Umstrittene Arthrose-Therapie:Pharmafirma will kritische Mediziner mundtot machen

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Ein bizarrer Streit um eine Therapie gegen Gelenkschmerzen zeigt, in welche Schwierigkeiten Mediziner geraten können, wenn sie ein zweifelhaftes Heilverfahren öffentlich kritisieren. Der Hersteller kämpft mit allen juristischen Mitteln, um eine Stellungnahme zu verhindern.

Von Christina Berndt

Als auch noch der Hollywood-Schauspieler Nick Nolte auf den Plan trat, reichte es den Ärzten. Sie wollten etwas unternehmen, um ihre oft verzweifelten Schmerzpatienten davon abzuhalten, in eine teure und aus ihrer Sicht vermutlich nutzlose oder gar schädliche Behandlung zu investieren.

Gemeinsam mit anderen Fachleuten verfassten die Rheuma- und Knochenspezialisten für die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) eine kritische Stellungnahme zur "Orthokin-Therapie". Darin rieten die 16 Autoren deutlich von Orthokin-Injektionen zur Behandlung von Gelenkschmerzen ab.

Von diesen fachlichen Bedenken haben Patienten bis heute allerdings wenig gehört. Dabei war die kritische Stellungnahme schon im September 2009 auf der Homepage der DGRh zu lesen. Doch deren Verfasser bekamen kurz darauf unangenehme Post von der Orthokin-Vertriebsfirma Orthogen Lab Services (OLS). Für die kritischen Ärzte begann ein Stresstest, der bis heute andauert.

Die Firma OLS forderte die 16 Autoren auf, ihre Stellungnahme aus dem Internet zu entfernen, ähnliche Äußerungen künftig zu unterlassen und einige gar zu widerrufen. Sonst drohe ihnen eine Unterlassungs- und Schadensersatzklage. Der damals angesetzte Streitwert: 212.000 Euro. Die Firma richtete sich damit keineswegs an die Fachgesellschaft DGRh, sondern an jeden einzelnen Experten; sie wollte die Doktoren und Professoren persönlich für finanziellen Schaden verantwortlich machen, den die Stellungnahme verursachen könnte.

Wirksamkeit nicht bewiesen

Patienten hatten immer wieder bei der DGRh nachgefragt, warum Krankenkassen die Therapie nicht bezahlen wollten, die viele niedergelassene Orthopäden und Schmerzspezialisten gegen teures Geld in ihren Praxen anbieten. Rücken- oder Gelenkschmerzen können quälend sein. Entsprechend verzweifelt sind Patienten - und entsprechend offen für ungewöhnliche Heilsversprechen, zumal wenn diese verführerisch klingen: Die Firma OLS verkauft die Orthokin-Therapie als sanft und biologisch, als "Medizin Deines Körpers". Körpereigene Stoffe und Zellen, die entzündungshemmend und schmerzlindernd seien, würden aus dem Blut des Patienten gewonnen, heißt es: "Das Orthokin-Therapiesystem ist eine einzigartige Möglichkeit, Arthrose und Rückenschmerzen biologisch, ohne Fremdstoffe und vollständig körpereigen zu behandeln."

Das kommt bei Kranken gut an - sogar in Hollywood. Und wenn die Orthokin-Erfinder Berühmtheiten wie Nick Nolte als Unterstützer präsentieren, erzeugt das Aufmerksamkeit. "Jahrelang habe ich furchtbare Schmerzen ertragen, weil ich es nicht besser wusste", erzählte Nolte im Beisein seines Arztes Peter Wehling, der Orthokin-Erfinder und Vorstandsvorsitzender der OLS-Muttergesellschaft Orthogen ist. Er habe über einen Football-Star aus Dallas ("diese Sportler sind später alle Krüppel") von Wehling und Orthokin erfahren, sagte Nolte. Nun sei er wieder zur Behandlung in Düsseldorf. Lokalzeitungen druckten begeisterte Artikel über den Auftritt.

Doch nach Meinung der DGRh ist die Wirksamkeit der Therapie keineswegs bewiesen. Die 16 Autoren halten das Verfahren sogar für gefährlich: Immerhin werden dem Patienten die aus seinem Blut gewonnenen Substanzen zurückgespritzt - und zwar in die Nähe von Nerven oder direkt ins Gelenk. "Grundsätzlich kann es bei jeder Injektion in das Gelenk zu mitunter auch gefährlichen Infektionen und Entzündungsreaktionen kommen", warnt Gerd-Rüdiger Burmester, Direktor der Klinik für Rheumatologie an der Berliner Charité, einer der 16 Kritiker.

Eine Qualitätskontrolle findet nicht statt

Ähnlich sieht es Wolfgang Becker-Brüser vom pharmakritischen Arznei-Telegramm. Er betont, Orthokin unterliege als "Individualrezeptur" aus körpereigenem Blut keiner behördlichen Prüfung auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Eine Qualitätskontrolle des Produkts durch eine Überwachungsbehörde finde bei Therapeutika, die wie Orthokin in einer ärztlichen Praxis hergestellt und angewendet werden, nicht statt, so Becker-Brüser. Dies sei eine "Rechtslücke im Arzneimittelgesetz, durch die zweifelhafte Produkte wie Orthokin legal vermarktet werden können". Zuletzt befasste sich das Arznei-Telegramm im Jahr 2012 mit Orthokin. Das Fazit war deutlich: "Wir raten angesichts der völlig unzureichenden Daten zur Zusammensetzung sowie zu Nutzen und Sicherheit dringend von Orthokin ab."

