Wer weiß, was jetzt noch daraus wird, da die Ampelregierung in Trümmern liegt. Immerhin ist es eine fraktionsübergreifende Initiative, in der Abgeordnete die Widerspruchsregelung bei der Organspende einführen wollen. Gerade ist der Gesetzentwurf veröffentlicht worden, den neben Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem Arzt Janosch Dahmen (Die Grünen) mehr als einhundert weitere Abgeordnete inklusive Bundeskanzler Olaf Scholz unterzeichnet haben.
Ziel des Entwurfs ist es, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Derzeit befinden sich in Deutschland 8400 Patienten auf der Warteliste. Bis sie drankommen und eine neue Niere, eine neue Lunge oder ein Herz erhalten, ist es für etliche Kranke zu spät. Würde die Widerspruchsregelung umgesetzt, kämen als Organ- und Gewebespender künftig nicht nur Menschen infrage, die einer Organentnahme vor ihrem Tod zugestimmt haben, sondern auch jene, die nicht ausdrücklich widersprochen haben. Es klingt naheliegend, dass auf diese Weise die Spendenrate gesteigert würde, bewiesen ist das allerdings nicht. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB), die jetzt im Fachmagazin Public Health veröffentlicht wurde, hat gezeigt, dass die Umstellung auf ein System, bei dem alle Erwachsenen als Organspender gelten, es sei denn, sie widersprechen, nicht zur Zunahme der Spenden führt.
Kürzlich hatte eine Analyse aller OECD-Mitgliedsländer bereits ergeben, dass es keine Unterschiede der Spendenraten Verstorbener zwischen Ländern mit Zustimmungs- und Widerspruchslösung gibt. Da dies an ländertypischen Eigenheiten liegen könnte, wurden in der aktuellen Studie Veränderungen der Spendenraten in jenen Ländern analysiert, die zwischen 2005 und 2015 von der Zustimmungs- zur Widerspruchsregelung gewechselt hatten. Dies war in Chile, Argentinien, Schweden, Uruguay und Wales der Fall – und hier führte der Wechsel nicht zum Anstieg der Spendenraten. Der langfristige Trend blieb gleich.
Oft sprechen sich Angehörige gegen die Organspende aus
„Der bloße Wechsel führt nicht automatisch zu mehr Organspenden“, sagt Mattea Dallacker, die die Studie leitete. „Ohne begleitende Investitionen in das Gesundheitssystem und Aufklärungskampagnen ist es unwahrscheinlich, dass ein Wechsel die Zahl der Spenden erhöht.“ Dennoch werden Forderungen nach einer Änderung politisch lauter. „Dabei gibt es keine einfache Lösung für die komplexe Herausforderung, die Spendenraten zu erhöhen“, so Dallacker.
Um dies zu erreichen, müssten in die Transplantationskoordinierung investiert und medizinische Teams geschult werden, die schwierige Gespräche mit Familien zu führen, schreiben die Studienautoren. Denn selbst dann, wenn eine Einwilligung zur Organspende angenommen wird, werden Familien oft konsultiert und können die mutmaßliche Zustimmung außer Kraft setzen. Da viele Menschen mit ihren Angehörigen nicht über ihre Spendenbereitschaft gesprochen haben, kann die Widerspruchslösung zu Zögern und Ablehnung führen. „Eine mögliche Alternative ist ein System der verpflichtenden Entscheidung“, sagt Ralph Hertwig vom MPIB. „Dies würde es ermöglichen, Zustimmung oder Ablehnung zur Organspende zu registrieren, beispielsweise bei der Beantragung eines Führerscheins oder Personalausweises.“