Süddeutsche Zeitung

Vogelgrippe-Erreger:H5N8: Wandelbar, ausdauernd, gefährlich

Der Vogelgrippe-Erreger alarmiert Forscher: Er passt sich extrem schnell an und kann über weite Strecken reisen. Varianten aus Asien könnten auch dem Menschen gefährlich werden.

Von Kai Kupferschmidt

An Weihnachten ging das Schlachten weiter. Mehr als 55 000 Puten wurden während der Feiertage in Niedersachsen getötet. Am Dienstag wurden in der Region Oldenburg weitere 22 000 Vögel gekeult. Auf einem Hof in Nordrhein-Westfalen waren es am gleichen Tag 16 000 Puten. In all den Betrieben war das Vogelgrippevirus H5N8 gefunden worden. So geht es in Europa seit zwei Monaten. Am 27. Oktober hatten ungarische Behörden die Variante H5N8 in einem Schwan nachgewiesen. Dann tauchte der Erreger in Österreich, Deutschland, Polen und zahlreichen weiteren Ländern auf. Tausende Wildvögel sind seither gestorben, Millionen Hühner und Enten gekeult worden. Ein Ende der Epidemie ist nicht in Sicht. Inzwischen hat der Erreger Großbritannien erreicht, wie auch Israel, Nigeria und Tunesien.

Es ist das zweite Mal, dass H5N8 sich so weit ausbreitet. 2014 hatten Zugvögel das Virus schon einmal von der koreanischen Halbinsel nördlich nach Russland getragen und dann weiter in den Westen, nach Europa, und in Richtung Osten, nach Nordamerika. Aber in diesem Jahr habe sich das Virus in Europa und Afrika schneller und weiter ausgebreitet als damals, sagt Thijs Kuiken, Pathologe am Erasmus Medical Center in Rotterdam. "Zugleich ist es gefährlicher geworden für viele Wildvögel", sagt er. Die Pfeifente zum Beispiel, eine häufige Entenart, wurde von der 2014 zirkulierenden H5N8-Variante nicht krank. In diesem Jahr sterben die Tiere an dem Virus so wie viele andere Arten. Dabei hätten Forscher erwartet, dass das Virus eher weniger gefährlich wird. Erreger, die von weit ziehenden Tieren übertragen werden, gelten allgemein als weniger krankmachend. Sie brauchen schließlich einen kräftigen, flugfähigen Wirt für die lange Reise. Warum die neue Variante von H5N8 nun gefährlicher geworden ist, bleibt eines der Rätsel dieses Ausbruchs.

H5N8 ist ein Abkömmling von H5N1, dem Vogelgrippevirus, das vor mehr als zehn Jahren Hunderte Menschen tötete und Vogelbestände in großen Teilen der Welt vernichtete. Das neue Virus H5N8 ist hingegen für den Menschen nach bisherigem Kenntnisstand nicht gefährlich. Das ist die gute Nachricht. Aber Grippeviren sind äußerst wandlungsfähig. Und der Ausbruch zeigt, dass sich Vogelgrippe in Asiens Geflügelindustrie längst eingenistet hat und durch Zugvögel immer wieder auf der Welt verteilt werden kann. Das dürfte in Zukunft immer wieder passieren, sagt Kuiken. "Weil die Geflügelproduktion in den nächsten Jahren zunehmen wird, können wir davon ausgehen, dass das Überspringen der Vogelgrippe von Geflügel auf Wildvögel auch zunehmen wird", sagt er.

Der Vorläufer, H5N1, erregte erstmals 1997 die Aufmerksamkeit der Welt. Damals kam es zu einem massiven Ausbruch in Geflügelpopulationen in Hongkong. 18 Menschen infizierten sich, sechs von ihnen starben. 2003 und 2004 kam es zu weiteren Ausbrüchen in Asien. Und das Virus breitete sich nach Europa und Afrika aus.

H5N1 ist so etwas wie die Mutter moderner Vogelgrippeviren. Eine Gruppe dieses Erregers, die Forscher als "Klade 2.3.4.4" bezeichnen, ist außergewöhnlich wandelbar. Die Buchstaben H und N bezeichnen zwei Eiweiße auf der Oberfläche des kugelförmigen Grippeerregers: Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie entscheiden, wie gefährlich ein Erreger ist. Der H5N1-Erreger der Klade 2.3.4.4 scheint besonders gut darin zu sein, Neuraminidase mit anderen Erregern auszutauschen. So entstanden aus H5N1 der neue Stamm H5N8 und zahlreiche andere Stämme. Als H5N8 im Jahr 2014 Nordamerika erreichte, wandelte es sich schnell in H5N2 und wütet unter Geflügelbeständen. Mehr als 40 Millionen Vögel wurden dort getötet.

Das nächste Virus wartet schon. Und so wie es aussieht, kann es auch Menschen infizieren

Manche Forscher sehen H5N8 derzeit eher gelassen, da das Virus Säugetiere offenbar nicht infiziert. Wissenschaftler am Friedrich-Löffler-Institut auf der Ostseeinsel Riems haben erfolglos versucht, Mäuse und Frettchen zu infizieren. Allerdings können selbst winzige Veränderungen im Erbgut des Influenza-Virus riesige Konsequenzen haben, warnt Richard Webby, Virologe am St. Jude Children's Research Hospital in Memphis, Tennessee: "Das Virus ist womöglich nur ein oder zwei Aminosäuren davon entfernt, sein Verhalten zu ändern."

Auch wenn das nicht passiert und der jetzige Ausbruch eingedämmt wird, bleibt die Vogelgrippe eine ständige Gefahr. Die nächsten Viren warten nur darauf, um die Welt zu reisen. H5N6 zum Beispiel. Diese Variante könne auch Menschen infizieren und sei in den Geflügelbeständen in China weit verbreitet, sagt George Gao, Virologe am Institut für Mikrobiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. "Das Virus hat H5N1 in vielen Regionen weitgehend ersetzt, und das ist sehr beunruhigend", sagt Gao.

Der Forscher hatte bei Geflügelmärkten in 39 chinesischen Städten Proben genommen. In einigen Orten sei H5N6 inzwischen der vorherrschende Subtyp der Vogelgrippe, warnt er. Nach Südkorea hat es das Virus bereits geschafft. Um seine Ausbreitung einzudämmen, sollten dort bis Mittwoch 26 Millionen Vögel gekeult werden, darunter ein Drittel aller Legehennen des Landes. Aber sollte das Virus auf Wildvögel übergehen, könnten sie auch diesen Erreger nach Europa, Afrika oder Nordamerika tragen, warnt Gao. Schon jetzt gebe es 17 Fälle von Menschen, die sich mit H5N6 angesteckt hätten. "Und es werden ständig mehr. Darum sind wir so besorgt."

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SZ vom 30.12.2016
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