Süddeutsche Zeitung

Wasser:Hokuspokus aus der Leitung

Esoteriker und Gesundheitsfanatiker zahlen Unsummen für "rohes" oder "lebendiges" Trinkwasser, dem sie heilsame Eigenschaften zuschreiben. Dahinter steckt vor allem Geschäftemacherei.

Von Christoph Behrens

Für umgerechnet 31 Euro bekommt man in den meisten Feinkostläden eine gute Flasche französischen Champagner. In einigen Supermärkten in Kalifornien erhält man für diese Summe einen Kanister Trinkwasser mit Verfallsdatum. "Wenn man es zu lange stehen lässt, verfärbt es sich grün", sagte der Gründer der Firma Live Water, Mukhande Singh, der New York Times. Die amerikanische Firma beliefert Anhänger einer Gesundheits-Bewegung, die es nach "Raw Water", rohem Wasser, dürstet. Live Water bewirbt sein Wasser nicht etwa als besonders sauber, sondern als ursprünglich und unbehandelt. Gezapft wird es von einer Bergquelle im Bundesstaat Oregon und ungefiltert abgefüllt. Die Firma behauptet, krankmachende Keime könnten nicht in die Behälter gelangen, das Quellwasser enthalte aber "gute Bakterien", die dem Wasser "heilsame Fähigkeiten" verleihen würden. "Lebendiges Quellwasser ist der Schlüssel, um eine perfekte Balance des Mikrobioms zu erreichen", so die Werbung.

Schon seit Jahrhunderten lässt sich mit der Anpreisung von Trinkwasser als besonders, heilsam oder heilig viel Geld verdienen. Diese Heilsversprechen verfangen heute bei gesundheitsfixierten Milieus aufs Neue, und finden durch das Internet noch besonders schnelle Verbreitung. Längst konkurrieren etliche Firmen um das unberührteste Wasser. "Zero Mass Water" aus Arizona hat ein System entwickelt, das angetrieben von Solarpaneelen Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft zieht. Das 4500 US-Dollar teure System gewinnt etwa zehn Liter am Tag. Andere Raw-Water-Anhänger machen sich gleich selbst in der Wildnis auf die Suche nach Wasserquellen, um ihr Trinkwasser in mitgebrachte Flaschen zu füllen - ohne zu wissen, welche Verunreinigungen sie mit abzapfen.

Ein Grund für das Verlangen nach dem Urwasser dürfte sein, dass Leitungswasser in den USA häufig mit Chlorid oder Fluorid versetzt ist, um Keime abzutöten. In den verwendeten Mengen sind die Stoffe unbedenklich, doch sie verleihen dem Leitungswasser manchmal einen faden Beigeschmack. "Daher kommt wohl der Wunsch nach einem möglichst natürlichen Geschmack", sagt der Lebensmittelchemiker Helge Bergmann. So sei vermutlich der Hype um das lebendige Wasser in den USA entstanden.

Auch in unberührter Wildnis kann Wasser verschmutzt sein, durch Wildtiere zum Beispiel

Das erklärt allerdings noch nicht, warum die Raw-Water-Fans nicht einfach Mineralwasser trinken, statt dubiosen Firmen zu vertrauen oder selbst in der Wildnis nach Quellen zu suchen - zumal das ziemlich ungesund sein kann. "Wasser ist nirgends steril", sagt Bergmann. "Sobald es gelagert oder transportiert wird, muss es behandelt werden." Auch in vermeintlich unberührten Gebieten können Wasserläufe verunreinigt sein, etwa durch Ausscheidungen von Wildtieren. Es drohen dann Durchfall und Infektionen.

Im deutschsprachigen Raum veranstaltet vor allem die Esoterik-Szene ein großes Bohei um "lebendiges", "levitiertes" oder "vitalisiertes" Wasser, dem "eine höhere Qualität" angedichtet wird als Wasser aus der Leitung. Nach dieser Vorstellung verfügt dieses höherwertige Wasser über ein Gedächtnis, um "Informationen" aus der Umwelt zu speichern. Diese "wirkliche Natur des Wassers" gehe aber in der modernen Zivilisation verloren, etwa weil das Wasser in Rohrleitungen unter Druck stehe oder Handystrahlen ausgesetzt sei.

Die Vorstellungen sind wissenschaftlich gesehen unhaltbar, es gibt keine Belege, dass Wasser Informationen speichert oder dass Wasserrohre die Qualität von Trinkwasser schmälern - außer die Rohre sind aus Blei gefertigt, was aber nur noch in wenigen Altbauten vorkommt. Fast nirgends ist die Qualität von Leitungswasser so hoch wie in Deutschland. Dennoch hat sich ein profitables Geschäftsfeld daraus entwickelt, dem Wasser mystische Energien anzudichten. Es gibt "Wasserverwirbler", die Getränken durch Rühren neue Energie zuführen sollen. Die Stäbe aus Edelstahl kosten bis zu 100 Euro. Auch "Energie-Flachmänner" sind für solche Mondpreise zu haben. Ein Anbieter behauptet, die Gerätschaften in einem zwölf Meter hohen Turm (wo genau er steht, wird geheimgehalten) bei Vollmond zu "energetisieren". Andere verkaufen Steine, die Getränke von störenden Einflüssen reinigen sollen.

Helge Bergmann beobachtet die Esoterik rund ums Wasser seit Jahren, im Buch "Trübes Wasser" hat er einige der verrücktesten Spleens der Szene aufgeschrieben. "Es entstehen ständig Bewegungen für ein angebliches neues, gesundes Wasser", sagt Bergmann. Jedoch kämen die wenigsten über eine Nische hinaus, "dafür braucht es schon eine große Werbekampagne."

Hotels, Schwimmbäder und Privatleute geben Tausende Euro für fragwürdige Geräte aus

Eine Ausnahme ist die Firma Grander-Wasser in Tirol, die "Wiederbelebungsgeräte" anbietet, die man mit Wasserleitungen verschrauben kann. Das durch die kleinen Kästen hindurchfließende Wasser soll danach eine "höhere Ordnung" aufweisen. "Daraus ist ein Millionengeschäft geworden", sagt Bergmann. Nicht nur Privatleute, auch Hotels und Schwimmbäder lassen sich mit den teilweise Tausende Euro teuren Geräten ausstatten. Mittlerweile haben Gerichte entschieden, dass die Firma nicht mehr mit etlichen Gesundheitsversprechen werben darf.

Weniger esoterisch, aber ebenfalls recht teuer sind Wasserfilter, bei denen Wasser durch aufwendige Schichten fließt oder mit Magneten "energetisiert" werden soll. Einige der Kannen kosten bis zu 400 Euro. Anschließend kosten sie weiter Geld, weil die Filter häufig ausgetauscht werden müssen, um Bakterienwachstum zu verhindern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3816805
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.01.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.