Süddeutsche Zeitung

Pharmakologie:Warnung vor Trumps Medikamentenempfehlung

Bisherige Daten zur Behandlung von Covid-19-Kranken lassen keine seriöse Therapie-Empfehlung zu. Donald Trumps Favorit enttäuscht.

Von Werner Bartens

Donald Trump hat sich zuletzt beinahe so oft zur Corona-Pandemie geäußert wie der ebenfalls bemerkenswert frisierte Virologe Alexander Kekulé. Eine Therapie hatte es dem US-Präsidenten besonders angetan. Mehrfach und in steigender Dosis riet der Mann aus dem Weißen Haus, die Kombination von Hydroxychloroquin und Azithromycin gegen Covid-19 zu nehmen. Über Twitter gab er am 21. März gar das International Journal of Antimicrobial Agents als Quelle dafür an, dass die Mittel zusammen besser wirken als allein. Als einen der größten "Game Changer" in der Geschichte der Medizin stufte er die Arznei-Kombo ein. Am 5. April legte Trump nach. "Take it", lautete seine Aufforderung, was habe man zu verlieren?

Bisher muss niemand sein Vorurteil revidieren, wonach Trump so viel Ahnung von Virologie hat wie ein Wüstenbewohner vom Perlentauchen. Ein 50-köpfiges Panel von Infektionsexperten aus den USA hat nun vor Hydroxychloroquin und Azithromycin als Heilmittel in der Corona-Pandemie gewarnt. Zu groß seien die potenziellen Nebenwirkungen. "Die Kombination ging bei Patienten mit Covid-19 mit einer Verlängerung der QT-Zeit einher", so das Urteil der Fachleute, die sich unter Führung des National Institute of Allergy and Infectious Diseases zusammengefunden haben. Das Institut gehört zum Campus der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) in Bethesda vor den Toren Washingtons und wird von Anthony Fauci geleitet. Der weltweit anerkannte Immunologe, der dieses Jahr 80 Jahre alt wird, ist Mitglied der "Coronavirus Task Force" des Präsidenten, aber es gelang ihm selten, Trump von seinen gewagten Theorien abzubringen. In der Expertenrunde ist Fauci nicht dabei.

Das Lieblingsmittel von Donald Trump fällt in der Bewertung der Experten durch

Als QT-Zeit, die als Begründung angegeben wird, bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 auf Hydroxychloroquin und Azithromycin zu verzichten, wird im EKG die Phase bezeichnet, in der sich die elektrische Erregung des Herzmuskels über die Kammern ausbreitet. Dadurch kontrahiert sich das Herz, das Blut wird in den Kreislauf gepumpt. Ist die QT-Zeit verlängert, kann es zu Rhythmusstörungen, eingeschränkter Auswurfleistung bis hin zum plötzlichen Herztod kommen. Diese Nebenwirkung ist nicht auf Covid-19-Patienten beschränkt, sondern lange bekannt. Daher werden bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, für die das Mittel hilfreich sein kann, mögliche Vorteile gegen mögliche Nebenwirkungen sorgsam abgewogen.

Eine solche Abwägung könnte auch für Covid-19-Patienten sinnvoll sein, doch Vorteile der Medikamente sind hier bisher nicht erwiesen, ein Nutzen nicht belegt, der Schaden schon. Die "klinischen Daten sind ungenügend, um eine Empfehlung dafür oder dagegen" auszusprechen, so das Urteil der Fachleute aus diversen medizinischen Disziplinen. "Wir beziehen uns auf die vorhandenen Daten", wird die Internistin Susan Swindells zitiert, die zum Expertengremium gehört. "Aber außer der unterstützenden Behandlung haben wir nichts gefunden, was gut funktioniert." Weder für die Vorbeugung einer Infektion noch für die Behandlung gebe es bisher neue Einsichten. Die Empfehlungen würden aber ständig aktualisiert.

Ähnlich haben deutsche Experten um Wolf-Dieter Ludwig die Situation kürzlich im Arzneimittelbrief zusammengefasst. "Geringe Aussagekraft" oder "wenig belastbare Evidenz", lautet die Bewertung der Fachleute, die sich dagegen wehren, dass vorschnell experimentelle Therapien zu Hoffnungsträgern erklärt werden.

Die Arznei wird seit Jahrzehnten in der Behandlung von Malaria und Rheuma eingesetzt

Hydroxychloroquin wie auch Chloroquin sind seit mehr als 70 Jahren als Mittel gegen Malaria bekannt, später kam die Indikation für rheumatische Leiden hinzu. Sie verändern den Säuregrad in der Zelle, wodurch verhindert werden soll, dass Viren mit der Zellmembran verschmelzen. Auch die Bindung der Viren an Andockstellen der Zelle wird behindert, wie im Labor gezeigt wurde. Detailliert listen die Experten in ihrer Stellungnahme Schwachstellen der bisherigen klinischen Studien auf, sodass deutlich wird, warum noch kein Medikament empfohlen werden kann.

Ähnlich negativ äußerten sich die Infektionsexperten auch über das Medikament Remdesivir, das die Virus-Replikation direkt unterbindet. Für einen klinischen Nutzen liegen bisher ebenfalls zu wenig Belege vor. Während für die meisten Therapiekandidaten genügend belastbare Daten fehlen, sprechen sich die Fachleute gegen Protease-Inhibitoren wie die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir aus, die aus der Aids-Therapie bekannt ist.

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Etliche Medikamente werden derzeit weltweit in zahlreichen Studien untersucht. Allein aufgrund von Einzelfallberichten, biochemischen Simulationen, Tierversuchen oder Zellkulturen kann jedoch keine seriöse Therapieempfehlung gegeben werden. Viele klinische Studien, die jüngst veröffentlicht wurden, haben zu wenige Teilnehmer, andere methodische Schwächen oder stammen aus unzuverlässigen Quellen, um fundierten Rat zur Behandlung daraus abzuleiten.

"Es gibt derzeit keine gute Evidenz für die Wirkstoffe, die in großen Studien untersucht werden", sagt Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. "Leider müssen wir weiterhin Geduld haben." Jeden Tag sind neue Erkenntnisse möglich, doch es kann dauern, bis ein "Game Changer" darunter ist.

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SZ vom 23.04.2020
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