Umstrittene Werbung eines Pharmakonzerns:Botox gegen Migräne?

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Botox als Mittel gegen Falten ist bekannt. Dass der US-Pharmakonzern Allergan nun damit Migräne behandeln will, ist neu.

(Foto: Bloomberg)

Nach den Falten jetzt die Migräne: Der Pharmakonzern Allergan wirbt in einer fragwürdigen Kampagne mit Botox gegen chronische Migräne. So kreiert man neue Märkte.

Von Christian Baars, Christina Berndt, Lena Gürtler und Kaveh Kooroshy

Die ältere Dame ist irritiert. Sie hat geglaubt, sie werde von einem Selbsthilfeverein angesprochen: "Über 49 000 Berliner wissen nicht, dass sie unter Chronischer Migräne leiden. Auch Sie?", steht auf einem Plakat, von dem ein überdimensionaler Kopf auf zwei dünnen Beinen grimmig herabschaut und das Motto "Kopf frei fürs Leben" verkündet.

Dass ein Pharmakonzern hinter der Aktion steckt, findet die Frau unfair: Für sie "sieht es so aus", als ob hier jemand unentgeltlich "den Leuten hilft".

Wer die Kampagne in Berlin in Auftrag gegeben hat, wird erst beim Nachforschen klar: Die Plakate verweisen auf die Website www.chronischemigraene.de - und die wurde von der Pharm-Allergan GmbH ins Netz gestellt, der deutschen Vertriebszentrale des US-Pharmakonzerns Allergan. Zu dessen bekanntesten Arzneien gehört Botox mit dem Wirkstoff Botulinumtoxin. Das muskellähmende Gift ist als Mittel gegen Falten bekannt geworden.

Botox gegen chronische Migräne

Zwei Milliarden Dollar hat Allergan 2013 mit Botox umgesetzt. Doch die Berliner Plakat-Aktion könnte das Mittel noch lukrativer machen - wenn Patienten Botox nicht nur gegen Falten nutzen, sondern vermehrt auch gegen chronische Migräne.

Nach Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung sind an der Kampagne auch namhafte Ärzte beteiligt, die Honorare von Allergan etwa für Vorträge oder Gutachtertätigkeiten bekommen.

Die Aktion stößt nicht nur bei Passanten auf Kritik, die sie unfair oder hinterrücks finden. Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente ist in Deutschland verboten. Doch die Website sei "sehr geschickt aufgemacht", sagt der Bremer Medizinrechtler Benedikt Buchner. Die Firma habe "alle Graubereiche umschifft", sodass sie juristisch kaum angreifbar sei.

"Solche Kampagnen sollen neue Patienten generieren", sagt eine Ärztin

Denn Botulinumtoxin ist nur einer von verschiedenen Pharma-Wirkstoffen, die auf der Internetseite erwähnt werden. Und ein konkretes Produkt, wie Botox, wird nicht genannt. Dafür gibt es jede Menge Tipps rund um die chronische Migräne. Von einer solchen sprechen Ärzte, wenn Patienten an mindestens 15 Tagen im Monat unter Kopfschmerz leiden, davon an acht Tagen unter Migräne.

Wer weiß, wie furchtbar Migräne bereits ist, wenn sie nur an ein bis zwei Tagen im Monat vorkommt, kann sich kaum vorstellen, dass es Patienten gibt, die vielleicht erst durch Plakate auf ihr Leiden aufmerksam gemacht werden.

"Solche Kampagnen sollen ganz klar neue Patienten für dieses Krankheitsbild generieren. Patienten sollen eine entsprechende Therapie verlangen, auch wenn sie nur unter häufigen Kopfschmerzen statt unter Migräne leiden", sagt Christiane Fischer von der Ärzte-Initiative Mezis, die sich gegen Pharma-Einflussnahme auf Mediziner wendet.

Das eigentliche Problem: Ärzte kooperieren mit Pharmaherstellern

Auf der Website von Pharm-Allergan sind auch Hinweise auf Ärzte zu finden, die sich mit chronischer Migräne befassen. Darin sieht der Medizinrechtler Buchner das eigentliche "Problem bei dieser Kampagne": Ärzte kooperieren mit dem Pharmahersteller. Einer von ihnen ist Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel. Dort spritzt er auch immer wieder Botox.

Göbel tritt auf chronischemigraene.de als Experte auf. Außerdem hat seine Klinik Videos auf Youtube veröffentlicht, in denen Patienten über das Leiden berichten. Am Ende erscheint ein Hinweis auf die Website. Geld haben er und seine Klinik für das alles nicht erhalten, betont Göbel.

