Süddeutsche Zeitung

Psychosomatik:Warum Menschen im Urlaub krank werden

  • Studien zeigen, dass Patienten Schmerzen und andere Einschränkungen in den Ferien stärker wahrnehmen. Auch chronische Leiden wie Migräne oder Asthma flackern dann eher wieder auf.
  • Der Grund scheint in vorangegangenen Stressphasen zu liegen.

Von Werner Bartens

Wenn sich nach den Ferien Büros, Kanzleien und Fabrikhallen langsam füllen und Meetings wieder in voller Mannschaftsstärke stattfinden, zerfällt die Arbeitswelt in zwei Lager: Die einen schwärmen von geheimen Buchten, pittoresken Altstädten oder Heldentaten auf den Hochgebirgspfaden dieser Welt. Die anderen klagen, dass sie die Ferien vorwiegend krank im Urlaubsdomizil verbracht hätten und Erstbesteigungen, Kanufahrten und sogar der Besuch des lokalen Töpfermarktes leider ausbleiben mussten.

Es gehört zu den verbreiteten urbanen Legenden, dass Menschen im Urlaub eher krank werden, und zwar gerade dann, wenn der Stress zuvor besonders groß war. Der Körper holt sich zurück, was er braucht, so die populäre Vorstellung. Tatsächlich hat sich die Medizin diesem so alltagsnahen Thema bisher nicht sehr ausführlich gewidmet. Doch etliche Befunde weisen darauf hin, dass Menschen kurzfristige Belastungen zwar erstaunlich gut wegstecken, aber schwach und malade werden, wenn das Projekt endlich abgeschlossen ist, Prüfungen bestanden sind oder die große Feier vorbei ist.

"Bei hoher Belastung ist der Körper damit beschäftigt, alle Funktionen aufrechtzuerhalten, zudem werden erste dezente Symptome in dieser Phase nicht so leicht wahrgenommen", sagt Peter Henningsen, Chef der Psychosomatik an der Technischen Universität München. "Lässt der Stress nach, kommen die Beschwerden hingegen zum Vorschein." In der Tat zeigen verschiedene Studien, dass Patienten Schmerzen und andere Einschränkungen stärker erleben, wenn sie im Urlaub sind oder ein freies Wochenende haben. Auch chronische Leiden wie Migräne oder Asthma flackern dann eher wieder auf.

Zudem sorgt die körperliche Grundausstattung des Menschen dafür, dass er während akuter Stressphasen besonders widerstandsfähig ist. Es war evolutionär vorteilhaft, in Momenten größter Bedrohung kämpfen oder fliehen zu können. Wer hingehen von einem Hustenanfall oder Magengrimmen geschwächt wurde, als die Raubkatze oder feindliche Nachbarn angriffen, hat nicht überlebt - und seinen Genpool in der Steinzeit zurückgelassen. Kranksein im Urlaub ist also kein Zeichen von Schwäche, sondern zeigt eher den wohldosierten Einsatz der Kräfte.

Damit im entscheidenden Augenblick alle Reserven mobilisiert werden, schüttet der Körper Stresshormone wie Adrenalin und Kortisol aus. Das lindert akut Schmerzen und andere Pein, dadurch können aber auch schlummernde Virusinfektionen aktiviert werden. In Phasen der Entlastung machen sie sich Tage später als erste Krankheitssymptome bemerkbar. Zudem normalisiert sich der Spiegel der Stressmoleküle bald nach der akuten Belastung, was den Organismus ebenfalls anfälliger macht. In seinem englischsprachigen Buch "Warum Entspannung gefährlich für die Gesundheit ist", erklärt Marc Schoen von der University of California in Los Angeles jene Mechanismen, die den Körper ausgerechnet dann streiken lassen, wenn er sich erholen will.

Ein Trost bleibt für im Urlaub niedergestreckte Arbeitnehmer immerhin. Wer sich eine Krankmeldung für die an fernen Gestaden erlittene Unpässlichkeit besorgt, bekommt seine Urlaubstage wieder gutgeschrieben.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018
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