Westafrika:Der Schatten von Ebola

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Nach zwei Jahren Kampf ist die Epidemie in Afrika so gut wie besiegt. Jetzt müssen die richtigen Lehren gezogen werden.

Von Luis Encinas

Die größte Ebola-Epidemie der Geschichte scheint zu ihrem Ende zu kommen. Nach zwei Jahren Kampf hatten wir vergangene Woche sogar gehofft, schon am Ziel zu sein: Am Donnerstag war Liberia, vermeintlich das letzte der betroffenen Länder, als Ebola-frei erklärt worden. Doch schon am Freitag bestätigte die Weltgesundheitsorganisation einen neuen Fall in Sierra Leone.

In den vergangenen zwei Jahren wurden mehr als 28 000 Menschen mit dem Ebola-Virus infiziert, mehr als 11 000 von ihnen starben. Diese Zahlen geben aber nur einen Teil der Wirklichkeit wieder. Das wahre Ausmaß der Krise, die von ihr verursachten Todesfälle und langfristigen Schäden lassen sich nicht genau beziffern. Ebola brachte unermessliches Leid, zerriss Gemeinschaften und zerstörte ohnehin schon marode Gesundheitssysteme. Mehr als 500 Gesundheitsmitarbeiter starben. Damit verschlimmerte sich der Mangel an qualifiziertem medizinischen Personal in den betroffenen Ländern noch weiter.

Viele bezeichneten diese Epidemie als schlimmstmögliches Szenario. Sie meinten damit die Kombination aus durchlässigen Grenzen, über die sich Ebola ungehindert ausbreiten konnte, schwachen öffentlichen Gesundheitssystemen und fehlendem Wissen über die Krankheit. Das ist zutreffend. Doch dabei vernachlässigt man das völlige Versagen des globalen Gesundheitssystems und vieler Institutionen.

Was haben wir aus der Epidemie gelernt und was muss anders werden? Im Interesse aller müssen wir so schnell wie möglich handeln - fragile Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern stärken und unsere Institutionen so reformieren, dass sie besser auf Notfälle reagieren können. Die Schwerfälligkeit der internationalen Hilfe, wie sie während der Epidemie zu beobachten war, darf sich nicht wiederholen.

Ebola wurde zunächst - wie bei allen Ausbrüchen zuvor - als afrikanisches Problem angesehen. Erst als die ersten Erkrankten in entwickelte Länder einreisten, rief die Epidemie internationale Reaktionen hervor. Die Länder versuchten, sich mit der Aussetzung von Flugverbindungen und ähnlichem abzuschotten. Sie mussten erkennen, dass man Epidemien in der globalisierten Welt nicht als ausländisches Phänomen abtun kann.

Erst mit mehr als sechs Monaten Verzögerung startete die dringend notwendige weltweite Hilfe. Ressourcen - sowohl Mitarbeiter als auch Kapital - wurden zur Verfügung gestellt, wenn auch oft zögerlich. Spanien etwa hat für die Ebola-Bekämpfung im eigenen Land - wo es nur drei Patienten gab - mehr Geld ausgegeben als für die Hilfe in ganz Westafrika. Doch nach und nach wurden zahlreiche Einsatzkräfte in die betroffenen Länder geschickt, es gab Schulungen und Expertentreffen, Ebolazentren und Labors wurden aufgebaut. Viele arbeiteten rund um die Uhr daran, wirksame Impfstoffe und Medikamente zu finden. Im Juli 2015 hatten sie endlich Erfolg: Einer der Impfstoffe erwies sich als wirksam - keine der geimpften Personen erkrankte mehr. Doch trotz solcher Fortschritte bin ich besorgt, dass einige wichtige Lektionen noch immer nicht verstanden wurden.

Um bei künftigen Epidemien mehr Leben zu retten und die Ausbreitung zu stoppen, müssen die Patienten und ihr Umfeld mehr in den Blick genommen werden. Die Behandlung von Patienten einschließlich des Schutzes derjenigen, die für sie sorgen - seien es unterstützende Familienangehörige oder medizinisches Personal - muss Priorität haben.

Entscheidend ist, dass wir die Kapazitäten zur Krisenreaktion kritisch überprüfen. Das gilt für hämorrhagische Fiebererkrankungen wie Ebola genauso wie für das MERS-Virus oder möglicherweise neue tödliche Infektionskrankheiten, und es gilt für Frühwarnsysteme genauso wie für die Behandlungskapazitäten. Dringend nötig sind vor allem Verbesserungen bei der epidemiologischen Überwachung. Dazu muss erheblich in Schulungen, Schutzausrüstung und Labors investiert werden.

In Guinea, Liberia und Sierra Leone haben die Gesundheitsbehörden jetzt das fachliche Wissen und die Labore, um einen neuen Ebola-Ausbruch zu erkennen. Das alles gab es vor der Epidemie noch nicht. Helfer, Mitarbeiter von NGOs und nationalen wie internationalen Institutionen haben Schulungen zu Ebola absolviert. Sie wurden unter anderen von "Ärzte ohne Grenzen", der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem amerikanischen Center for Disease Control and Prevention angeleitet. Dieses Wissen muss jetzt in der Frühphase des nächsten Ausbruchs umgesetzt werden.

Die Vorschläge zur Reform des globalen Gesundheitssystems haben sich richtigerweise darauf konzentriert, Überwachung und Krisenreaktion zu stärken. Doch in den einzelnen Staaten gibt die zunehmende Privatisierung von medizinischen Einrichtungen Anlass zur Sorge. Starke öffentliche Gesundheitssysteme sind die Grundlage, auf die eine effektive Krisenreaktion aufbauen muss. Diese müssen deshalb unterstützt werden.

Länder, die eine Seuche bekämpfen, müssen belohnt, nicht bestraft werden

Dagegen müssen Straf- und Zwangsmaßnahmen wie eine militärisch durchgesetzte Quarantäne und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung kritisch hinterfragt werden. Wir haben während der Epidemie auch Fälle unmenschlicher Behandlung erlebt, und daraus sind negative Folgen erwachsen. Die Kriminalisierung von Patienten, ihrer Familien und Dorf- oder Stadtgemeinden muss vermieden werden.

Es ist außerordentlich wichtig, dass die Staaten, die gegen eine Epidemie kämpfen, belohnt und unterstützt werden, statt sie zu bestrafen. Die Angst vor wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen hat die Bekämpfung der Epidemie in der Frühphase stark behindert. Ebola ist ein tragisches Beispiel dafür, dass es ohne staatenübergreifende Lösungen gegen vergessene und vernachlässigte Krankheiten nicht geht. Die Forschung und die Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika sowie die Finanzierung neuer Behandlungsmethoden müssen sich stets nach dem Bedarf der Menschen richten, nicht nach Kapitalrenditen und Gewinnen. Die Forschungsergebnisse sollten als globales öffentliches Gut angesehen und auf die Bedürfnisse der Patienten, Mediziner und Staaten zugeschnitten werden.

Die Ebola-Epidemie von 2014 bis 2016 ist ein Extrembeispiel dafür, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Das darf sich niemals wiederholen. Die Welt braucht jetzt starke Führung und den politischen Willen zu handeln, damit das globale Gesundheitssystem nicht noch einmal in einem solchen Ausmaß versagt wie bei Ebola.

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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