Süddeutsche Zeitung

Übergewicht:Krankenkassen sollten Magen-Verkleinerungen bezahlen

Krankhaft übergewichtige Menschen gelten zu Unrecht als faul und willensschwach - ab einem gewissen Gewicht helfen Diäten kaum noch. Fettleibige Patienten brauchen deshalb andere Hilfe.

Kommentar von Astrid Viciano

Die Medien strotzten in den vergangenen Wochen vor guten Nachrichten über den Segen der Fettpölsterchen. Übergewichtige Menschen leben länger als schlanke, so ergab jüngst eine Studie. Sie haben auch bessere Chancen, einen Herzinfarkt zu überleben. Die schlechte Nachricht dabei: Das gilt nur für Menschen mit einem Body-Mass-Index von rund 27, zum Beispiel bei einem Körpergewicht von 74 Kilogramm bei 165 Zentimetern Größe. Doch nimmt in Deutschland vor allem der Anteil jener zu, die deutlich mehr Kilogramm auf die Waage bringen, die krankhaft übergewichtig sind. Ihnen droht, früh an Typ-2-Diabetes zu erkranken, vorzeitig Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gelenkprobleme zu bekommen.

In dieser Woche pochten Mediziner daher mit dem Nationalen Aktionstag Adipositas darauf, krankhaftes Übergewicht endlich als chronische Erkrankung zu behandeln. Und auf diese Weise auch mit grundlegenden Vorurteilen gegenüber extrem dicken Menschen aufzuräumen. Sie seien faul und zu willensschwach, um die überflüssigen Pfunde zu verlieren, heißt es gern. Dass Facebook zeitweilig das Foto eines Supersize-Models gelöscht hat, weil sich andere Menschen bei dem Anblick der Frau schlecht fühlen könnten, trägt auch weiter zur Stigmatisierung bei.

Fünf Mal mehr Magen-OPs in Frankreich

Dabei hat sich bei extrem dicken Menschen das Fett selbst zum Feind entwickelt, gegen den Willensstärke allein nicht ankommt. Die Fettzellen senden dann Botenstoffe aus, die den Stoffwechsel mächtig durcheinander bringen. Bei einem Body-Mass-Index von 40, also 100 Kilogramm bei 165 Zentimetern helfen Diäten erfahrungsgemäß nicht mehr. Es wäre daher sinnvoll, gezielte Eingriffe gegen das Übergewicht als Kassenleistung einzuführen, so wie Chirurgen dies aktuell im Deutschen Ärzteblatt fordern.

Diese Operationen verkleinern den Magen so, dass er viel weniger Nahrung aufnehmen kann. Bislang zahlen gesetzliche Krankenkassen erst ab einem Body-Mass-Index von 35 - sofern Begleiterkrankungen vorliegen. Und selbst dann entscheiden die Krankenkassen noch von Fall zu Fall, ob sie die Kosten übernehmen. Internationale Leitlinien greifen da viel weiter. Wurden im Jahr 2013 in Deutschland 7126 Eingriffe durchgeführt, waren es in Frankreich 37 300.

Natürlich sind die Forderungen der Chirurgen nicht ganz uneigennützig. Doch haben Studien tatsächlich gezeigt, dass krankhaft übergewichtige Patienten von der Operation profitieren, Begleiterkrankungen wie Typ-2-Diabetes manchmal sogar komplett verschwinden können. Und die operierten Menschen so einen Weg zurück ins Leben finden.

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Quelle:
SZ vom 28.05.2016/chrb
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