H5N1:Die Vogelgrippe ist da draußen – „und wir müssen alles tun, um vorbereitet zu sein“

Lesezeit: 3 Min.

In Nordamerika verbreitet sich die Vogelgrippe unter Tieren derzeit rasant. (Foto: DARRYL DYCK/AP)

Großbritannien legt Vorräte von Impfstoffen gegen den Erreger an. Deutschland plant dies bislang nicht. Und nun?

Von Berit Uhlmann

Wer einen weiteren Hinweis braucht, wie sehr die weltweite Vogelgrippe-Epidemie Fachleute beunruhigt, sollte nach Großbritannien schauen. Dort legt die Regierung nun Impfstoffvorräte an. Mehr als fünf Millionen Dosen eines für Menschen gedachten Vakzins sollen produziert und für den Fall bereitgestellt werden, „dass sich das Virus unter Menschen verbreitet“, teilte die für den Gesundheitsschutz zuständige Behörde UKHSA mit. Auch wenn es aktuell keinen Hinweis auf dieses Szenario gibt, warnt die Institution nicht nur vor kleineren Ausbrüchen, sondern gleich mehrfach vor einer potenziellen H5-Influenza-Pandemie.

Das ist drastisch ausgedrückt, doch unter Fachleuten im Land stieß die Entscheidung durchaus auf Zustimmung. Ian Brown vom auf Tierinfektionen spezialisierten Pirbright Institute wies darauf hin, dass die hochpathogenen H5-Viren derzeit in einem solchen Ausmaß unter Vögeln und anderen Tieren zirkulierten, dass das Risiko für den Menschen gestiegen sei.

„H5 ist da draußen und wir müssen alles tun, um vorbereitet zu sein“, betont Andrew Pollard, Infektionsexperte der Universität Oxford. Er erinnerte daran, dass das Auftreten eines neuen Influenzastammes nach wie vor ganz oben auf der Liste der Pandemiebedrohungen steht. Eine solide Vorbereitung sei wichtig, sagte auch David Allen, Virologe der Universität von Surrey, denn im Ernstfall sei schnelles Handeln entscheidend.

Deutschland folgt dem britischen Vorbild zunächst nicht. Das europäische Seuchenschutzzentrum ECDC und das Robert-Koch Institut (RKI) schätzen das aktuelle Risiko für die breite Bevölkerung in Deutschland und der EU weiter als gering ein, teilte das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage mit. Die Bundesregierung sei aber nur im Falle einer sehr ernsthaften Bedrohung ermächtigt, Impfstoffe und andere medizinische Güter zentral zu beschaffen.

Prinzipiell könnte auch Deutschland Impfstoffe bevorraten. In der EU sind mehrere Vakzine gegen H5N1 für den Einsatz bei Menschen zugelassen. Sie können nach Angaben des RKI etwa für Beschäftige in Laboren verwendet werden, die mit dem Erreger arbeiten. Eine Impfempfehlung für andere Menschen gibt es nicht. Sie schien bisher auch gar nicht nötig.

Denn H5N1 ist an Vögel angepasst. Seit Anfang des Jahres hat es auch Kühe als neue Wirte erobert. An Menschen dagegen ist der Erreger nicht gut adaptiert. Sie infizieren sich vergleichsweise selten und geben das Virus so gut wie nie weiter.

Neue Studie zeigt, welche Wirkungen schon geringe Veränderungen des Virus haben können

Dass sich dies allerdings ändern kann, legt eine am Donnerstagabend im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie nahe. Demnach genügt nur eine einzelne Mutation des Vogelgrippe-Erregers, damit dieser sich auf die Rezeptoren von menschlichen Zellen spezialisiert. Eine weitere Mutation verstärkt die Bindung des Erregers an humane Zellen zusätzlich. Die Ergebnisse unterstrichen, dass selbst subtile genetische Veränderungen die Fähigkeit des Erregers stärkten, sich an den Menschen anzupassen und so womöglich künftige Influenza-Pandemien auszulösen, schrieben die Autoren um Ting-Hui Lin vom kalifornischen Scripps Research Institute in einer Pressemitteilung.

Die Forscher hatten für ihre Erkenntnisse gezielt das Eiweiß Hämagglutinin auf der Oberfläche des Virus verändert. Wie sehr sich die Ergebnisse dieser Laborexperimente auf das natürliche Geschehen übertragen lassen, ist fraglich. Allerdings ist die von den Forschern herbeigeführte Veränderung kein vollkommen künstliches Phänomen. Als vor Kurzem in Kanada ein Jugendlicher schwer an der Vogelgrippe erkrankte, wurden in Viren aus seinem Körper sehr ähnliche Anpassungen entdeckt, was letztlich die Praxisnähe der Studie belege, kommentierte Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit.

Die Autoren wie auch einige Fachleute stellten klar, dass die Bindung an humane Zellen nur eine von mehreren Hürden ist, die die Viren überwinden müssen, um sich effektiv von Mensch zu Mensch zu verbreiten. Dennoch mahnten Experten, die Erkenntnisse ernst zu nehmen und das Vogelgrippe-Geschehen engmaschig zu überwachen.

Das gelte besonders für die bevorstehende klassische Grippesaison. Dann zirkulieren sowohl H5N1-Viren und humane Influenzaviren, was das Risiko birgt, dass sich beide in einem menschlichen oder tierischen Organismus begegnen und genetische Informationen austauschen. So könnte ein hybrides Virus entstehen, das Eigenschaften beider Virustypen vereint – und ebenfalls leichter auf den Menschen übertragbar wird.

Dabei richtet sich der Blick vor allem auf die USA, wo sich H5N1 ungebremst unter Kühen verbreitet. Mehr als 700 Herden sind betroffen. Seit Anfang des Jahres haben sich in den Vereinigten Staaten 58 Menschen mit dem Virus infiziert, hauptsächlich durch den Kontakt zu Milchvieh. Das Tempo dieser Ansteckungen nimmt augenscheinlich zu. Mehr als 70 Prozent der menschlichen Infektionen ereigneten sich in den zurückliegenden zwei Monaten.

Bei zwei Fällen in den USA sowie einem in Kanada konnte zudem nicht nachvollzogen werden, wo sich die Menschen angesteckt hatten. Das muss noch kein großes Problem darstellen, birgt aber die Gefahr, dass es Infektionswege gibt, die bisher übersehen werden.

Vor Kurzem wurde H5N1 auch in Rohmilch in Kalifornien gefunden. Die Rohmilch-Produkte der betroffenen Farmen dürfen nun nicht mehr verkauft werden. Gesundheitsbehörden warnten zugleich vor dem Verzehr von jeglicher nicht pasteurisierter Milch. Zwar gibt es keinen Nachweis, dass sich Menschen über diesen Weg angesteckt hätten. Doch die Gefahr weiterer menschlicher Infektionen wollen die Behörden vermeiden. Auch weil all diese Ansteckungen den Erreger einem Selektionsdruck aussetzen, sich besser an den Menschen anzupassen. Eben jenes Szenario, gegen das sich Großbritannien nun ein Stück weit wappnet.

Mit Material des Science Media Centers

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