Süddeutsche Zeitung

Vogelgrippe H7N9:Fleischboykott und Hühnchen-Bankett

Angst, Anschuldigungen und Absurditäten: China ist im Bann des Vogelgrippevirus H7N9. Die Behörden warnen vor "exzessiver Sorge", doch viele Chinesen sind skeptisch und erinnern sich an die Sars-Epidemie von 2003.

Von Kai Strittmatter, Peking

Das Vogelgrippevirus H7N9 breitet sich über Ostchina hinaus aus. Am Wochenende wurde der Erreger erstmals in Chinas Hauptstadt Peking festgestellt: bei einem siebenjährigen Mädchen, dessen Eltern mit lebendem Geflügel handeln. Ebenfalls in Peking wurde ein vierjähriger Junge gefunden, der das Virus trägt, ohne Symptome einer Erkrankung zu zeigen. Der Fall legt nahe, dass sich mehr Menschen als bislang angenommen mit dem Virus infiziert haben könnten, ohne selbst etwas davon zu merken. Insgesamt wurde der Erreger bei 63 Menschen festgestellt, 14 sind gestorben.

Bislang hatten sich die Fälle auf die Stadt Shanghai und die umliegenden Provinzen konzentriert. Das Mädchen in Peking und zwei neue Fälle in der Provinz Henan zeigen, dass das Virus wandert, doch will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bislang nicht von einer Epidemie sprechen. Noch immer nämlich gibt es keine Hinweise darauf, dass sich der Erreger direkt von Mensch zu Mensch verbreitet. "Das ist ein Schlüsselfaktor", sagte der Vertreter der WHO in Peking, Michael O'Leary. Die Infektionen bislang seien "sporadisch und unabhängig voneinander" erfolgt. Die Verbreitung des Virus vorherzusagen sei unmöglich, so O'Leary, es sei jedoch "keine Überraschung, wenn wir neue Fälle in neuen Orten wie Peking finden".

Die Vogelgrippe wirkt sich bei den bekannten Patienten unterschiedlich aus. Manche erkranken nur leicht, andere erleiden Hirnschäden, Organ- und Muskelversagen. In China tauchen öfter neue Vogelgrippeviren auf, Experten führen dies auf das enge Nebeneinander von Schweine- und Geflügelzucht in vielen Bauerndörfern zurück. Dem H5N1-Erreger fielen im vergangenen Jahrzehnt fast 400 Menschen zum Opfer, aber auch er sprang nicht vom Menschen zum Menschen.

Eine Panik gibt es bislang in China nicht, aber die Verkäufe von Geflügel sind landesweit eingebrochen. Chinesische Medien sprechen von einem Verlust von zehn Milliarden Yuan (1,23 Milliarden Euro), den die Geflügelindustrie vorige Woche erleiden musste: Die Menschen essen kaum mehr Huhn - sonst neben Schwein das beliebteste Fleisch.

In der bislang nicht betroffenen Provinz Hubei traten Ende voriger Woche die Bauern einer Kooperative zu einem "100-Hühnchen-Bankett" vor die Kameras und verzehrten demonstrativ ihre Hühner. Einer der Bauern sagte der Wuhaner Abendzeitung, er würde das Fleisch auch dann essen, wenn es mit H7N9 infiziert wäre, denn erstens seien die Hühner gut durchgekocht und zweitens habe man sie zuvor mit "Antivirusmedizin" vollgepumpt.

Vor dem Ausbruch der Grippe habe man pro Tag 5000 bis 8000 Hühner verkauft, erzählte der Chef der Kooperative, seither kein einziges mehr. Die Pekinger Global Times rief die Chinesen auf, ihre "exzessive Sorge" aufzugeben und "den Kollektivgeist über den Individualismus zu stellen": Der Hühnerfleischboykott sei "unfair den Bauern gegenüber".

Aber die Chinesen sind vorsichtig. Zufällig fällt der Ausbruch der H7N9-Vogelgrippe zusammen mit dem zehnten Jahrestag der Sars-Epidemie von 2003, der in China 770 Menschen zum Opfer fielen, und viele erinnern sich noch zu gut, wie sie damals von ihrer Regierung getäuscht und belogen wurden. Zwar lobt die WHO Chinas Regierung dafür, dass sie diesmal relativ schnell und transparent gehandelt habe: Geflügelmärkte wurden geschlossen, allein in Shanghai mehr als 20.000 Vögel getötet. Viele Bürger bleiben dennoch skeptisch.

Das Virus tauchte in Shanghai auf - nur kurz nachdem 16.000 Schweinekadaver auf dem Pu-Fluss in die Stadt getrieben waren. Kadaver, für deren Herkunft und Todesursache die Behörden auch Wochen später noch keine überzeugende Erklärung zu liefern imstande waren.

Auch diesmal lief nicht alles optimal: Der Vater des zweiten Shanghaier Opfers dachte 20 Tage lang, sein Sohn Wu Liangliang sei an einer normalen Lungenentzündung gestorben, bevor er die wahre Todesursache erfuhr (H7N9), und zwar nicht vom Volkskrankenhaus Nummer Fünf, in dem der Sohn behandelt worden war, sondern aus den Fernsehnachrichten. Die Behörden in Nanjing bestätigten einen Vogelgrippefall in der Stadt erst dann, als die Krankenhausakte online auftauchte.

Das Pekinger Magazin Caijing meldete vergangene Woche die Festnahme von 13 Personen, die "Gerüchte" über das Virus verbreitet hätten. Einer war nicht unter ihnen: Dai Xu, Oberst der Luftwaffe und Kolumnist der Pekinger Global Times. Während die WHO und Chinas Gesundheitsbehörden noch über Herkunft und Beschaffenheit des Virus rätseln, weiß er schon Bescheid: Im Mikrobloggingdienst Weibo enttarnte er das H7N9-Virus als "bio-psychologische Waffe" einer dunklen ausländischen Macht, die er "M" nennt. In der chinesischen Pinyin-Umschrift ist das der erste Buchstabe von "Meiguo", Amerika.

Schon Sars 2003, schreibt der Offizier, sei eine Biowaffe der USA gewesen, die damals freie Hand für ihren Irak-Feldzug gebraucht habe. Jetzt habe die USA den alten Trick wiederholt. Das muss man sich so vorstellen: "Das Land M wirft einfach einen biologisch infizierten Vogel rüber", schreibt Dai Xu, "und erreicht so den strategischen Effekt von einer Million Soldaten." Es spricht für die psychische Gesundheit von Chinas Netzgemeinde, dass sie dem Oberst in ihrer Mehrheit einen Vogel zeigte.

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SZ vom 16.04.2013/beu
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