WHO:Das höchste Gesundheitsamt krankt

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In der Ebola-Krise im Jahr 2014 - hier eine medizinische Notfalleinrichtung in Liberia - machte die WHO keine gute Figur. (Foto: Daniel Berehulak/NYT/Redux/laif)

Von Geldnot geplagt, unflexibel und in Gefahr, die Bedeutung zu verlieren: Die WHO steckt in der Krise. Nun wählt sie einen neuen Generaldirektor, es ist einer der undankbarsten Jobs dieser Welt.

Von Berit Uhlmann

Für diesen Job darf man nicht empfindlich sein. Bei ihrem letzten großen Auftritt bekam WHO-Chefin Margaret Chan einen handbemalten Schal überreicht. Darauf: Darmparasiten, Würmer, Bakterien - all die fiesen Organismen, die vor allem Bewohner in der Dritten Welt bedrohen. "Der kreativste Schal, den ich je erhalten habe", lobte Chan routiniert, richtete sich auf und nahm Applaus entgegen.

Chan scheidet mit aller Feierlichkeit aus dem Amt, doch sie hinterlässt eine Weltgesundheitsorganisation in tiefer Krise. Eine Behörde, "die auf traurige Weise den Anschluss an die globalisierte Welt verloren hat", kritisiert die Politologin Kelley Lee, die an der kanadischen Simon Frazer University forscht. Wenn die 194 Mitgliedstaaten in dieser Woche einen neuen Generaldirektor wählen, geht es also auch um die künftige Ausrichtung der Organisation, für manche Beobachter sogar um deren Fortbestand.

Als die WHO 1948 ihre Arbeit aufnahm, standen die Gründerväter noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs. Die Erde kranke an der "Perversion des Menschen", "an seiner Unfähigkeit, mit sich selbst in Frieden zu leben", befand der erste Generaldirektor Brock Chisholm und holte zum ganz großen Schlag aus. Gesundheit wurde unter seiner Führung als ein Zustand von vollständigem "physischen, geistigen und sozialen Wohlbefinden" definiert. Es war der Beginn eines Richtungsstreits, der bis heute anhält. Was soll die Aufgabe dieses Weltkrankenhauses sein? Die Gesundheit als allumfassendes Gut bis zum entlegensten Einflussfaktor hin zu hüten oder gezielt einzelne Krankheiten nach dem medizinischen Standard zu bekämpfen? Und wie soll die Organisation bei all dem vorgehen? Leitlinien entwerfen oder ihr Wissen auch zu den Menschen tragen?

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Die Genfer Behörde gab in alle Richtungen nach. Sie ging zum einen in die Tiefe und sagte immer wieder einzelnen Leiden den Kampf an - meist ohne durchschlagenden Erfolg. Und sie wuchs in die Breite. Unter dem Druck von Ländern und Sponsoren rief sie immer mehr und immer umfassendere Programme, Projekte und Partnerschaften ins Leben. Heute sind allein drei Vorhaben der Gewaltprävention gewidmet. Ist so ein Programm erst einmal eingerichtet, werden seine Verantwortlichen alles daran setzen, den eigenen Themenbereich als drängendes Problem zu schildern, sagt ein Insider. Man bekommt es nur sehr schwer wieder los.

Die WHO wucherte bis zur Unübersichtlichkeit. Sie hat es ja nicht nur mit den Befindlichkeiten all ihrer Staaten zu tun, die die seltsamsten Zugeständnisse erfordern. So ist Israel in der WHO-Logik bis heute Europa zugeordnet, weil die Staaten des Nahen Ostens das Land nicht in ihrer Gruppe haben wollten. Die WHO hat auch ein Interessen-Wirrwarr innerhalb des 7000-Mitarbeiter-Hauses. Es führt zu Fragmentierung und Koordinationsproblemen, zu permanenter Konkurrenz und überbordender Bürokratie.

Wie man sich das vorstellen muss, beschrieb Donald Henderson in seinen Erinnerungen. Der US-Gesundheitswissenschaftler war angetreten, die Pocken in jedem Winkel der Welt auszurotten. Doch schon die banalste Anfrage an einen Mitarbeiter in einem anderen Land musste über das zuständige Regionalbüro versendet werden, wo sie geprüft, umformuliert, vom Chef persönlich unterzeichnet und schließlich weitergeleitet wurde. Bis eine Antwort über die gleiche Route zurückkam, konnten vier, fünf Monate vergehen. Am Ende zahlte Henderson jede Briefmarke aus seiner Privatbörse, um auf direktem Weg zu kommunizieren. Ironischerweise verhalf er der Behörde mit dieser Art von Renitenz und politischer Jonglage zu ihrem größten Erfolg: Das Pocken-Virus verschwand von der Erdoberfläche.

