftliche Journals in den USA erhalten derzeit eigenartige Briefe von der Staatsanwaltschaft.
Wissenschaftliche Journals in den USA erhalten derzeit eigenartige Briefe von der Staatsanwaltschaft. (Foto: Andrew Harnik)

In den USA bekommen wissenschaftliche Fachzeitschriften Post vom Anwalt: Sie seien parteiisch. Darauf gibt es nur eine Antwort.

Das jüngste Anzeichen für die neue Wissenschaftsfeindlichkeit in Teilen der USA sind Anwaltsschreiben, gerichtet an die Herausgeber von medizinischen Fachzeitschriften. Der Absender ist der US-Staatsanwalt für den District of Columbia, Edward Martin. Auf dem Briefkopf prangt das Logo des Justizministeriums in Washington, D. C. Die Briefe gingen nach Berichten von US-Medien an das renommierte New England Journal of Medicine, die auf Erkrankungen des Brustraums spezialisierte Zeitschrift Chest und an mindestens ein weiteres Journal. In den Schreiben teilte der Anwalt mit: „Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, dass immer mehr Zeitschriften und Publikationen wie das Journal Chest zugeben, dass sie in verschiedenen wissenschaftlichen Debatten parteiisch sind.“

Das könnte man eigentlich lakonisch mit dem Hinweis abtun, dass wissenschaftliche Journals natürlich Partei ergreifen: für die Wissenschaft, für die beste Evidenz. Selbst in den ohnehin spärlichen Meinungsbeiträgen dieser Medien nehmen Autoren zwar eine subjektive Bewertung vor, argumentieren aber entlang klarer wissenschaftlicher Fakten, Kriterien und Prinzipien. Genauso kurz und bündig könnte man auch die Fragen abhandeln, die der Anwalt in seinem Schreiben beantwortet haben will. Etwa, wie die Fachjournale „ihrer Verantwortung nachkommen, die Öffentlichkeit vor Falschinformationen zu schützen“. Wie sie die Rolle jener bewerten, die Forschung finanzieren, und wie sie auf Vorwürfe reagieren, dass Autoren „ihre Leser in die Irre geführt haben könnten“.

Denn für all das haben seriöse Zeitschriften Standards. Chest etwa beruft sich auf die Richtlinien des „International Committee of Medical Journal Editors“, das auf 20 Seiten Empfehlungen zum wissenschaftlichen Publizieren gibt. Dazu gehört übrigens auch, dass Zeitschriften ihren Lesern die Möglichkeit bieten sollen, Artikel zu kommentieren, zu kritisieren – und damit eben auch andere Sichtweisen darzulegen.

Eigentlich ist das Schreiben lächerlich, doch die Lage ist ernst

Eigentlich also ist das ganze, seltsam unpräzise Schreiben lächerlich. Nur dürfte Lachen im Wissenschaftssektor der USA mittlerweile keine häufige Reaktion mehr sein. Die Lage ist längst zu ernst. So ist auch dieser Brief kein ergebnisoffener Fragenkatalog, sondern in der Summe der Formulierungen eine raunende Unterstellung. Sie lautet, dass Medizinzeitschriften auf Geheiß ihrer Geldgeber bestimmte Perspektiven unterdrücken, die von deren Sichtweise abweichen.

Mehr noch: Man kann den Brief auch als Drohung verstehen. Schließlich hatte der Anwalt Robert F. Kennedy Jr. vor seiner Ernennung zum Gesundheitsminister angekündigt, er werde Wege finden, Fachzeitschriften zu verklagen, „wenn sie nicht anfangen, echte Wissenschaft zu veröffentlichen“, und nicht aufhören, „gefälschte“ und von den Pharmafirmen bezahlte Wissenschaft zu publizieren.

Für Fachzeitschriften und Autoren ist die Aussicht auf Klagen und ähnliche Schikanen verstörend. Es besteht die reale Gefahr, dass sie nichts riskieren wollen: dass sie Themen, die von der Regierung verachtet werden, dass sie alles Politische in ihren Artikeln lieber meiden. Doch wenn renommierte Journals auch langfristig ihre Glaubwürdigkeit bewahren wollen, gibt es nur eine Option. Sie müssen standhaft bleiben und sich gegen das wehren, worum es bei diesen Angriffen eigentlich geht:  nämlich darum, Wissenschaft zu diskreditieren, Forschende einzuschüchtern und etablierte Normen zu zersetzen – zugunsten von Willkür und Narrenfreiheit für einige wenige.

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