Die Olympischen Spiele in London begeistern nicht nur die Zuschauer, sie werden auch viele Menschen dazu animieren, selbst wieder etwas für ihre Fitness zu tun, sei es täglich ein paar Kilometer Rad zu fahren oder sich auf einen Marathon vorzubereiten. Zwangsläufig werden die Freizeitsportler früher oder später mit einer Fülle an Informationen konfrontiert, was, wann und wie viel sie zu trinken hätten. Und das ist keineswegs nebensächlich, so erfährt man, schließlich beeinflusse das richtige Trinkverhalten die Leistung und obendrein sei eine fehlerhafte Flüssigkeitszufuhr beim Sport sogar gefährlich - man riskiere Austrocknung, Hitzeschock oder Muskelkrämpfe. Vor allem die Hersteller von sogenannten Sportgetränken werben damit, dass ihre Produkte bei mehr als 30-minütiger, intensiver körperlicher Betätigung purem Wasser überlegen seien.
Sportlergetränke sind ein Mix aus Wasser, Zucker und Mineralstoffen wie Natrium und Kalium, weswegen sie auch Elektrolytgetränke heißen oder als "isoton" bezeichnet werden. Einige sind zudem angereichert mit Vitaminen und Eiweißen oder enthalten die Wachmacher Taurin und Koffein. Für den Geschmack sorgen Fruchtsäfte. Hinter einigen Getränken stehen große Firmen. So gehört Gatorade zu PepsiCo, Powerade ist aus dem Hause Coca-Cola und auch der Pharmahersteller GlaxoSmithKline produziert ein spezielles Sportlergetränk namens Lucozade Sport.
Auf den entsprechenden Internetseiten steht, warum ein Breitensportler diese "Powerdrinks" gegenüber Wasser bevorzugen sollte: Natrium in Sportdrinks stimuliere den Durst, was zu einer gesteigerten Trinkmenge führe und Wasser besser im Körper zurück halte. Die zugesetzten Kohlenhydrate, etwa Traubenzucker, sollen zudem helfen, Wasser im Dünndarm schneller zu absorbieren. Außerdem würde der Geschmack der Mix-Getränke dazu animieren, mehr zu trinken. Mit dem Energie- und Mineraliengehalt könnte obendrein die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit nachhaltig auf höchstem Niveau gehalten werden.
All dies soll wissenschaftlich bewiesen sein, so versichern die Hersteller. Die Wirkung von Lucozade etwa werde laut GlaxoSmithKline von mehr als 85 Studien gestützt. Sogar die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hält dieses Datenmaterial für ausreichend und hat vergangenes Jahr so genannte Health Claims für zwei Elektrolyt-Drinks zugelassen, darunter Lucozade. Sie dürfen damit werben, dass sie leistungsfördernd sind.
Die Wirkung von diesen Getränken ist jedoch keineswegs wissenschaftlich belegt. So hat Carl Heneghan vom Centre of Evidence Based Medicine der Universität Oxford pünktlich zu den Olympischen Spielen im British Medical Journal mehr als 100 Sportlergetränke oder Eiweiß-Shakes unter die Lupe genommen. Er untersuchte 430 Versprechen zur Leistungssteigerung, indem er nach entsprechenden Studien fahndete. Das Ergebnis: Nur drei Prozent der Studien waren von guter Qualität. So hatte etwa nur eine der Studien eine Teilnehmerzahl von mehr als 100 Personen, mindestens 1000 Personen gelten jedoch als guter Standard. "Die Vor- und Nachteile dieser Produkte sind nicht ausreichend untersucht", folgert Heneghan.
Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung stimmt seinem Kollegen aus Oxford zu: "Für Freizeitsportler oder auch für Kinder ist Wasser oder Saft-Schorle zur Flüssigkeitszufuhr ausreichend. Spezielle Sportlergetränke sind vollkommen unnötig." Zumal die Getränke auch erheblich Kalorien liefern: In einem Glas mit 250 Millilitern Powerade stecken zum Beispiel 53 Kilokalorien. "Gerade wer weniger als eine Stunde Rad fährt oder joggt, braucht keine energiereichen Getränke", sagt auch Daniel König, Leiter der Abteilung Ernährung am Sportinstitut der Universität Freiburg.