Allerdings bekommt er von Allergan für andere Leistungen Honorare, unter anderem für Schulungen von Ärzten. Ein Problem sieht er darin nicht. Das Geld werde für seine Arbeitszeit und seine Expertise gezahlt, so Göbel. Auch müssten Ärzte bei Veröffentlichungen oder Vorträgen angeben, von wem sie Unterstützung erhalten hätten. Wie hoch die Honorare waren, die er in den vergangenen Jahren von Allergan erhalten hat, will Göbel aber nicht sagen.

Wie gut Botulinumtoxin gegen Migräne hilft, ist umstritten

Botulinumtoxin ist seit 2011 zur Behandlung chronischer Migräne zugelassen - allerdings nur gegen diese schwere Form und nur, wenn alle anderen Therapien versagt haben. Dann wird das Gift an bis zu 45 Stellen in Kopf und Hals gespritzt. Durch die Muskellähmung würde der Schmerz gemindert, lautet eine Theorie. Wie gut das hilft, ist umstritten.

Die Zulassung von Botulinumtoxin gegen chronische Migräne sei kontrovers diskutiert worden, schreibt das Bundesinstitut für Arzneimittel. Die Stiftung Warentest meint, Botox helfe gegen chronische Migräne allenfalls "ein bisschen".

Und Wolfgang Becker-Brüser vom pharmaunabhängigen Arznei-Telegramm meint sogar: Botox bei Migräne sei "überflüssig, da es schlecht untersucht ist und zu viele Risiken hat". Es sei zudem "extrem teuer". Eine Behandlung kostet etwa 800 Euro, sie muss alle drei Monate wiederholt werden.

In Schottland hat sich die zuständige Behörde geweigert, Botox zuzulassen, weil die Studiendaten nicht ausreichten.

Die Ärzte schweigen über die Bezahlung

Viele Schmerzspezialisten nutzen Botox trotzdem. Auf chronischemigraene.de sind mehr als 200 Ärzte aufgelistet, von denen viele die Therapie anbieten. Alle befragten Ärzte verneinen, für den Auftritt auf der Website von Allergan bezahlt worden zu sein. Aber die Firma entlohnt viele von ihnen für Vorträge, Seminare oder Forschungen und macht auch außerhalb der Plakataktion auf ungewöhnlichen Wegen auf die chronische Migräne aufmerksam.

Mitte Oktober hatte Allergan in einem Berliner Einkaufszentrum einen Stand aufgebaut. Interessierte konnten einen Selbsttest ausfüllen und sich auch gleich von einem Arzt beraten lassen. Nur wenige Tage später sind auf dem Deutschen Schmerzkongress in Hamburg fast alle namhaften Schmerzexperten anzutreffen.

Allergan veranstaltet dort ein Symposium, bei dem Arne May, Leiter der Kopfschmerzambulanz am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, über Migräne spricht. Dafür bekomme er eine "Aufwandsentschädigung", erklärt May. Wie hoch sie ist, sagt er nicht.

Allergan zahlte einem Arzt 49 839,55 Dollar

Allergan betont, man fühle eine "Verantwortung, Betroffene über das Krankheitsbild aufzuklären und sie bei der Suche nach einem Facharzt zu unterstützen". Konkrete Summen, die an Ärzte fließen, will die Firma nicht nennen. Dazu sei sie nicht befugt. In den USA müssen solche Zahlungsflüsse dagegen veröffentlicht werden.

Ein Blick in das Register zeigt, dass Allergan 2013 an viele der aufgeführten Ärzte mehrere Tausend US-Dollar zahlte. Der höchste Beratervertrag brachte einem Mediziner 49 839,55 Dollar ein.

Ein Interview wollte Allergan NDR und SZ nicht geben. Vor Kurzem hat der Europachef der Firma, Paul Navarre, aber mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über seine Visionen gesprochen. Er erklärte auch die Kampagne zur chronischen Migräne: Es gehe um "Market Creation" - also darum, einen neuen Markt für Botox zu schaffen.

Bei einem neuen Therapiekonzept sei es "notwendig, Strukturen zu fördern, welche die Anforderungen der Zulassung sicherstellen", erläuterte Allergan nun per Mail. Dies schließe "die Fortbildung von Ärzten" und "Trainings durch Experten" ein. Offenbar sehen manche Ärzte kein Problem darin, dabei zu helfen.

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