Versorgung im Alter:Pflege ohne Notstand

Gundelfingen: ALTERSHEIM - Spitalstiftung Haus der Senioren

Hier klappt die Pflege: Im "Haus der Senioren" im bayerischen Gundelfingen achtet die Heimleitung auf die Bedürfnisse der Pfleger und der Bewohner.

(Foto: Johannes Simon)

Seit Jahren gibt es zu wenige Fachkräfte in der Pflege. Doch mehr Personal bedeutet nicht automatisch bessere Betreuung - wie ein Beispiel aus Bayern zeigt.

Von Kim Björn Becker und Sarah Kempf, Gundelfingen

Die Türschilder mit den Namen, sagt Markus Moll, die waren ein Problem. Viele Jahre lang hingen sie etwas tiefer als gewöhnlich, auf Augenhöhe der betagten Bewohner, damit sie ihr Zimmer leicht wiederfinden konnten. Nur dass Demenzkranke, wie Moll mit der Zeit beobachtet hat, oft Probleme mit dem Lesen haben und ihren Namen gar nicht mehr erkennen können. Also hat der Leiter des Pflegeheims "Haus der Senioren" im bayerischen Gundelfingen seine Mitarbeiter angewiesen, die nutzlosen Schilder abzunehmen und ein gutes Stück weiter oben neu anzubringen. An der frei gewordenen Stelle ließ er dafür kleine quadratische Vitrinen montieren. Jeder Bewohner kann seitdem an der Tür zu seinem Zimmer einen persönlichen Gegenstand deponieren - statt Türschildern zieren kleine Bücher, Schlüssel und Halsketten die Flure.

Das Pflegeheim in der schwäbischen Ortschaft nahe Günzburg gilt als eine Ausnahme im Süden der Republik, als ein Beispiel, wie es auch gehen kann. Markus Moll und seine Kollegen, so hat es den Anschein, gelingt etwas, das vielen anderen schwerfällt: Das Haus wirtschaftet kostendeckend und hat darüber hinaus einen guten Ruf. Das gilt nicht für alle stationären Einrichtungen im Land: Fragt man die Menschen, wo sie einmal sterben möchten, dann rangiert das Heim auf einer Stufe mit dem Krankenhaus, praktisch niemand möchte dort seine letzten Stunden verbringen.

Schon seit Jahrzehnten ist vom Pflegenotstand die Rede, viele Heime sind personell unterbesetzt, vor allem nachts. Die Zahl der Vollzeit-Pfleger sinkt seit Jahren, sie werden oft durch meist noch schlechter bezahlte Teilzeitkräfte ersetzt. Zugleich steigt die Zahl der Bewohner aber kontinuierlich an. In den Beratungsstellen häufen sich darum die Beschwerden: Senioren, berichten Angehörige verzweifelt, könnten oft nicht ausreichend betreut werden und müssten manchmal stundenlang auf Hilfe warten, wenn sie zur Toilette wollen. Vor einem Jahr ordneten die Behörden in Nordrhein-Westfalen an, dass eine Einrichtung komplett geschlossen wird, so gravierend waren die Missstände dort. Allerdings sind derart radikale Schritte die Ausnahme.

Die Vitrinen mit den persönlichen Erinnerungsstücken darin sind nur ein Beispiel dafür, dass Markus Moll vieles anders machen möchte als seine Kollegen. Gegen den Rat der Architekten hat er rote Haltegriffe in den Bädern anbringen lassen, weil Studien gezeigt hätten, dass Hochbetagte den Farbkontrast am längsten wahrnehmen können. Und als er vor einigen Jahren die Demenz-Abteilung vom dritten Stock ins Erdgeschoss verlegte, damit Bewohner mit großem Bewegungsdrang den Innenhof benutzen können, schlugen Kritiker die Hände über dem Kopf zusammen - die Sturzgefahr sei viel zu groß, trotz der ebenen Flächen, trotz der vielen Geländer. Doch ein Risiko, so sieht Moll die Sache, gibt es im Leben immer. Versucht man, es künstlich auf null zu senken, nimmt man den Menschen die Würde und raubt ihnen jede Möglichkeit zur Entfaltung. Solche Entscheidungen wie die mit dem Innenhof, sagt er, seien "auch immer eine Abwägung zwischen Lebenssicherheit und Lebensqualität".