Im Spitzensport ist die Belastung größer. Athleten können bei intensiver Leistung mehr als einen Liter Schweiß pro Stunde und damit auch viele Mineralstoffe verlieren. Zudem gibt es laut dem Freiburger Sportmediziner König genügend Studien, die zeigen, dass bei mehrstündiger Anstrengung Kohlenhydrate, also Zucker die Leistungsfähigkeit verlängern. "Apfelsaft gemischt mit Mineralwasser reich an Magnesium, Natrium und Kalium liefert jedoch auch in diesen Fällen ausreichend Zucker und Elektrolyte", sagt König. So ist etwa der mehrmalige Hamburger Marathon-Meister Steffen Benecke nur mit Saftschorle, stillem Wasser und gezuckertem Tee als Erster durchs Ziel gelaufen.
Dass Sporttreibende mit irreführenden Informationen geradezu bombardiert werden, liegt an einer seit den 1970er Jahren anhaltenden Kooperation von nicht ganz unabhängigen Wissenschaftlern und kreativen Marketingexperten - das hat Deborah Cohen ebenfalls im British Medical Journal aufgedeckt.
Als vor 40 Jahren die Marathonläufe in New York immer besser besucht waren, witterte die Getränkeindustrie einen gigantischen Absatzmarkt. Die Verbraucher mussten nur davon überzeugt werden, dass die Sportgetränke besser als Wasser seien und auch, dass man beim Sport generell viel trinken müsse. Mit Erfolg: Seit Jahren steigen die Umsatzzahlen der Branche. So trank laut Statistischem Bundesamt jeder Deutsche 1,3 Liter Mineralstoffgetränke im Jahr 2003, während es 2009 schon 2,9 Liter waren. In den USA hat der Markt die Milliardengrenze längst überschritten.
Und tatsächlich gibt es auch keine Studien, die die Behauptungen der Industrie widerlegen. Der Grund: Studien mit negativen Ergebnissen würden in den einschlägigen Wissenschaftsjournalen gar nicht veröffentlicht. Denn in den Gremien der Magazine sitzen oft Wissenschaftler, die von der Industrie finanziert seien, hat BMJ-Redakteurin Cohen beobachtet. "Auf der anderen Seite gibt es in diesem Bereich kaum öffentliche Forschungsförderung", sagt Heseker.
Die von der Industrie gesponserten Wissenschaftler haben in so genannten Konsensus-Gesprächen Richtlinien erarbeitet, die von Fachgesellschaften oft eins zu eins übernommen wurden. Auch wenn eine Zusammenarbeit mit der Industrie in der Ernährungswissenschaft keineswegs selten oder per se problematisch ist, so sollten laut Paul Laursen vom Sports Performance Institute in Neuseeland zumindest Wissenschaftler mit Interessenkonflikten nicht an der Erarbeitung von Richtlinien beteiligt sein. Schließlich orientieren sich auch Ärzte oder Fitnesstrainer an solchen Trink-Tipps.
Ein fragwürdiger Erfolg der Allianz von Wissenschaft und Industrie ist der weit verbreitete Glaube, dass das Durstgefühl kein verlässlicher Indikator für Wassermangel im Körper sei. So rät etwa der Gesundheitsverband Diabetes UK seinen sportbegeisterten Patienten, alle 15 Minuten 150 Milliliter zu trinken, auch wenn sie keinen Durst spürten. Bis in den Schulsport sind die Empfehlungen durchgesickert: Laut Cohen werden britische Kinder dazu angehalten alle 20 Minuten ihre Trinkflaschen zu zücken.
Dabei ist Durst sehr wohl ein sicheres Signal. "Schon bei 0,5 Prozent Wasserverlust schlägt der Körper Alarm", sagt Heseker. So hat eine Meta-Analyse der kanadischen McGill University im Jahr 2011 gezeigt, dass Radfahrer, die sich auf ihr Durstgefühl verlassen, die besten Zeiten einfahren. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) rät dazu, vor dem Sport die Flüssigkeitsspeicher aufzufüllen. Während des Sports braucht man gemäß den Experten jedoch keinen Nachschub, es sei denn, man trainiert mehr als eine Stunde.
Auch dass Dehydratation, also Wassermangel, zwangsläufig zu Hitzschlag oder Muskelkrämpfen führt, ist nicht belegt. So haben Studien der Sportmedizinerin Sandy Fowkes-Godek von der West Chester University mit Football-Spielern gezeigt, dass Überhitzung nichts mit Dehydratation zu tun hat.
Andere Studien entdeckten zwar einen Zusammenhang, dies lag jedoch laut Fowkes-Godek am Studiendesign: "Die meisten Studien dazu werden in einer Klimakammer durchgeführt, ohne gute Belüftung. Das entspricht nicht den üblichen Trainingsbedingungen." Auch Herbert Löllgen Präsident der DGSP plädiert für individuelle Trinkmengen beim Sport: "Jeder muss selbst die Erfahrung machen, wie viel Flüssigkeit er braucht."