Verhütung:Kondom mit Flügeln

Weltaidstag - Kondome

Auch kunterbunte Kondome können manchen Paaren nicht die Scheu nehmen. Ganz neue Lösungen sollen her.

(Foto: dpa)

Haltegriffe sollen das Abrollen erleichtern, hauchdünne Materialien den Latex ersetzen: Forscher arbeiten an neuen Präservativen, die auch widerspenstige Männer überzeugen.

Von Boris Hänssler

Robert Richter stellt einen Holzpenis vor sich auf den Tisch. Dann zieht er ein verpacktes Kondom aus einer Pappschachtel, reißt die Schutzfolie auf und versucht, das Kondom über das künstliche Genital zu stülpen. Der Gummi gibt ein paar Millimeter nach, dann schießt er in die Luft und fliegt in hohem Bogen über das Kaffeegeschirr. Richter lächelt. "Ich habe das Kondom falsch herum abgerollt", sagt er. Seine Botschaft: Nicht Kondome, sondern die Benutzer vermasseln die Verhütung. "Unsere Kondome gelten als sicher", sagt der Chef der Bielefelder Kondomfabrik Ritex, eines mittelständischen Betriebs. "Deshalb müssen wir sie nicht ständig neu erfinden."

Doch über diese Aussage lässt sich streiten. Schließlich sollte es zu denken geben, dass viele Männer noch immer auf Kondome verzichten - aus religiösen Gründen oder weil ihnen das Kondom schlicht lästig ist. Gesucht werden deshalb Präservative, die leichter anzuwenden sind und mehr Gefühl zulassen.

Sorgen bereitet den Public-Health-Experten die große Zahl der Verweigerer

Insbesondere die Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates und seiner Frau Melinda fördert in ihrem globalen Kampf gegen Aids und HIV die Entwicklung einer neuen Generation von Kondomen. Wichtigstes Ziel: Sie sollen Männer nicht mehr vom Gebrauch abschrecken. Die Stiftung hat deshalb bei Wettbewerben im November 2013 und im Juni 2014 jeweils elf Vorschläge für neue Kondome mit 100 000 US-Dollar honoriert. Zu den Prämierten gehört etwa die Firma Origami Healthcare Products aus Los Angeles, die ein ganz neues Produkt verspricht: "Das alte, gerollte Kondom hat keine Zukunft mehr", sagt Firmensprecher Mark Bardwell. "Es ist nur deshalb erfolgreich, weil wir nie eine Alternative hatten. Dabei gab es schon immer viele Beschwerden."

Die Entwickler von Origami haben ein Kondom entwickelt, das einer Ziehharmonika ähnelt. Es lässt sich leicht aufklappen und über den Penis stülpen. Auf der Innenseite ist es mit Gleitgel beschichtet. So soll es die Feuchtigkeit einer Vagina imitieren und für ein authentisches Berührungsempfinden sorgen. Die Firma entwickelt zudem ein "gender-neutrales" Analkondom, das im Frühjahr 2016 auf den Markt kommen soll. Viele Details gibt der Hersteller dazu allerdings nicht bekannt.

Ein Forscherteam um den Ingenieur Robert Gorkin von der australischen Universität Wollongong erhielt die Gates-Fördersumme für ein Kondom aus Hydrogel. Hydrogele bestehen aus Wasser, das von Polymeren zusammengehalten wird. Es ist weicher als Latex und biologisch abbaubar. Gorkin sagt, es fühle sich wie menschliches Gewebe an. Es soll - wie alle neuen Entwicklungen - für ein besseres Gleitgefühl sorgen. Forscher der Universität Manchester wollen ihre Fördersumme hingegen in ein Kondom aus Nano-Materialien wie Graphen investieren, das mit Latex vermischt wird. Das fertige Material soll so dünn sein, dass es fast nicht mehr zu sehen ist.

Bisher waren die meisten neuen Kondome Nieten

Ritex-Chef Richter begegnet solch ambitionierten Ankündigungen mit Gelassenheit. Die Branche und ihre Kunden verhalten sich bislang eher konservativ. Würde ein gänzlich neues Kondom den Markt erobern, wäre das nicht nur für ihn eine Überraschung. Viele angekündigte Neuschöpfungen erwiesen sich in der Vergangenheit als Nieten, neue Materialien erfüllten ihren Zweck nicht. Vor einigen Jahren testete das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in Bethesda, USA, ein in Pilotstudien vielversprechendes, einfaches "chemisches Kondom" - ein Gel, das Frauen vor dem Sex in die Scheide einführen sollten. Die Studie wurde abgebrochen. Das Mittel schützte nicht wirksam gegen die Ansteckung mit HIV.

