Die Bundesregierung möchte Therapien mit Frischzellen lieber heute als morgen ein Ende setzen. Das erfuhren NDR und SZ aus informierten Kreisen. Dennoch überlässt der Bund es weiterhin den Ländern, wie diese mit den Anbietern der nutzlosen und gefährlichen Therapien umgehen, in deren Rahmen Zellen von Schafen und anderen Huftieren Menschen injiziert werden. Versprochen wird Heilung gegen allerlei Krankheiten. Nachgewiesene Erfolge hat es nie gegeben, während die Risiken der Behandlung klar dokumentiert sind.
"Die Länder können gegen Frischzellen-Behandlungen vorgehen", sagt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Ein Gutachten habe den klassischen lebenden Frischzellen bereits Bedenklichkeit attestiert. "In Kürze wird den Ländern ein weiteres Gutachten zur Verfügung gestellt werden, das bewertet, wie es um den Einsatz toter tierischer Zellen steht. Auf dieser Basis können dann weitere Maßnahmen ergriffen werden."
An ein Verbot traut sich die Bundesregierung trotz der Gefahr für die Gesundheit der Patienten aber nicht heran. Man befürchte juristische Probleme, heißt es. Dabei hat erst vor Kurzem der Bundesrat die Bundesregierung dazu aufgefordert, schärfere Maßnahmen gegen die als Quacksalberei verschrienen Methoden zu erlassen: Da die Zellpräparate keiner Zulassung nach dem Arzneimittelrecht bedürfen, sei es "erforderlich, ein Verbot mit Strafbewehrung zu erlassen", so der Bundesrat in einer Stellungnahme.
Beachtlichen Umsätze garantieren gute Steuereinnahmen
Dies wäre dem Bund inzwischen wohl auch möglich, da er größere Kompetenzen im Arzneimittelrecht erlangt hat. Er verfügt nun nicht mehr nur über die Kompetenz für den "Verkehr mit Arzneien", sondern auch im "Recht der Arzneien". 1997 hatte das Gesundheitsministerium, damals von Horst Seehofer (CSU) geführt, noch eine Niederlage beim Verbot der Frischzellenkuren erlitten. Es waren Menschen infolge der kruden Behandlung gestorben, aber das Verbot kippte aus formalen Gründen: Zuständig seien die Länder, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000.
Es erklärte die sogenannte Frischzellen-Verordnung in Teilen für nichtig. In der Folge dürfen aus Frischzellen hergestellte Arzneien zwar nicht in Verkehr gebracht werden. Ärzte dürfen sie aber bis heute für ihre eigenen Patienten herstellen, wenn sie eine Erlaubnis von ihrer lokalen Regierung bekommen. Allzu oft wird die Genehmigung gerne vergeben, da die ortsansässigen Frischzellkliniken mit ihren zum Teil beachtlichen Umsätzen gute Steuereinnahmen garantieren.
Gefahr, dass krankmachende Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden
Eine rechtliche Anpassung ist auch deshalb dringend, weil sich Anbieter zunehmend auf Therapien mit Präparaten aus toten tierischen Zellen verlegt haben, seit die Kuren mit lebenden Zellen von Schafen, ungeborenen Lämmern oder anderen Tieren in Verruf geraten sind. Doch Experten zufolge besteht auch dabei die Gefahr, dass krankmachende Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden. Der Bundesrat schreibt dazu, dieser Bereich "weist vergleichbare Risiken auf, unterliegt aber keinen gesetzlichen Einschränkungen."
So boomen die Therapien, die fast überall auf der Welt verboten sind, ausgerechnet in Deutschland. Hunderte Kliniken, Ärzte und Heilpraktiker bieten die fragwürdigen Behandlungen an und locken zahlungskräftige Medizintouristen aus dem Ausland; unter Patienten, die in Rheinland-Pfalz behandelt wurden, traten in den vergangenen Monaten mindestens sechs Fälle von Q-Fieber auf - einer Schafkrankheit, die auch dem Menschen gefährlich werden kann. Im September 2015 warnte die US-Seuchenschutzbehörde deshalb vor solchen bizarren Therapien in Deutschland.