Urteil:Kleine Kliniken dürfen Frühchen behandeln

Frühgeburten auch an kleinen Kliniken erlaubt

Für die Behandlung von sehr kleinen Frühchen brauchen Kliniken viel Erfahrung.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Extrem leichte Frühchen müssen in spezialisierten Krankenhäusern betreut werden. Nun hat ein Gericht abgelehnt, höhere Hürden für die Zulassung solcher Häuser aufzustellen. Ärzte halten das für falsch.

Von Nina von Hardenberg

Auch kleinere Kliniken dürfen weiterhin sehr früh geborene Babys betreuen. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel erklärte am Dienstag eine Regel für nichtig, die die Betreuung der extremen Frühchen nur sehr erfahrenen Kliniken erlauben sollte. Geplant war, dass Häuser, die Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm aufnehmen wollen, mindestens 30 solche Kinder im Jahr vorweisen müssen. Dagegen hatte eine Vielzahl von Krankenhäusern geklagt und damit beim Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg Ende 2011 auch Recht bekommen. Das Bundessozialgericht bestätigte nun dieses Urteil.

Die Richter störten sich dabei nicht grundsätzlich an dem Plan, dass die behandelnden Kliniken Erfahrung im Umgang mit Frühchen nachweisen müssen. Die schon heute geltende Schwelle von mindestens 14 Frühchen wird auch weiterhin gelten. "Erfahrung und Routine" könnten bei dieser hochkomplexen medizinischen Leistung durchaus die Überlebenschancen der kleinen Patienten beeinflussen, heißt es in einer Presseinformation.

Kritisch sah das Gericht allerdings die Erhöhung der Mindestbehandlungszahl auf 30. Für diese vergleichsweise hohe Zahl fehlt es nach Auffassung der Richter an Datenmaterial, das den Nutzen eindeutig belegt. Schließlich gebe es nachweislich auch Häuser mit weniger als 30 Patienten, die diese sehr gut behandelten. Diese stünden aber nach der neuen Regel den Müttern und Kindern nicht mehr zur Verfügung. Der Gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten, Krankenkassen und Kliniken, der die neue Mindestzahl eingeführt hatte, habe zudem verpasst, den Erfolg dieses Instruments in einer Begleitstudie zu untersuchen.

Zulassungsschwellen für Kliniken, die sehr früh geborene Babys betreuen wollen, gibt es seit 2008. Ärzte, Krankenkassen und Kliniken hatten sich im Gemeinsamen Bundesausschuss zunächst auf die Mindestzahl von 14 Frühchen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1250 Gramm geeinigt. Es handelt sich dabei nicht um alle Frühchen, sondern nur um die besonders kleinen und sensiblen Kinder. So stirbt von den sehr kleinen Kindern mit einem Gewicht unter 700 Gramm auch bei bester medizinischer Betreuung jedes zweite. Andere tragen Behinderungen davor.

Von den Kindern die schon 1000 Gramm wiegen, überleben dagegen über 90 Prozent. Doch auch um sie müssen sich besonders spezialisierte Ärzte und Pfleger kümmern. Schon kleine Fehler etwa bei der Gabe von Sauerstoff können zu Sehstörungen führen.

"Wir leisten uns ein sehr teures System"

2010 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss deshalb, die Schwelle für die Zulassung noch einmal zu erhöhen. Allerdings stimmten diesmal die Krankenhäuser dem Plan nicht zu. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hielt die Zahl 30 schon damals für willkürlich. Der Verband fühlte sich am Dienstag von dem Gericht bestätigt. Ein Sprecher erklärte erneut, dass die Regel zu einer schlechteren Versorgung hätte führen können, weil Mütter einen längeren Anfahrtsweg zur Klinik hätten. Frühchen seien aber nicht planbar.

Ein Argument, das Kinderärzte nicht gelten lassen wollen. "Kaum je fällt ein Kind plötzlich zu früh auf die Welt", sagte Leiter der Frühchenstation am Perinatalzentrum München-Großhadern, Andreas Schulze. Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Frühgeburten gebe es vorher Anzeichen wie vorzeitige Wehen oder vorzeitigen Fruchtwasserabgang.

Wie viele seiner Kollegen glaubt Schulze, dass man die Kinder in wenigen erfahrenen Kliniken besser betreuen könnte. "Wir leisten uns ein sehr teures System, was keine besseren Ergebnisse bringt". Allein in Bayern gebe es mehr als 30 Zentren, die das volle Spektrum der Intensivmedizin für Frühchen anböten. Ganz Australien käme dagegen mit wenigen großen Einheiten aus. Die Vielzahl der Stationen führe auch bei der Suche nach Personal zu Problemen.

Im Münchner Uniklinikum Großhadern kooperiert deshalb seit längerem mit den umliegenden Krankenhäusern. Diese schicken Patienten, bei denen sich eine Frühgeburt ankündigt, nach München. Die Uniklinik betreut dann die Geburt und die ersten besonders heiklen Lebenstage und schickt Mütter und Kinder aber zurück in die heimatnahen Häuser, sobald sich die Kinder stabilisiert haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: