Trinkwasser in Bangladesch:"Die größte Massenvergiftung der Geschichte"

Trinkwasser in Bangladesch

Vor allem in armen, abgelegenen Regionen ist das Trinkwasser mit Arsen verseucht.

(Foto: dpa)

20 Millionen Menschen in Bangladesch trinken arsenverseuchtes Wasser. Hunderte Millionen wurden bereits investiert, doch das Geld ist nicht dort angekommen, wo es am nötigsten wäre.

Von Arne Perras

Richard Pearshouse meldet sich am späten Abend aus Dhaka und redet über Gift. Der Tod kommt ganz langsam. Und wenn man etwas merkt, ist es schon zu spät. So ist das mit dem Arsen. Manchmal, wenn der australische Jurist via Skype erzählt, bricht das Internet in Bangladesch zusammen. Aber dann ist der Experte von Human Rights Watch (HRW) wieder deutlich zu hören: "Es gibt kaum einen Fortschritt, um die Menschen hier vor der Verseuchung des Wassers zu schützen", sagt Pearshouse. Zehn Jahre Stillstand. Und das Leiden und Sterben in den Dörfern geht weiter.

Hat der Staat vor der Aufgabe kapituliert? Oder hat er sie ausgeblendet, abgehakt, vergessen? Offenbar scheint es keinen Politiker in Bangladesch besonders aufzurütteln, dass 20 Millionen Menschen noch immer und seit vielen Jahren arsenverseuchtes Wasser trinken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sprach schon im Jahr 2000 von der "größten Massenvergiftung der Geschichte".

Nach einem Bericht von Pearshouse und seinem Team, den Human Rights Watch gerade veröffentlicht hat, waren im Jahr 2013 genauso viele Menschen in Bangladesch dem arsenverseuchten Trinkwasser ausgesetzt wie im Jahr 2003. Der Minister für kommunale Angelegenheiten wies den HRW-Report als "unverfrorene Lüge" zurück. "Kein einziger Mensch" sei in jüngster Zeit an Arsen gestorben. Vertreter internationaler Organisationen teilten allerdings die Einschätzung der Kritiker: "Mich hat der Bericht von HRW nicht überrascht", sagt der Wasserexperte Hrachya Sargsyan vom Kinderhilfswerk Unicef. "Ich halte das für einen soliden Report, der viele Probleme zutreffend benennt."

Sie hat Flecken auf den Handrücken und hustet seit Jahren schwer

Nach Einschätzung von Pearshouse ist der politische Wille in Bangladesch gering, die Situation zu ändern. Es sind arme abgelegene Gebiete, die betroffen sind. Die größeren Städte und auch die Metropole Dhaka haben sauberes Wasser. Die Verfasser des Berichts haben 134 Interviews in mehreren Dörfern geführt. Etwa mit Asta, einer 40-jährigen Frau, deren richtiger Name anders lautet. Sie hat Flecken auf den Handrücken und Fußsohlen und hustet seit Jahren schwer. "Ich war noch nie in einem Krankenhaus", sagt sie. "Ich nehme auch keine Medizin. Keiner von der Regierung hat mir je etwas von Arsen erzählt, oder dass ich unter den Folgen einer Arsenvergiftung leide."

Mediziner schätzen, dass jährlich etwa 43 000 Menschen in Bangladesch an Krankheiten sterben, die in Zusammenhang mit zu hohen Arsenbelastungen stehen. Meistens sind das Krebserkrankungen, Tumoren der Haut, in der Leber, den Nieren, der Blase. Auch andere Lungen- und Herzerkrankungen und schwere Stoffwechselstörungen können auftreten. Bei Kindern kann eine chronische Arsenbelastung neurologische Schäden verursachen.

Schon vor 15 Jahren war das Problem erkannt und ein Heer technischer Berater aus aller Welt schwebte in Bangladesch ein, um gemeinsam mit der Regierung die kollektive schleichende Vergiftung zu stoppen. "Damals redeten alle über Arsen", sagt Pearshouse. Es wurden Kampagnen gestartet, Daten erhoben, Filter erprobt, Strategien entworfen. "Der Staat hat ganz genaue Karten, wo die Verseuchung am schlimmsten ist", sagt Pearshouse. Doch viele dieser Anstrengungen seien schlicht verpufft.

