Übergewicht:Etwas rund ist gesund

Übergewicht: Wo die Grenze zwischen schlank und übergewichtig liegen sollte, ist stark umstritten.

Wo die Grenze zwischen schlank und übergewichtig liegen sollte, ist stark umstritten.

(Foto: AFP)

Zwei neue Studien bestätigen die Einsicht: Leichtes Übergewicht müsste eigentlich in Idealgewicht umbenannt werden. Warum die gängige BMI-Einteilung grob in die Irre führen kann.

Von Werner Bartens

Es gibt Meldungen aus dem Reich der Medizin, die kann man nicht oft genug hören. Dass Schokolade schlank macht beispielsweise, Alkohol die Gefäße geschmeidig hält und Dicke länger und gesünder leben als Schlanke. Doch während die Schoko-Studie eine dünne Beobachtung war und die Erkenntnisse zum Alkohol diese leidige Grenzwertdebatte nach sich ziehen, sind die Beweise in der Gewichtsfrage recht eindeutig.

Spätestens seit Katherine Flegal 2008 Analysen über mehr als 2,3 Millionen Amerikaner publizierte und Ingrid Mühlhauser die Daten für Europa lieferte, war klar: Ein bisschen rund ist gesund - und leichtes Übergewicht müsste in Idealgewicht umbenannt werden.

Nicht alle Doktoren sind glücklich über diese Erkenntnisse, entfällt ihnen damit die eingeübte Rolle, Patienten zum Maßhalten zu ermahnen und ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn das Hemd über dem Wohlstandsbauch spannt. Seit die seriösen Studien von Flegal und Mühlhauser erschienen sind, kämpfen sich Ärzte und Forscher daher immer wieder am "Obesity-Paradox" ab. Wie kann es sein, fragen sie sich, dass jahrelang der Mythos vom Idealgewicht in Medizinerkreisen gepredigt wurde, sich inzwischen aber zeigt, dass Übergewichtige am längsten leben und seltener Infarkt oder Schlaganfall bekommen.

Gleich zwei Studien im Fachblatt Mayo Clinic Proceedings (online) vom heutigen Donnerstag bestätigen erneut den gesundheitlichen Wert des Übergewichts. Der Kardiologe Abhishek Sharma aus New York hat in einer Metaanalyse an mehr als 10 000 Probanden festgestellt, dass schlanke Patienten ein höheres Risiko hatten, dass ihre Herzkranzgefäße sich wieder verschließen oder sie am Infarkt sterben, nachdem sie mittels Ballondilatation oder Bypass durchgängig gemacht worden waren.

Das Risiko der Idealgewichtigen war nicht nur größer als das jener Teilnehmer mit mittlerem Übergewicht, auch die stark fettleibigen Herzpatienten hatten eine bessere Prognose. Während manche Ärzte vermuten, dass Mollige im Krankheitsfall oder bei Eingriffen "etwas zusetzen" können - was immer das genau bedeutet - sieht Sharma "metabolische Reserven" bei seiner dickeren Klientel, ohne zu erklären, wie diese Sonderausstattung vor frühem Tod und Herzleiden schützt.

Es geht um die Zusammensetzung des Körpers. Dicke Fettschichten sind auch nicht gesund

In einer zweiten Untersuchung zeigt der Kardiologe Carl Lavie aus New Orleans an fast 48 000 Patienten, dass die Dickleibigen länger lebten und auf Jahre eine bessere Herzfunktion behielten. Allerdings untersuchten die Herzexperten auch, ob das Übergewicht der Probanden auf einem kräftigen Körperbau und viel Muskelmasse beruhte oder durch üppige Fettpolster zustande kam.

Dabei zeigte sich, dass die gesundheitlichen Vorteile auf der Seite jener lagen, die zwar übergewichtig waren, aber trotzdem nicht massige Fettschichten mit sich herumtrugen. Diese Studie bestätigt das Diktum mancher Ärzte, wonach fitte Dicke gesünder sind als schlappe Schlanke. "Die Körperzusammensetzung spielt eine Rolle", sagt Lavie. "Der schützende Effekt von Übergewicht geht vermutlich auf einen hohen Anteil an Skelettmuskeln zurück."

Beide Studien wie auch die bisherige Literatur zeigen, dass die Gewichtseinteilung nach Body-Mass-Index grob in die Irre führen kann und einer Überarbeitung bedarf. Nach gängiger Skala wäre ein 1,80 Meter großer Mann bereits mit 83 Kilogramm übergewichtig und bei mehr als 97 Kilogramm fettleibig. Nicht nur in Bayern befremdet eine solche Einteilung für gestandene Mannsbilder. Inzwischen werden auch die Zweifel in der Wissenschaft immer größer.

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