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WHO-Bericht zur Gesundheit in Europa:Risse durch den Kontinent

Wir werden immer gesünder und leben immer länger. Jedoch: In Teilen Europas sterben die Menschen 13 Jahre früher als in anderen. In manchen Gegenden erliegen 13 Mal mehr Männer einer Herzkrankheit als in den europäischen Nachbarländern. Der aktuelle WHO-Bericht zeichnet das Bild einer zerrissenen Region.

Von Berit Uhlmann

Die gute Nachricht lautet: Die Europäer erfreuen sich im Schnitt immer besserer Gesundheit. Die weniger angenehme Botschaft: Es geht ihnen nicht überall wirklich gut, wie der neue Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO für die europäischen (und einige weitere) Länder offenbart.

Es ist ein Bericht, in dem das Wort "aber" dominiert. Er vermeldet durchaus beachtliche Erfolge, doch fast alle enthalten Einschränkungen. Denn was die Gesundheit anbelangt, ist Europa längst nicht geeint. "Es gibt anhaltende und weitreichende Unterschiede", sagt Zsuzsanna Jakab, WHO-Regional-Direktorin für Europa. Sie nennt die Diskrepanzen "unnötig und ungerecht" - und "teilweise besorgniserregend". Die eklatantesten Beispiel im Überblick:

Lebenserwartung

Die Lebenserwartung steigt deutlich: 2010 wurden die Europäer im Schnitt 76 Jahre alt und lebten damit fünf Jahre länger als noch 1980. Doch zwischen den Ländern mit der höchsten und der niedrigsten Lebenserwartung klafft eine gewaltige Lücke: Schweizer, Isländer und viele Bewohner des Mittelmeerraums erreichen im Schnitt ein Alter von 82 Jahren. Einwohner Russlands können dagegen nur auf knapp 69 Lebensjahre hoffen. Deutschland liegt mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von über 80 Jahren im oberen Drittel des Länderrankings.

Todesursache Nummer eins

Fast jeder zweite Europäer stirbt an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, vor allem an Herzinfarkt und Schlaganfall. Zwar geht die Rate der tödlichen Herzerkrankungen europaweit zurück. Doch in einigen Ländern Osteuropas stagniert sie oder nimmt sogar leicht zu. Damit kommt es zu eklatanten Unterschieden: Die Sterberate bei männlichen Herzpatienten ist in manchen osteuropäischen Ländern 13 Mal höher als in anderen Regionen Europas. Die WHO-Daten zeigen - wie auch die EU-Statistiken - dass sich auf der Karte der Herzgesundheit quasi die Grenzen des Kalten Krieges nachzeichnen lassen. Weniger gut funktionierende Gesundheitssysteme und damit einhergehendes mangelndes Gesundheitsbewusstsein dürften die Hauptursache sein.

Infektionskrankheiten

Europa hat die niedrigste Rate an übertragbaren Krankheiten weltweit. Sorge bereitet den Experten jedoch, dass die fast schon überwunden geglaubten Krankheiten Kinderlähmung, Masern und Röteln sich immer wieder zurückmelden. So fällt Europa in jüngster Zeit negativ auf, weil es nicht in den Griff bekommt, was Nord- und Südamerika längst geschafft haben: die Masern auszurotten. Impfmüdigkeit ist ein wesentlicher Grund dafür.

Suizide

Europaweit sinkt die Rate der Suizide seit etlichen Jahren. Doch seit 2008 die Wirtschafts- und Finanzkrise auf den Kontinent übergriff, schwächt sich der Rückgang ab. In einigen Ländern nimmt die Zahl der Selbsttötungen sogar wieder zu. Plötzliche ökonomische Veränderungen können zu starken psychischen Belastungen führen. Die WHO zitiert Erhebungen, wonach ein Anstieg der Arbeitslosigkeit um mehr als drei Prozent versuchte und tatsächliche Selbsttötungen um fast fünf Prozent ansteigen lässt.

Alkohol und Tabakkonsum

Europa verzeichnet auch Rekorde, die alles andere als erfreulich sind. Auf dem Kontinent wird mehr Alkohol getrunken als im Rest der Welt. Seit zehn Jahren stagniert der Konsum; 6,5 Prozent aller Todesfälle gehen auf zu viel Alkohol zurück. Besonders heftig getrunken wird in den osteuropäischen Ländern, allen voran Moldawien (Republik Moldau). Am unteren Ende des Alkoholrankings liegen vor allem nordeuropäische Staaten. Deutsche trinken mehr als der europäische Durschschnitt.

Auch beim Rauchen hält Europa einen besorgniserregenden Rekord: 27 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren greift regelmäßig zum Tabak. Dieser Anteil ist höher als in anderen Regionen der Welt - obwohl es fast überall in Europa Aufklärungs- und Anti-Tabak-Maßnahmen gibt. In Weißrussland, der Ukraine und Moldawien rauchen mehr als die Hälfte aller Männer. In Schweden dagegen sind es nicht einmal 15 Prozent. In dem skandinavischen Land könnte der verbreitete Lutschtabak Snus zu der geringen Raucherrate beitragen. Generell jedoch hält die WHO vor allem hohe Zigarettenpreise für niedrigere Raucherzahlen verantwortlich. Die Preise für ein Zigarettenpäckchen schwanken in Europa zwischen umgerechnet einem und zehn Dollar.

Der WHO-Report erscheint alle drei Jahre. In ihn fließen Daten von fast 900 Millionen Menschen aus 53 Ländern ein, die die WHO in ihrer Region Europa zusammenfasst. Dazu gehören auch Staaten der ehemalige Sowjetunion sowie die Türkei und Israel.

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