Das Arsen tötet schleichend

Das arsenverseuchte Trinkwasser kommt aus Brunnen, die seit den 70er-Jahren mit internationaler Hilfe 30 bis 50 Meter tief in den Boden gebohrt wurden. Ziel war, verschmutztes Oberflächenwasser zu ersetzen und tödliche Infektionen zurückzudrängen. Das ist gelungen, doch wusste man damals noch nichts von der anderen großen Gefahr, dem Arsen. Denn dieses Gift ist weder zu schmecken noch zu riechen und auch nicht zu sehen. Später waren internationale Organisationen, vor allem Unicef, heftiger Kritik ausgesetzt. Sie mussten sich gegen Vorwürfe wehren, dass sie keine ausreichende Risikoabschätzung vorgenommen hätten.

Jedenfalls zeigte sich nach einigen Jahren, dass gerade in den Tiefen der damals gebohrten Brunnen die Verseuchungsgefahr am größten ist. Dort sorgen meist Torfschichten dafür, dass sich das Arsen aus dem Gestein löst. Arsenhaltiges Material wurde schon vor vielen Tausend Jahren aus dem Himalaja über die Flüsse in die Ebenen geschwemmt, wo es sich ablagerte.

Bohrt man Brunnen in diese Schichten, übersteigt der Arsengehalt im hochgepumpten Wasser den von Bangladesch gesetzten Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Liter oft um ein Vielfaches. Die WHO empfiehlt, schon einen Wert von zehn Mikrogramm pro Liter besser nicht zu überschreiten. Erst wenn man noch viel tiefer gelegenes Grundwasser anzapft, ist das Risiko einer Arsenverseuchung weitgehend gebannt.

Bangladesch ist eine dicht besiedelte Welt zwischen Land und Wasser

Das Gift in Bangladesch tötet nicht wie die hoch dosierten Pülverchen in Krimis von Agatha Christie. Im wirklichen Leben ist das Arsen eine schleichende Gefahr, deren Folgen erst Jahre später sichtbar werden. Mit jedem Schluck Trinkwasser gelangt etwas mehr von diesem Gift in den Körper. Viel zu wenig, um gleich etwas zu spüren. Aber viel zu viel, um gesund zu bleiben. Bangladesch ist eine dicht besiedelte Welt zwischen Land und Wasser, in der heute 165 Millionen Menschen leben. Große Flüsse aus dem Himalaja ergießen sich hier ins Meer.

Ihr Land sei so flach wie ein Pfannkuchen, witzeln die Bengalen, die Besucher immer wieder mit ihrem Humor und ihrer Ironie verblüffen. Aber oft ist es eben auch ein Land, in dem einem das Lachen vergehen kann. Jährliche Überschwemmungen sind zu meistern, dazu die Folgen des Klimawandels, der den Meeresspiegel steigen lässt und zur Versalzung der Felder beiträgt. Und dazu kommt noch das Arsen.

Warum sich so wenig ändert? Pearshouse glaubt, dass das wenig mit technischen Problemen zu tun hat. Man kann tiefere Brunnen graben, es gibt Filter, Oberflächenwasser lässt sich aufbereiten. Auch mangelndes Geld hält er nicht für einen wesentlichen Grund. "Es werden ja viele neue Brunnen und Wasserleitungen gebaut. Aber eben nicht dort, wo sie hingehören, um die am schlimmsten betroffenen Gemeinden vor Arsen zu schützen."

Gefahren für 20 Millionen Betroffene beseitigen

Hunderte Millionen Dollar wurden ausgegeben, um die Situation zu verbessern, die Weltbank finanzierte in den Jahren 2004 bis 2010 etwa 13 000 neue Brunnen. Doch laut HRW-Report hat dies alles kaum dazu beigetragen, die Gefahren für 20 Millionen Betroffene zu beseitigen. Pearshouse bemängelt, dass Politiker des Landes das Geld vor allem dafür nutzen, politische Anhänger mit sauberem Wasser zu belohnen, anstatt es dort einzusetzen, wo das Leiden am schlimmsten ist. Häufig bestimmen Politiker und nicht die Experten, wo ein Brunnen gebaut wird und wo nicht. Demnach ist schamloser Nepotismus schuld daran, dass Millionen Bewohner Wasser trinken, das ihr Leben zerstört.

Einheimische Techniker im Staatsdienst wissen das und sind frustriert. Offen sprechen können sie darüber nicht. Ihre Expertise nützt wenig, solange politische Interessen diktieren, wer Zugang zu gutem Wasser bekommt - und wer in Bangladesch weiterhin Gift trinken muss.

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