Vorgehen bei Behandlungsfehlern:Kämpfen oder abwinken?

"Da ist wohl etwas schiefgelaufen": Behandlungsfehler kommen häufiger vor, als Kranke denken. Ein Patientenberater über die häufigsten Ausreden der Verantwortlichen, über den langen Gang vor Gericht und die Chancen, recht zu bekommen.

Von Katrin Neubauer

Eingenähte Tupfer, vertauschte Medikamente, eine falsche Diagnose - Arztfehler kommen vor. Rund 190.000 waren es laut Krankenhausreport der AOK im Jahr 2011; zehn Prozent davon mit tödlichem Ausgang. Ärzten einen faux pas nachzuweisen, ist schwierig. Frank Lepold vom Deutschen Patienten Schutzbund e.V. erläutert, wie es geht.

Süddeutsche.de: Wann spricht man von einem Behandlungsfehler?

Frank Lepold: Wenn Ärzte gegen anerkannte medizinische Standards und ihre Sorgfaltspflicht verstoßen, so ist das ein Behandlungsfehler. Nicht immer tragen Patienten einen Schaden davon, aber oft. Ein Beispiel: Ein siebenjähriger Junge hat sich mit einer Schere tief in die Handfläche geschnitten. Die Wunde wird genäht. Zwei Wochen später stellten die Eltern fest, dass er an der Hand zwei Finger nicht bewegen kann. Der Arzt in der Notaufnahme hatte trotz jahrelanger Berufserfahrung nicht überprüft, ob Sehnen durchtrennt waren. Der Gerichtsgutachter konstatiert: Ein grober Behandlungsfehler. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Heilung. Aber: Patienten haben das Recht auf eine sorgfältige Behandlung nach Facharztstandard.

Die meisten Fehlgriffe passieren nach unserer Erfahrung im OP. Besonders viele Patientenbeschwerden haben wir im Bereich künstlicher Hüften und Kniegelenke. Behandlungsfehler können aber auch falsch verordnete, falsch dosierte oder verwechselte Medikamente sowie Diagnose- oder Befunderhebungsfehler sein. Auch eine zu knappe oder späte Aufklärung, zum Beispiel auf dem Operationstisch, oder Dokumentationsmängel gelten als Regelverstöße.

An wen kann ich mich wenden?

Hat der Patient den Verdacht, es könnte etwas schiefgelaufen sein, ist der erste Schritt ein Gespräch mit dem Arzt. Aber Vorsicht vor zu großen Hoffnungen und Erwartungen! In den allermeisten Fällen verstecken sich Ärzte hinter der Aussage: "Wir dürfen keine Fehler zugeben, sonst verlieren wir unseren Haftpflichtversicherungsschutz." Das stimmt zwar so nicht, aber Patienten erleben das immer wieder.

Deshalb kann es sinnvoll sein, sich gleich fachlichen und unabhängigen Rat einzuholen. Den gibt es bei Verbraucherzentralen und Betroffenenverbänden, wie der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland oder dem Deutschen Patienten Schutzbund. Die stehen Betroffenen als Berater und Ansprechpartner zur Verfügung, allerdings nicht für Gutachten oder als Rechtsbeistand.

Was ist mit den Krankenkassen?

Gesetzlich Versicherte können sich auch an ihre Krankenkassen wenden. Die meisten bieten inzwischen ein Behandlungsfehler-Management an. Erhärtet sich der Verdacht, fordern Krankenkassen die Behandlungsunterlagen an und beauftragen den Medizinischen Dienst, ein Gutachten zu erstellen. Das ist für den Patienten kostenfrei und dauert in der Regel vier bis fünf Monate.

Eine andere Option sind die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen der Landesärztekammern. Auch diese bewerten Haftungsfälle von Ärzten und fertigen kostenlos Gutachten an. Der Nachteil: Es kann bis zu anderthalb Jahre und länger dauern. Außerdem können diese Stellen nur angerufen werden, wenn beide Seiten, also auch die Ärzte, damit einverstanden sind. Selbst wenn das Gutachten einen Behandlungsfehler nachweist, muss es vom Arzt und dessen Versicherung nicht anerkannt werden. Für Privatpatienten ist das aber oft der einzige kostengünstige Weg, um ein Gutachten zu bekommen.

