Traumatisierte Schutzsuchende:Therapeuten beklagen "beschämend schlechte" Versorgung von Flüchtlingen

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Manche Flüchtlinge überleben schreckliche Erlebnisse ohne Folge für die Psyche. Andere werden krank und brauchen Hilfe.

(Foto: AFP)
  • Die Bundespsychotherapeutenkammer schätzt, dass mindestens jeder zweite Flüchtling eine psychische Störung hat.
  • Eine umfassende Therapie erhalten jedoch nur die allerwenigsten.
  • Die Kammer fordert, dass Flüchtlinge mehr Geld aus der gesetzlichen Krankenversicherung bekommen.

Von Berit Uhlmann

Die jesidischen Frauen hätten aufatmen können, als ihr Flieger nach Deutschland abhob. Endlich waren sie auf dem Weg in die Sicherheit. Doch urplötzlich begannen ihre Herzen zu rasen, sie rangen nach Atem und spürten Todesangst. Die Enge in der Maschine hatte bei den Frauen schmerzhafte Erinnerungen an die Zeit wachgerufen, als Anhänger des Islamischen Staates sie in Gefangenenlagern zusammengepfercht hatten.

Flashbacks heißen diese intensiven Erinnerungen; sie sind neben Albträumen, Konzentrationsstörungen, Schreckhaftigkeit und emotionaler Taubheit ein typisches Symptom der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Die Krankheit entsteht vor allem, wenn Menschen miterleben, dass andere Menschen zur Quelle von Pein werden, dass sie töten, verletzen, foltern, vergewaltigen. Sie wächst auf dem Boden von Erfahrungen, die Menschen in die Flucht treiben.

Mindestens jeder zweite Flüchtling leidet unter einer psychischen Störung, die meisten an der PTSB. Das schätzt die Bundespsychotherapeutenkammer. Würden sie entsprechend der Leitlinien behandelt, bekämen sie eine Psychotherapie. Auch bei Depressionen - einem ebenfalls unter Flüchtlingen sehr verbreiteten Leiden - sind Gespräche mit dem Therapeuten ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. Doch die Flüchtlinge haben schon großes Glück, wenn sie Medikamente bekommen. "Beschämend schlecht", nennt Kammerpräsident Dietrich Munz die Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge.

Es hakt überall im System: Während der ersten 15 Monaten in Deutschland haben Flüchtlinge lediglich Anspruch auf solche medizinischen Leistungen, die als unerlässlich für die akute Gesundheit angesehen werden. Psychische Erkrankungen fallen in aller Regel durch dieses Raster, zumal die Gutachter meist gar nicht qualifiziert sind, derartige Störungen zu erkennen.

Die Therapieplätze reichen nicht annähernd

Sind die 15 Monate abgelaufen, können Flüchtlinge theoretisch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. In der Praxis allerdings mangelt es an Dolmetschern und vor allem an Psychotherapeuten. Die niedergelassenen Therapeuten, die von den Krankenkassen anerkannt werden, haben in vielen Regionen auch ohne die Notleidenden aus den Kriegsgebieten lange Wartelisten.

Psychosoziale Zentren versuchen die Lücke zu füllen. Mit ihren begrenzten Mitteln konnten sie im vergangenen Jahr allerdings lediglich vier Prozent der kranken Flüchtlinge behandeln. Kalkuliert man mit den wesentlich höheren Zahlen dieses Jahres, dürfte die Rate der therapierten Flüchtlinge auf unter ein Prozent sinken, warnt die Kammer.

"Die ankommenden Flüchtlinge benötigen nicht nur eine Unterkunft und Lebensmittel, sondern auch eine medizinische Versorgung", mahnt Munz. Er fordert, dass Gutachter qualifiziert und Dolmetscher Standard bei der medizinsichen Betreuung von Flüchtlingen werden. Zudem sollten die Krankenkassen künftig für die Therapien in den psychosozialen Zentren aber auch in Privatpraxen zahlen. In solchen Praxen arbeiten Therapeuten, die zwar qualifiziert sind, aber keine Kassenzulassung haben.

Psychotherapeut ist ein geschützter Begriff

Psychotherapeuten sind entweder Mediziner mit einer entsprechenden Facharztausbildung oder Psychologen (in selteneren Fällen auch Pädagogen) mit einer staatlich anerkannten Zusatzausbildung. Nur diese Berufsgruppen dürfen die Bezeichnung Psychotherapeut tragen. Heilpraktiker gehören nicht dazu.

Psychologische Psychotherapeuten dürfen - anders als die ärztlichen Therapeuten - keine körperlichen Untersuchungen durchführen und keine Rezepte oder Krankschreibungen ausstellen.

Die meisten niedergelassenen Psychotherapeuten haben eine Kassenzulassung, das heißt, sie können Kassenpatienten behandeln und direkt mit den Kassen abrechnen. Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung können eine Privatpraxis eröffnen und Privatpatienten behandeln. In Ausnahmefällen übernehmen die Kassen aber auch die Kosten für eine Behandlung in einer Privatpraxis - etwa, wenn kein anderer Therapeut Plätze frei hat und der Kranke nicht warten kann.

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