Süddeutsche Zeitung

Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung:Sterben im Sinne des Patienten

  • Der BGH musste die Frage klären, ob ein Mann Schmerzensgeld bekommt, weil sein dementer Vater womöglich unnötig lang am Leben gehalten wurde.
  • Damit die eigenen Wünsche für das Lebensende wirklich berücksichtigt werden, raten Experten zu einer Vorsorgevollmacht und einer Patientenverfügung.

Von Felix Hütten

Menschen sterben in Deutschland meist hinter verschlossenen Türen, manchmal einsam, nach langer Zeit der Krankheit. Diese Einsamkeit kriecht ganz unterschiedlich in die Körper der Sterbenden hinein, mal sind sie alleine, weil sich niemand um sie kümmert, mal sind sie umgeben von Ärzten oder Angehörigen, die alles richtig machen wollen und dabei vollkommen die Wünsche des Sterbenden übergehen.

Einen solchen Fall der Einsamkeit verhandelte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe - erneut, muss man sagen, denn der Grundkonflikt ist weder für die Medizin noch für die Richter ein Novum. Es geht dabei um die grundsätzliche Frage, wann die Behandlung eines kranken Menschens dessen Leid mindert, und wann sie es verlängert. Es geht um nichts weniger als die Entscheidung, ob und wann man einen Menschen gehen lässt, in den Tod, der vielleicht schon viele Momente zuvor das ersehnte Ziel war?

Eine Zuwiderhandlung gegen den Patientenwillen werten Juristen als Körperverletzung

Dabei ist die Rechtslage in Deutschland eigentlich klar: Die Behandlung eines Patienten braucht dessen Einwilligung, die er jederzeit widerrufen kann - auch dann, und das ist wichtig zu wissen, wenn ein "Nein" zu Medikamenten, Bestrahlung oder einer künstlichen Ernährung den Tod rasch nahe bringt. Eine Zuwiderhandlung gegen den Patientenwillen werten Juristen als Körperverletzung, Ärzte also haben die Pflicht, ihre Therapievorschläge mit den Wünschen des Patienten abzugleichen.

Problematisch aber wird es in zwei Fällen, die leider Alltag sind in der Behandlung sterbender Menschen. Problem 1: Der Wille des Patienten ist nicht eindeutig auszumachen, weil dieser beispielsweise im Koma liegt. Und Problem 2: Wann eigentlich ist der Punkt gekommen, ab dem Medizin einem Menschen nicht mehr hilft, sondern ihn lediglich am Sterben hindert?

Beide Probleme gehen oft miteinander einher. Doch sie lassen sich lösen. So gilt es zu Lebzeiten ein Dokument aufzusetzen mit einem Menschen, dem man vertraut, und zwar so sehr, dass man sicher sein kann, dass dieser Mensch im Zweifelsfall, wenn es dann um Leben und Tod geht, für einen selbst und sicher nicht aus Eigeninteressen entscheidet.

Dieses Papier trägt den hölzernen Namen Vorsorgevollmacht und versetzt einen Menschen per Unterschrift, idealerweise notariell abgesichert, in die Lage, für den Patienten entscheiden zu dürfen, wenn dieser es nicht mehr kann. Die Vorsorgevollmacht werten viele Intensivmediziner als das deutlich wichtigere Dokument im Vergleich zur Patientenverfügung. Im Zweifel könnte man auf letztere sogar verzichten, sofern der Bevollmächtige sicher und zweifelsfrei die Wünsche des Patienten kennt und auch darlegen kann.

Die Patientenverfügung nämlich regelt, welche medizinischen Maßnahmen man für sich wünscht - und welche nicht. Dieser Wunschzettel ist zwar gut, denn er ist für den Bevollmächtigten eine Handreichung und für die Ärzte eine Absicherung, dass im Sinne des Patienten entschieden wird. Andererseits verfassen viele Menschen wirklich eigenartige Verfügungen, da ist dann zum Beispiel die Rede davon, dass man im Krankenhaus auf keinen Fall Schläuche um sich herum haben möchte.

Viel zu unterschiedlich leben, erkranken und sterben Menschen

Nur, wenn diese Technik einem das Leben rettet, dann doch gerne auch mit ein paar Schläuchen? Oder anders: Starke Schmerzmedikamente werden gerne per Infusion verabreicht, also über einen Schlauch. Wer will nach einem schweren Unfall darauf verzichten? Besser also wäre es, wenn ein Bevollmächtigter in der konkreten Situation entscheiden kann, was passieren soll, und was nicht.

Gleiches gilt für die Frage, ob einem Menschen gedient ist, indem man sein Sterben verhindert - wie im aktuellen Fall verhandelt. Es ist eine zutiefst menschliche Frage, weniger eine medizinische oder juristische. Manch einer wünscht sich, mit allen Möglichkeiten der Medizin am Leben gehalten zu werden, zur Not auch künstlich beatmet im Koma über Jahre hinweg. Jemand anders lehnt sowas als Horrorvorstellung ab.

Die Medizin kann hier gar keine generellen Antworten liefern, viel zu unterschiedlich leben, erkranken und sterben Menschen. Und so wäre auch der aktuelle Fall womöglich nicht auf den Schreibtischen der BGH-Richter gelandet, wenn der Patient seinen Sohn bevollmächtigt oder aber zumindest seine Wünsche zweifelsfrei niedergeschrieben hätte.

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