Eingenähte Tupfer, vertauschte Medikamente, eine falsche Diagnose - Arztfehler kommen vor. Rund 190.000 waren es laut Krankenhausreport der AOK im Jahr 2011; zehn Prozent davon mit tödlichem Ausgang. Ärzten einen faux pas nachzuweisen, ist schwierig. Frank Lepold vom Deutschen Patienten Schutzbund e.V. erläutert, wie es geht.
Süddeutsche.de: Wann spricht man von einem Behandlungsfehler?
Frank Lepold: Wenn Ärzte gegen anerkannte medizinische Standards und ihre Sorgfaltspflicht verstoßen, so ist das ein Behandlungsfehler. Nicht immer tragen Patienten einen Schaden davon, aber oft. Ein Beispiel: Ein siebenjähriger Junge hat sich mit einer Schere tief in die Handfläche geschnitten. Die Wunde wird genäht. Zwei Wochen später stellten die Eltern fest, dass er an der Hand zwei Finger nicht bewegen kann. Der Arzt in der Notaufnahme hatte trotz jahrelanger Berufserfahrung nicht überprüft, ob Sehnen durchtrennt waren. Der Gerichtsgutachter konstatiert: Ein grober Behandlungsfehler. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Heilung. Aber: Patienten haben das Recht auf eine sorgfältige Behandlung nach Facharztstandard.
Die meisten Fehlgriffe passieren nach unserer Erfahrung im OP. Besonders viele Patientenbeschwerden haben wir im Bereich künstlicher Hüften und Kniegelenke. Behandlungsfehler können aber auch falsch verordnete, falsch dosierte oder verwechselte Medikamente sowie Diagnose- oder Befunderhebungsfehler sein. Auch eine zu knappe oder späte Aufklärung, zum Beispiel auf dem Operationstisch, oder Dokumentationsmängel gelten als Regelverstöße.
An wen kann ich mich wenden?
Hat der Patient den Verdacht, es könnte etwas schiefgelaufen sein, ist der erste Schritt ein Gespräch mit dem Arzt. Aber Vorsicht vor zu großen Hoffnungen und Erwartungen! In den allermeisten Fällen verstecken sich Ärzte hinter der Aussage: "Wir dürfen keine Fehler zugeben, sonst verlieren wir unseren Haftpflichtversicherungsschutz." Das stimmt zwar so nicht, aber Patienten erleben das immer wieder.
Deshalb kann es sinnvoll sein, sich gleich fachlichen und unabhängigen Rat einzuholen. Den gibt es bei Verbraucherzentralen und Betroffenenverbänden, wie der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland oder dem Deutschen Patienten Schutzbund. Die stehen Betroffenen als Berater und Ansprechpartner zur Verfügung, allerdings nicht für Gutachten oder als Rechtsbeistand.
Was ist mit den Krankenkassen?
Gesetzlich Versicherte können sich auch an ihre Krankenkassen wenden. Die meisten bieten inzwischen ein Behandlungsfehler-Management an. Erhärtet sich der Verdacht, fordern Krankenkassen die Behandlungsunterlagen an und beauftragen den Medizinischen Dienst, ein Gutachten zu erstellen. Das ist für den Patienten kostenfrei und dauert in der Regel vier bis fünf Monate.
Eine andere Option sind die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen der Landesärztekammern. Auch diese bewerten Haftungsfälle von Ärzten und fertigen kostenlos Gutachten an. Der Nachteil: Es kann bis zu anderthalb Jahre und länger dauern. Außerdem können diese Stellen nur angerufen werden, wenn beide Seiten, also auch die Ärzte, damit einverstanden sind. Selbst wenn das Gutachten einen Behandlungsfehler nachweist, muss es vom Arzt und dessen Versicherung nicht anerkannt werden. Für Privatpatienten ist das aber oft der einzige kostengünstige Weg, um ein Gutachten zu bekommen.
Welche Dokumente brauche ich?
Betroffene sollten erst einmal ihre Patientenakte anfordern. Jeder Patient hat das Recht auf Akteneinsicht (§ 630g BGB). Das betrifft alle Originaldokumente, wie Operationsbericht, Medikamentenbericht, Pflegebericht, Laborwerte etc. Lediglich handschriftliche Notizen müssen Ärzte nicht aushändigen. Die Kosten für die Kopien tragen die Patienten. Ärzte können bis zu 50 Cent pro Blatt verlangen.