Der Rückgang von Organspenden hat offenbar die Talsohle erreicht. Wenn der aktuelle Trend anhalte, könnten im Jahr 2014 etwas mehr als 3000 postmortale Organspenden realisiert werden - und damit ebenso viele wie im Jahr 2013, sagte Axel Rahmel, der medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) am Montag beim Jahreskongress der DSO in Frankfurt. Vor allem in Ostdeutschland sei bereits eine klare Trendwende zu erkennen. "Allerdings waren es im Jahr 2010 bundesweit noch 4200 Organspenden", sagte Rahmel. Für den Rückgang der Spenden um etwa ein Drittel machte er vor allem den Transplantationsskandal verantwortlich, bei dem Mediziner einzelne Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan bevorzugt hatten.
Auch weitere Indizien deuten nach Rahmels Auffassung darauf hin, dass aus Sicht der auf eine Organspende wartenden Patienten "Licht am Ende des Tunnels" zu sehen sei: So lehnen Angehörige seltener eine Organentnahme ihrer verstorbenen Familienmitglieder ab: Die Zustimmungsquote in Gesprächen mit DSO-Mitarbeitern habe viele Jahre lang bei 62,5 Prozent gelegen. Nach dem Skandal sei sie auf 54 Prozent gefallen. Nun liege sie wieder bei 63 Prozent, erläuterte Rahmel. "Aber ich mache mir keine Illusionen, ist es ein langer Weg, das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende wiederherzustellen."
Kritik an Werbekampagne mit Prominenten
Letztlich sei es allerdings auch nicht die Aufgabe der DSO, die Spendenzahlen zu steigern, betonte Rahmel, sondern dafür Sorge zu tragen, "dass der Wunsch des Verstorbenen realisiert wird", wenn dieser sich zu Lebzeiten dafür entschieden habe, nach seinem Hirntod seine Organe zu spenden. Die DSO koordiniere nur die Organspenden; für deren Verteilung und für die Transplantation der Organe seien dagegen die Stiftung Eurotransplant und die Transplantationszentren zuständig. Diese Aufgabenteilung sei nicht nur vom Gesetzgeber so vorgesehen, sondern auch sehr vernünftig, so Rahmel.
Vor wenigen Jahren war die DSO noch dafür in die Kritik geraten, Werbung für Organspende zu machen - zum Beispiel über die Treuhandstiftung "Fürs Leben", die als Teil der DSO unter Beteiligung von Prominenten zu Organspenden aufrief. Von dieser Stiftung will sich die DSO nun trennen. "Wir können nicht an einem Tag für Organspende werben und uns am nächsten Tag für eine ergebnisoffene Entscheidung zur Organspende einsetzen", sagte Rahmel.
Auch aus der Hirntodfeststellung würde sich der DSO-Vorstand gerne verabschieden, weil er hier einen potentiellen Interessenkonflikt sieht. Die DSO sollte eigentlich erst nach der Feststellung des Hirntods auf den Plan treten, den Wunsch der Angehörigen oder des Verstorbenen eruieren und dann gegebenenfalls die Maßnahmen für eine Organspende einleiten. Weil Ärzte zu wenig Erfahrung damit haben, helfen heute DSO-Mitarbeiter allerdings häufig bei der Diagnostik, indem sie einen unabhängigen Neurologen beauftragen.
Anfang des Jahres war ans Licht gekommen, dass immer wieder Fehler bei der Feststellung des Hirntods auftreten. DSO-internen Protokollen zufolge hatten DSO-Mitarbeiter in mehreren Fällen Ärzte darauf hinweisen müssen, dass diese den Hirntod nicht korrekt festgestellt hatten. Die DSO habe die Bundesärztekammer bei der Erstellung neuer Richtlinien für die Hirntodfeststellung begleitet, betonte Rahmel nun. "Verbesserungsmöglichkeiten" bestünden zum Beispiel in einer "adäquaten Dokumentation" und "klaren Regeln für die Qualifikation der Untersucher, die für die Feststellung des Hirntods verantwortlich sind".
Weniger Lebendspenden
Zu tiefergehenden Analysen der Organspendebereitschaft in der deutschen Bevölkerung rief Björn Nashan, Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) auf: "Schon zwei Jahre vor dem Transplantationsskandal gingen die Spendezahlen zurück. Die Analyse dessen steht immer noch aus", so Nashan. So habe die Zahl der gespendeten Organe schon 2011 nur noch bei 3900 gelegen und sei auch vor dem Transplantationsskandal weiter gesunken.
Ein Grund könnte die geringere Bereitschaft von Ärzten sein, sich für die Organspende zu engagieren. Möglich ist aber auch, dass der Rückgang von Verkehrstoten eine Rolle spielt. Denn dadurch versterben weniger Menschen im Hirntod, der in Deutschland Voraussetzung für eine Organspende ist. Auch durch intensivere neurochirurgische Maßnahmen versterben womöglich weniger Menschen im Hirntod, da Patienten mit schweren Hirnschädigungen heute mitunter geheilt werden, wenn früher keine Rettung mehr möglich war. Und schließlich lehnen mehr Menschen durch Patientenverfügungen intensivmedizinische Maßnahmen am Lebensende ab. Ohne Intensivmedizin kann der Hirntod aber nicht festgestellt werden.
Auffällig ist, dass in Deutschland seit dem Transplantationsskandal auch weniger Patienten zu Lebzeiten zu einer Organspende bereit sind. Die Zahl der Lebendspenden von Nieren etwa sei von rund 800 im Jahr 2010 auf nunmehr 600 zurückgegangen, sagte DSO-Vorstand Rahmel. "Das ist möglicherweise ein Hinweis auf einen ganz grundsätzlichen Verlust von Vertrauen in die Transplantationsmedizin."