Auch dies ist die WHO: In den 1980er-Jahren kämpfte der Leiter des lediglich dreiköpfigen Teams zur Überwachung von Geschlechtskrankheiten ernsthaft darum, dass ihm die Hunderte Mann starke neue HIV-Abteilung untergeordnet werde. Er sei eben der Weltverantwortliche für sexuell übertragbare Krankheiten, zu denen auch Aids gehöre, zitiert ihn der ehemalige UNAIDS-Direktor Peter Piot in seiner Autobiografie. Wenig später trat Hiroshi Nakajima sein Amt als Generaldirektor an und hielt von all dem gar nichts: "Hören Sie mir auf mit Aids. Ich habe es mit Malaria zu tun, das ist ein viel größerer Killer." Er stutzte das Programm seines Vorgängers so weit zurück, dass die WHO die Hoheit über die Immunschwäche-Erkrankung verlor. Die Vereinten Nationen gründeten UNAIDS, es war eine der größten Schlappen in der Geschichte der WHO.

Auf ähnliche Weise büßte die Organisation Vertrauen ein, weil sie im Fall der Schweinegrippe überhastet Alarm schlug, dann aber übersah, dass sich in drei bitterarmen Ländern Afrikas eine nie dagewesene Ebola-Epidemie zusammenbraute. Margaret Chan wird wohl für immer mit diesem Versäumnis in Verbindung gebracht werden, obgleich deren Gründe tiefer liegen. Mehrere Gremien haben die Missstände zwischenzeitlich skizziert: Es fehlt der WHO an Macht über die Mitgliedstaaten, an einem funktionierenden Warnsystem und vor allem an Geld.

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80 Prozent des WHO-Budgets sind freiwillige Zuwendungen von Spendern wie der Gates-Stiftung. Mit dem Geld überreichen die Sponsoren eine Liste, wofür es auszugeben sei. In der Regel fließt es in den medienwirksamen Krieg gegen Infektionskrankheiten oder in die Gesundheit von Müttern und Kindern, an denen auch die Pharmaindustrie verdient. "Die WHO ist dann de facto Durchführungsorganisation für die Programme dieser Geber", sagt Albrecht Jahn vom Heidelberger Institute of Public Health: "Ihren Anspruch als führende internationale Gesundheitsorganisation kann sie so nicht durchsetzen."

"Der nächste Generaldirektor muss sich gegen Versuche wappnen, die unabhängige Mission der WHO zu unterminieren und die Organisation vor kommerziellen Interessen schützen", fordert Marco Alves, Koordinator bei Ärzte ohne Grenzen. Auch für ihn ist die prekäre Finanzierung das größte Problem der WHO. Zur freien Verfügung bekommt das Genfer Haus alle zwei Jahre etwa eine Milliarde Dollar von den Mitgliedsländern. Das ist weniger als der Jahresetat einer mittleren Uniklinik.

Das Geld ist so knapp, dass die WHO klagt, sie könne nicht einmal eine Reform finanzieren. Einer WHO mit Reformstau aber geben die Mitgliedsländer erst recht nicht mehr Geld. "Todestanz" nennt Kelley Lee diese Entwicklung und befürchtet, dass die WHO zur Randfigur auf dem "überfüllten Feld" der globalen Gesundheit werde. Denn längst muss sich die WHO gegen immer mehr Stiftungen und Initiativen behaupten.

Drei Kandidaten konkurrieren um einen extrem harten Posten

Wie also soll es weitergehen? "Mindestens vier Generaldirektoren waren nicht in der Lage, die chronischen Probleme zu lösen", sagt Lee, die ein Buch über die WHO geschrieben hat. Mittlerweile sei es mit einem weiteren "Herumflicken" nicht mehr getan. Die Organisation müsse ihre Rolle von Grund auf neu definieren. Nach Ansicht vieler Experten läuft dies auf eine Verschlankung hinaus: weniger Aufgaben, für die aber mehr Macht und Geld.

Damit sind die Erwartungen an den neuen Direktor immens. Drei Kandidaten stehen zur Auswahl, darunter der äthiopische Politiker Tedros Adhanom Ghebreyesus, der den Proporz auf seiner Seite hat. Neben Australien ist Afrika der einzige Kontinent, der noch nie einen Generaldirektor gestellt hat. Mit ihm konkurrieren der Brite David Nabarro, der als sehr erfahren gilt, und Sania Nishtar aus Pakistan.

Wer auch immer die Wahl gewinnt, muss sich auf das einstellen, was Chan in einem ihrer seltenen Interviews bekannte: "Der Job wird immer härter." Als sie kürzlich mit ihrem Schal voller Parasiten in Genf stand, ahnte man etwas von dem Druck und Frust des Amtes. Ihre resolute Stimme gab für einen Moment nach, als sie daran erinnerte, für wen sie eigentlich da ist: "die Menschen dieser Welt".

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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