Auch über die Zusammensetzung der Bewohner lässt sich einiges steuern. Moll sagt, er nehme auch Rüstige auf, die sich auf einen Platz bewerben, Senioren ohne Pflegestufe also. Sie machen derzeit zehn Prozent der Bewohner aus, im Durchschnitt aller Heime in Deutschland sind es nur zwei Prozent. Die Entscheidung kostet Geld, denn Bewohner mit hohen Pflegestufen wirken sich in der Regel deutlich besser auf die Finanzen eines Heims aus. "Fast überall finanzieren die hohen Pflegestufen die niedrigen mit", sagt Moll. "Aber wenn wir nur Senioren mit der schweren Pflegestufe III hätten, könnte sich unter den Bewohnern kaum eine Gemeinschaft bilden."

Pfleger verdienen im Osten nur knapp 1950 Euro brutto im Monat, im Westen sind es 2600

Vor allem aber steht und fällt die Qualität eines Pflegeheims mit dem Personal. Und da bereitet der Branche vor allem die Frage Kopfschmerzen, wie sie in Zukunft noch genug Pfleger rekrutieren kann. Schon seit 2009 gibt es mehr offene Stellen als arbeitslos gemeldete Fachkräfte, im vergangenen Jahr dauerte es im Schnitt 122 Tage, bis eine Stelle besetzt werden konnte. Schätzungen zufolge fehlen in zehn Jahren zwischen 150 000 und 490 000 Pfleger in Deutschland.

Die Bundesregierung will gegensteuern und plant, das Ausbildungssystem zu vereinfachen. Voraussichtlich in dieser Woche will sich das Kabinett mit dem Pflegeberufegesetz beschäftigen. Doch das Gesetz wird nicht viel dagegen ausrichten können, dass die Bezahlung in der Altenpflege nach wie vor schlecht ist: Fachkräfte verdienen im Osten durchschnittlich knapp 1950 Euro brutto im Monat, im Westen sind es 2600 Euro.

Versorgung im Alter: SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt​

SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt​

Für einen Job, der körperlich kräftezehrend und oft auch psychisch belastend ist, fordert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mindestens 3000 Euro. Einheitliche Tarifverträge gibt es nicht, nur vereinzelt einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf konkrete Bestimmungen. Doch nicht nur das Gehalt ist entscheidend. Es komme auch darauf an, dass Pfleger am Arbeitsplatz Gelegenheit bekommen, offen über Probleme mit Bewohnern oder Angehörigen zu sprechen, sagt Dietmar Erdmeier. Er ist bei Verdi in Berlin für Gesundheitspolitik zuständig und kennt die Branche gut. In vielen Heimen, sagt er, fehle für Gespräche die Zeit.

Das gelte auch für einen Moment der Trauer, wenn langjährige Bewohner sterben: "Pflege ist oft ein schnelllebiges Geschäft. Wenn heute Nachmittag jemand stirbt, wird sein Zimmer ausgeräumt und gestrichen, und morgen früh zieht jemand Neues ein." Ein Pflegeheim könne nur dann als Arbeitgeber attraktiv sein, wenn das Führungspersonal langfristig ein gutes Betriebsklima fördere. Verlässliche Arbeitszeiten seien ein wesentlicher Faktor, aber auch ein gemeinschaftlicher Führungsstil. "Die Menschen, die ihr Ohr am Pflegebett haben, müssen im Betrieb zu Wort kommen."

Für Moll ist der Ruf nach mehr Pflegern nur ein Teil der Lösung. "Mehr Personal garantiert nicht bessere Pflege", sagt er. Sei die Belegschaft ohnehin kaum motiviert, ließen sich neu eingestellte Pfleger oft mit herunterziehen. Deshalb müsse die Leitung so viel Wert auf das Betriebsklima legen - und notfalls selbst eine Schicht übernehmen, wenn es eng wird. "Idealerweise gelingt es, eine offene Fehlerkultur zu leben und Probleme gemeinsam mit den Betroffenen und den Angehörigen zu besprechen."

Seine Rechnung ist vergleichsweise einfach, aber sie geht offenkundig auf: Gute Pfleger müssen zufrieden sein, nur dann können sie den Alten und Kranken den Alltag erleichtern. Die Motivation wiederum hängt vom Gehalt und von den Arbeitsbedingungen ab. Deshalb, sagt Moll, zahle man - anders als früher - nach Tarif und nehme bei den Dienstplänen mehr Rücksicht auf die persönliche Lebenssituation der Pfleger. Mitarbeiter in finanziellen Notlagen erhielten bei Bedarf zinsgünstige Darlehen vom Arbeitgeber, und wer mit einem Heimbewohner partout nicht klarkomme, der werde nicht zur Zusammenarbeit verdonnert - sondern einfach woanders im Haus eingeteilt. Im Gegenzug, sagt Molls Stellvertreterin Claudia Ruf-Hegele, "fordern wir von unseren Mitarbeitern aber eben auch eine gewisse Leistung ein."

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