Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

In der Pandemie sind viele Bürger verunsichert, welchem Experten sie Glauben schenken sollen. Da hilft eine einfache Überlegung.

Kommentar von Felix Hütten

Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen sich manchmal gezwungen, auf den Tisch zu hauen. Diese Woche fand Melanie Brinkmann, Virologin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, deutliche Worte: "Ich bin es ehrlich gesagt etwas leid", sagte sie. "Wir haben den Sommer damit verschwendet, darüber zu diskutieren, wie gefährlich das Virus eigentlich ist." Und weiter: "Ich erzähl doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor am Auto ist."

Es ist ja nur verständlich. Aus Sicht von Forschern, die sich täglich mit Viren beschäftigen, wirkt es einigermaßen seltsam, dass es in Deutschland derzeit gefühlte 80 Millionen Bundestrainer, also nein, Virologen gibt, die über PCR-Primer, Exponentialfunktionen und Spike-Proteine beratschlagen. Und mitunter sogar meinen, es besser zu wissen als Brinkmann und Kollegen. Interessanterweise aber, und das muss man einmal deutlich aussprechen, sind viele der in den sozialen Medien von Hobby-Epidemiologen und "Querdenkern" aufgestellten Behauptungen schlichtweg falsch. Die Details zu Sars-CoV-2 sind dann doch ein bisschen komplexer, als es so manch Verschwörungs-Chatgruppe suggeriert.

Welchem Experten soll man denn nun vertrauen? Viele Bürger tun sich schwer

Dabei kann man den Impuls vieler Menschen durchaus verstehen, in einer Krise, wie sie derzeit die Welt bestimmt, nicht taten- und gedankenlos zusehen zu wollen. Also ab ins Internet, mal sehen, was es dort zu finden gibt. Das Ergebnis sind viele verschiedene "Meinungen", ein Dschungel an Informationen, sodass es dem sinnsuchenden Bürger zunehmend schwerfällt einzuschätzen, welchem Experten er denn nun vertrauen soll.

Und wenn man niemanden mehr vertrauen kann, dann doch am ehestem einem selbst. Das aber ist ein Problem. Vor ein paar Tagen schrieb der italienische Physiker Carlo Rovelli im Guardian über das Phänomen des Analphabetentums in Sachen Statistik. "Die meisten von uns haben nur ein vages Verständnis von Durchschnittswerten, Variabilität und Korrelationen", schrieb Rovelli - und doch verwenden viele Menschen diese Begriffe, und machen dabei oft Fehler. Die gegenwärtige Pandemie zeige das erneut.

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Was also tun? Die Antwort ist nicht leicht zu finden, aber immerhin eine Überlegung wert. Vielleicht hilft erneut das Beispiel von der Autowerkstatt. Es mag passieren, dass man in seiner Not auch mal übers Ohr gehauen wird. Aber sind deshalb alle Mechaniker dieses Landes inkompetent und korrupt? Und sind jene, die das behaupten, wirklich seriös? Vor allem: Bekommt man ein kaputtes Auto tatsächlich wieder zum Fahren, wenn man sich zuvor im Internet ein paar Reparaturanleitungen angeschaut hat? Ein bisschen Vertrauen ist durchaus erlaubt, sowohl in die örtliche Werkstatt als auch in die deutsche Spitzenforschung.

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