Welche Dokumente brauche ich?

Betroffene sollten erst einmal ihre Patientenakte anfordern. Jeder Patient hat das Recht auf Akteneinsicht (§ 630g BGB). Das betrifft alle Originaldokumente, wie Operationsbericht, Medikamentenbericht, Pflegebericht, Laborwerte etc. Lediglich handschriftliche Notizen müssen Ärzte nicht aushändigen. Die Kosten für die Kopien tragen die Patienten. Ärzte können bis zu 50 Cent pro Blatt verlangen.

Vor Gericht ziehen oder nicht?

Den Antrag auf Akteneinsicht sollten Patienten schriftlich stellen, bei Niedergelassenen an den Arzt direkt, ansonsten an die Krankenhausverwaltung. Das trifft auch auf Belegärzte zu. Wichtig ist, in dem Antrag eine Frist von zwei bis drei Wochen zu setzen und den § 630g BGB gleich mit zu erwähnen. Übrigens haben auch Hinterbliebene nach Vorlage des Erbscheins das Recht auf Akteneinsicht.

Hat das neue Patientenrechtegesetz von 2013 die Beweislage für den Patienten erleichtert?

Nein. Die Beweislast liegt nach wie vor beim Patienten. Das heißt: Er muss nachweisen, dass der Arzt ihn falsch behandelt und er dadurch einen Schaden erlitten hat. Diese patientenunfreundliche Regelung verringert natürlich die Chancen des Betroffenen, zu seinem Recht zu kommen.

In bestimmten Fällen kann allerdings die Beweislast umgekehrt werden und der Arzt muss seine Unschuld beweisen. Das trifft zu für grobe Behandlungsfehler, für das so genannte vollbeherrschbare Risiko und für Anfängerfehler. Grobe Behandlungsfehler können beispielsweise unterlassene Untersuchungen sein. Auch eine unvollständige oder manipulierte Dokumentation kann zur Umkehr der Beweislast oder zumindest zu Erleichterungen führen. In solchen Fällen sind die Chancen des Patienten möglicherweise höher, Recht zu bekommen. Aber eine Garantie für den Prozessgewinn ist das noch nicht.

Brauche ich einen Anwalt, auch wenn es nicht zum Prozess kommt?

Ein Rechtsbeistand ist auf jeden Fall empfehlenswert, vor allem wenn das Gutachten zu dem Schluss kommt, dass ein Behandlungsfehler vorliegt. Dann beginnt der Streit mit der Haftpflichtversicherung des Arztes um Schadenersatz. Spätestens zu den Verhandlungen mit der gegnerischen Versicherung sollte man einen Fachanwalt für Medizinrecht hinzuziehen.

Welche Fristen sind zu beachten?

Um einen Behandlungsfehler nachzuweisen gibt es eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Die läuft von dem Moment an, in dem ein Patient den Verdacht hat, er könnte fehlbehandelt worden sein und er den Schädiger nennen kann. Die Zeit, in der die Gutachten erstellt werden, hemmt möglicherweise die Verjährung. Patienten sollten trotzdem zügig vorgehen und auch im Auge behalten, dass Ärzte und Kliniken die meisten Unterlagen nur zehn Jahre aufbewahren müssen.

Worauf muss ich mich einstellen, wenn ich vor Gericht ziehen will?

Ein Prozess kostet viel Geld und Zeit. Deshalb ist eine außergerichtliche Einigung immer erstrebenswert, selbst wenn dadurch das Schmerzensgeld etwas geringer ausfällt. Oft lassen es aber die Versicherungen auf einen Prozess ankommen. Das kann vier bis fünf Jahre dauern, in Extremfällen bis zu zwölf Jahre.

Erwägen Patienten zu klagen, brauchen sie einen langen Atem, eine möglichst wasserdichte Beweislage und eine Schadenssumme in Aussicht, für die zu streiten es sich lohnt. Denn verlieren sie, zahlen sie - wenn keine Rechtsschutzversicherung vorliegt - unter Umständen nicht nur die Auslagen des eigenen Anwalts, sondern auch die der Gegenseite und die Gerichtskosten.

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