Wein:Abfuhr für das Allheilmittel der Toskana-Fraktion

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Im Chianti gehören Trauben und Wein zum Alltag.

(Foto: AFP)

Wein soll ja so gesund sein, sein Inhaltsstoff Resveratrol gilt als heißester Kandidat für die vermeintlichen Wunderwirkungen. Nun haben Forscher in der Weinregion Chianti nachgeforscht - und sprechen zumindest dem Resveratrol die Wirksamkeit ab.

Von Werner Bartens

Es ist die beliebteste Ausrede von Weinliebhabern: Der Rebensaft ist ja so gesund - er hält die Gefäße geschmeidig, schont das Herz und verhilft zu einem längeren Leben. Wer zu Schulzeiten einen Chemiebaukasten hatte, kann oft sogar den Namen des Mittels buchstabieren, das dafür verantwortlich sein soll: Resveratrol ist seit Jahren der heißeste Kandidat, wenn es darum geht, den Wohltäter im Wein zu identifizieren.

Die Substanz ist ein antioxidativ wirksames Polyphenol, das zwar erstmals aus dem Japanischen Staudenknöterich isoliert wurde, seit seiner Entdeckung in Weintrauben, Schokolade, Himbeeren und Erdnüssen aber als populäres Allheilmittel gegen Krebs und Gefäßverkalkung gilt.

Doch leider hält der Glaube an die Wunderwirkung einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht stand. Ärzte um Richard Semba von der Johns Hopkins School of Medicine zeigen im Fachblatt JAMA Internal Medicine (online), dass viel Resveratrol in der Nahrung nicht dazu führt, dass Menschen seltener an Herzleiden oder Krebs erkranken - und dass sie auch nicht länger leben.

"Die Resveratrol-Story ist wieder so ein Fall, in dem ein Riesen-Hype um den Gesundheitsnutzen gemacht wird, der dann aber nicht der Überprüfung standhält", sagt Semba. "Die Leute glauben, dass bestimmte Lebensmittel gut für sie sind, weil sie Resveratrol enthalten - das konnten wir überhaupt nicht nachvollziehen."

Mythos von der Wunderwirkung

Die Forscher hatten fast 800 ältere Bewohner aus dem Chianti untersucht. In dieser Gegend der Toskana wird traditionell viel Wein getrunken. In Sammelurinproben der Senioren bestimmten sie die Konzentration der Resveratrol-Abbauprodukte und damit, wie viel Wein die Teilnehmer im Schnitt zu sich nehmen. In der Gruppe der über 65-Jährigen mit den höchsten Resveratrol-Spiegeln kam es im Verlauf der neunjährigen Beobachtung aber weder zu weniger Todesfällen noch zu selteneren Tumoren oder Herzinfarkten. Auch die Entzündungswerte lagen nicht unter denen jener Teilnehmer, die weniger Wein tranken.

Das "französische Paradox", das Franzosen - und anderen Mittelmeeranrainern - eine hohe Lebenserwartung beschert, obwohl sie mit Wildschwein, Baguette und Croissants viele gesättigte Fettsäuren zu sich nehmen, kann also nicht mit dem Resveratrol im Wein erklärt werden. "Ihr müsst den Chianti trotzdem nicht in den Schrank verbannen", sagt Semba. "Der Nutzen von Wein, der ja in vielen Studien nachgewiesen ist, stammt vermutlich von anderen Substanzen als Resveratrol." Immer wieder zeigte sich, dass regelmäßiger, aber mäßiger Alkoholkonsum gut für das Herz ist und Entzündungen in Schach hält.

Clarissa Gerhäuser vom DKFZ in Heidelberg kann den Fehlschluss erklären, wenn einer Substanz zu viel zugetraut wird. Sie weiß von "Hunderten von Studien", in denen vermeintlich gezeigt wurde, wie Inhaltsstoffe von Wein, grünem Tee, Brokkoli oder Soja allerlei Wunderdinge verrichten. Doch meistens wurde im Labor getestet, nicht im richtigen Leben. "Man hat Reinstoffe untersucht, aber nicht Mischformen der Substanzen, wie sie in Lebensmitteln nun mal vorhanden sind. Zudem wird oft eine hohe Dosis verwendet, manchmal um das Hundertfache höher als die kleine Menge, die wir im Körper nachweisen können."

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