Aber warum haben Nick Nolte und andere Patienten den Eindruck, dass Orthokin wirkt? Becker-Brüser erklärt das so: "Sobald ich etwas in ein Gelenk injiziere, auch wenn es nur Kochsalzlösung ist, schaffe ich einen Puffer. Dadurch nehmen die Beschwerden zunächst ab. Die Effekte halten letztlich aber nicht lange an." Die Folge: Die Patienten kommen bald zurück und möchten eine weitere Orthokin-Behandlung. Vier bis acht Spritzen stehen dann jedes Mal an. Kostenpunkt: zwischen 1000 und 2200 Euro. 300.000 Injektionen seien in den vergangenen 15 Jahren verabreicht worden, gibt der Hersteller an.

Die 16 Fachleute wollten daher dem juristischen Druck des Herstellers nicht nachgeben. Doch die Firma machte ihre Drohungen wahr: Sie klagte - und verlor. Das Landgericht Hamburg wies die Klage im Jahr 2010 in erster Instanz vollumfänglich ab und begründete dies vor allem mit wissenschaftlicher Meinungsfreiheit. Die Firma klagte dennoch weiter und weiter, bis heute. Auch wenn sie immer wieder unterlag, zog sie daraus doch einen Vorteil: Solange die kritische Stellungnahme streitbarer Gegenstand vor Gericht war, wagte die DGRh nicht, sie im Internet zu präsentieren. "Es standen hohe Schadenersatzforderungen im Raum, die einen persönlich ruinieren konnten", sagt Burmester. An die Klagen erinnert er sich mit Grauen: "Wenn man da nicht die Nerven bewahrt, steht man das nicht durch."

Inzwischen haben die Fachleute den Prozess in drei Instanzen gewonnen, bis zum Bundesgerichtshof (BGH) hat sich der Streit gezogen. Daher beschloss die DGRh vor Kurzem, auf ihrer Internetseite von den Vorgängen zu berichten und im Rahmen dessen die Stellungnahme wieder zu veröffentlichen.

Doch Anfang November bekamen die 16 Fachleute erneut Post: Diesmal schickte ihnen der Rechtsanwalt Klaus Wehling, Bruder des Orthogen-Erfinders Peter Wehling und ebenfalls Orthogen-Vorstand, persönlich einen Brief: Die OLS habe gegen das BGH-Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Deshalb sollten die Fachleute dafür "Sorge tragen, dass die Meldung aus dem Internetangebot der DGRh umgehend entfernt wird".

Kurz darauf teilte Klaus Wehling den Betroffenen mit, OLS habe bei mehreren Landgerichten neue Klagen gegen sie und nun auch gegen die DGRh eingereicht. "Unanständig" finde er dieses Gebaren, sagt der Erstautor der Orthokin-kritischen Stellungnahme, Stefan Rehart von der Klinik für Orthopädie am Agaplesion-Markus-Krankenhaus in Frankfurt. Wolfgang Becker-Brüser sagt: "Es ist nicht akzeptabel, dass Fachleute mundtot gemacht werden, indem man sie mit Rechtsstreitigkeiten überzieht." Hier werde versucht, das Nichtvorhandensein wissenschaftlicher Argumente "durch juristische Drohgebärden wettzumachen".

Von einer überzogenen Reaktion will Orthogen-Vorstand Klaus Wehling nichts wissen: "Selbstverständlich tolerieren wir unabhängige Meinungen Dritter zur Wirksamkeit der von uns vertriebenen Therapie, wenn die Grundannahmen stimmen", teilt er auf Anfrage mit. Letzteres sei hier aber nicht der Fall. So unterschlägt die DGRh nach Wehlings Meinung Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Orthokin-Behandlung sehr wohl belegt hätten.

Wenn das so ist, warum gaben die Gerichte bisher immer den DGRh-Fachleuten recht? "Uns ist sehr wohl bewusst, dass unser rechtliches Vorgehen den Eindruck erwecken kann, wir wären Querulanten und könnten nicht damit umgehen, dass die Gesellschaft eine andere Meinung von der Therapie hat. Aber dieser Eindruck wäre falsch", sagt Klaus Wehling. Die DGRh wiederum will sich nicht beirren lassen: "Wir haben ein rechtskräftiges Urteil und können es nicht hinnehmen, weiterhin mundtot gemacht zu werden", sagt DGRh-Generalsekretärin Julia Rautenstrauch.

Stellungnahme mit geschwärzten Stellen

Rein vorsorglich habe die DGRh im Internet zwei Aussagen in der Stellungnahme geschwärzt. Sie wolle aber weiterhin Patienten darauf aufmerksam machen, "dass der Nutzen der Orthokin-Therapie nicht nachgewiesen ist und diese Therapie nicht zu rechtfertigende Risiken birgt". Bald will die DGRh mit einer aktualisierten Stellungnahme nachlegen. Darin werden dann auch die neuesten Studien zu Orthokin kritisch geprüft.

Insgesamt, so Rautenstrauch, gebe es ohnehin zu wenige öffentliche Stellungnahmen von Fachleuten zu Therapien. Tatsächlich wagen Fachgesellschaften selten deutliche Worte. So warnte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie im April vor Gefäßeingriffen bei Multipler Sklerose. Das Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW prangerte im Februar 2010 Therapien mit körpereigenen Stammzellen gegen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson als Geldmache an.

Sollte das Orthokin-Beispiel Schule machen, könnten sich Fachgesellschaften noch seltener zu Stellungnahmen durchringen. Dabei sind solche Bewertungen für Betroffene wichtig. "Die Patienten erfahren über Jahre keine Kritik an so einem Verfahren, wenn der Anbieter damit so viel Geld verdient, dass er durch so viele Instanzen gehen kann", sagt Rautenstrauch.

© SZ vom 17.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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