Richter setzt vor allem auf eine optimierte Produktion. Schon 1912 hatte der deutsche Gummifabrikant Julius Fromm die Idee, Kondome mittels Glaskolben herzustellen, die er in eine Kautschuk-Mischung tunken ließ. An dem Grundprinzip hat sich bis heute wenig geändert. Allerdings ist die Produktion weitgehend automatisiert, um gleichbleibende Qualität zu gewährleisten. Betritt man die Ritex-Werke, sieht man links und rechts eine lange Reihe hängender "Glaspenisse" - Kolben, die automatisch verschiedene Stationen durchlaufen. Sie werden dabei in eine Kautschuk-Flüssigkeit getunkt. Beim Auftauchen weisen sie eine dünne, farbige Schicht auf. Die Kolben werden ein zweites Mal getaucht, damit sich mögliche Lücken im Material schließen.

Das Verfahren bei Ritex unterscheidet sich nur unwesentlich von dem der Konkurrenz - gleiches gilt für die Qualität. Die Firmen versuchen daher, mit ihren Marken unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen: Mitbewerber Mapa wirbt mit der Marke Billy Boy vor allem um Teenager, Ritex und Durex sprechen eher Männer ab 20 an.

Die Vermarktung kleinerer Größen ist heikel

Standardkondome sind heutzutage alle etwa 170 Millimeter lang. Der untere Ring hat einen Durchmesser von etwa 50 bis 55 Millimeter. Da sich die Penisgröße unterscheidet, bieten einige Hersteller Kondome mit geringerem Durchmesser an. "Ihre Vermarktung ist allerdings heikel", sagt Richter. "Wer will ein Kondom kaufen, dessen Verpackung einen kleinen Penis suggeriert?" Sie heißen daher schlicht "Perfect Fit". Durex bietet sie als "Durex Love" an. Die Unternehmen bieten freilich auch extragroße Kondome an. Da Kondome jedoch extrem elastisch sind, sollen die Übergrößen eher das Selbstbewusstsein des Mannes stärken. Sicher seien jedenfalls alle, versichert Richter.

Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Die Sicherheit von Verhütungsmitteln gibt der sogenannte Pearl-Index an. Er entspricht der Anzahl der Schwangerschaften pro 100 Frauen, die ein Jahr lang eine Verhütungsmethode angewendet haben. Das Kondom hat im Idealfall einen Index-Wert von 2 oder noch besser. Das heißt: Bei 100 Frauen kommt es innerhalb eines Jahres zu höchstens zwei Schwangerschaften. In der Praxis ist dieser Wert aber wenig aussagekräftig.

Das Kinsey-Institut an der Universität Indiana, USA, wertete 2012 verschiedene Studien zur weltweiten Kondomnutzung aus. Dabei zeigte sich, dass knapp ein Viertel bis zur Hälfte der Nutzer angeben, an der Spitze des Kondoms keinen Platz für das Sperma zu lassen. Das Kondom kann daher dem Druck der Ejakulation nicht immer standhalten. Ein Zehntel der Nutzer öffnet zudem Kondom-Verpackungen mit scharfen Gegenständen. 30 Prozent setzen es falsch herum auf und drehen es dann um. Dadurch wächst das Risiko, eine Krankheit zu übertragen. Trotz Gummi.

Kondom mit Netzanschluss

Noch größere Sorgen bereitet den Public-Health-Experten allerdings die große Zahl der Kondom-Verweigerer. In Deutschland verzichteten immerhin 28 Prozent der Männer, die 2013 mehrere Sexualpartner hatten, auf Kondome. In einigen afrikanischen Ländern erreicht der Anteil sogar mehr als 50 Prozent. "Weniger Freude am Sex ist typischerweise der Hauptgrund", sagt Stephen Ward von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Dabei geht es nicht nur um das Gleitgefühl: Nach einer weiteren Kinsey-Studie berichten drei von zehn Männern, dass bei ihren letzten drei Versuchen, ein Kondom aufzusetzen, mindestens einmal der Penis schlappmachte. "Stellt sich also die Frage, ob wir Kondome nicht doch besser hinbekommen", sagt Ward.

Die Gates-Stiftung unterstützt auch Willem van Rensburg von der Firma Kimbranox aus Südafrika. Er entwarf als Abrollhilfe eine neue Verpackung: Man greift sie mit beiden Händen seitlich und reißt sie wie ein Knallbonbon auf. Das Kondom bleibt seitlich an der Verpackung haften, so dass man sie als Griff benutzen und das Kondom herunterziehen kann. Ein ähnliches Prinzip hat die niederländische Firma Wingman auf den Markt gebracht: Ein Kondom mit Flügeln, die als Haltegriff dienen. Das Kondom der amerikanischen Firma Galactic Cap will die Abrolltechnik komplett umgehen: Der Nutzer legt sich vor dem Sex einen dünnen, selbstklebenden Kunststoffring auf die Eichel. Kommt es zum Sex, muss er nur noch eine Kunststoff-Mütze auf den Ring setzen. Der Penis bleibt größtenteils frei. Die Kondome sollen noch im laufenden Jahr in den Handel kommen.

Anfang des Jahres wollten Studierende der Universität Georgia Tech außerdem ein Kondom mittels Crowdfunding finanzieren, das über Kabel elektrische Impulse auf den Penis jagt, um ihn zu stimulieren. Die Elektronik ist in einem Kleidungsstück vernäht, was einige Akrobatik im Bett erfordert. Impulsstärke und Frequenz sollen über eine App gesteuert werden. Die Finanzierung scheiterte - offensichtlich sind Männer doch noch nicht bereit für das Kondom mit Netzanschluss.

Wofür aber sind sie bereit? Die Bedürfnisse unterscheiden sich stark. "Einige Männer wollen, dass das Kondom aussieht, als wäre es nicht vorhanden", erklärte Ron Frezieres vom California Family Health Council der New York Times. "Andere wollen ein Kondom, das wie ein rotes Neonschild vor sich hin leuchtet und vibriert." Frezieres lässt regelmäßig Kondome testen und stößt auch auf bizarre Modelle. Kürzlich war eines dabei, das den Penis erwärmt. Einige Männer erklärten, dass sich der Penis anfühlt, als würde er brennen. Andere erfreuten sich eines intensiveren Orgasmus.

Doch selbst diese unabhängigen Tests sagen nicht viel über die Marktchancen aus. Die Zufriedenheit mit Kondomen hänge stark davon ab, wie gut der Sex sei, erklärte Frezieres. Fest steht daher nur: Die neuen Superkondome müssen nicht unbedingt super sein - es wäre schon ein Fortschritt, wenn sie ein wenig besser werden als die bisherigen.

Eine kleine Geschichte des Kondoms

Die ersten Belege für den Vorläufer des modernen Kondoms stammen aus dem 16. Jahrhundert. Der italienische Arzt Gabriele Falloppio beschrieb, wie sich die Bevölkerung vor der Geschlechtskrankheit Syphilis schützen kann. Er erwähnte ein Leinensäckchen, das man sich um den Penis band. "Das Säckchen musste mit Ölen und Kräutersubstanzen imprägniert werden", sagt Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung. "Diese Substanzen sollten die Löcher des Stoffes abdichten, auch wurde ihnen eine medizinische Wirkung zugeschrieben. Welche Substanzen das waren, verriet Fallopio nicht - es war ärztliches Geheimwissen."

Die Leute kamen schnell auf die Idee, dass ein Säckchen, das vor Ansteckungen schützt, auch Schwangerschaften verhindert. In der Literatur des 17. Jahrhunderts tauchte das Kondom bereits in dieser Doppelfunktion auf. Im späten 18. Jahrhundert etablierten sich in London zwei kleine Läden, die Kondome offiziell verkauften. Die Kondome wurden unter anderem aus Schafsdärmen hergestellt. Sie mussten einige Stunden eingeweicht werden, damit sie halbwegs angenehm saßen. Nach der Nutzung wurden sie ausgewaschen und wieder verwendet.

1839 gelang dem Amerikaner Charles Goodyear die Vulkanisierung von Kautschuk. Das Gummikondom war geboren. Es war wasser-, wärme- und kältefest, doch Goodyear musste das Material noch zusammennähen lassen. 1912 tauchte der deutsche Gummifabrikant Julius Fromm einen Glaskolben in eine Gummilösung ein. Das ermöglichte die erste Serienproduktion von nahtlosen Kondomen. Kondome erreichten schließlich mit dem Ersten Weltkrieg den Massenmarkt, als Soldaten unterwegs verhüteten und die Kondome schließlich in die Ehe mit einbrachten. Der Verkauf allerdings blieb bis in die 1960er-Jahre ein Tabu. Oft wurden Kondome beim Friseur gedealt: Die Männer legten ein paar zusätzliche Münzen hin - der Friseur wusste dann, was er über die Theke schieben sollte.

Die Kondom-Hersteller machten auf diese Weise gute Geschäfte, bis in den 1960ern die Antibabypille auf den Plan trat - und die Konkurrenz aus Asien immer stärker wurde. Erst mit der Verbreitung des Aids-Erregers HIV in den 1980er-Jahren und dem Tod von Hollywoodstar Rock Hudson änderte sich das Image der Kondome erneut. Seit 2005 liegt der jährliche Absatz von Kondomen in Deutschland zwischen 200 und 250 Millionen Exemplaren.

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