Süddeutsche Zeitung

Tödliche Pilzinfektionen:Unterschätzte Erreger

Pilze sind vielen Menschen nur als Verursacher oberflächlicher Infektionen wie Fußpilz bekannt. Doch die Erreger können tückisch sein: Bis zu 1,5 Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Pilzinfektionen.

Von Katrin Blawat

Als Krankheitserreger werden in der Öffentlichkeit meist nur Bakterien und Viren wahrgenommen. Doch auch Pilzinfektionen können lebensgefährliche Komplikationen verursachen: Daran sterben jedes Jahr bis zu 1,5 Millionen Menschen. So lautet das Ergebnis einer Hochrechnung, die eine Forschergruppe um Gordon Brown von der University of Aberdeen im Fachmagazin Science Translational Medicine präsentiert (online). Das Problem der Pilzinfektionen müsse weltweit ernster genommen werden, fordern die Experten.

Dabei sind die meisten Pilzinfektionen zwar lästig, aber harmlos und gut zu behandeln: Der Fußpilz zum Beispiel, an dem den Autoren zufolge jeder fünfte Erwachsene im Laufe seines Lebens leidet sowie der Nagelpilz, der jeden zehnten Menschen trifft. Insgesamt haben laut der Studie 1,7 Milliarden Menschen irgendwann in ihrem Leben mit solchen oberflächlichen Infektionen zu tun.

Ein ernstes Problem aber stellen invasive Pilzerkrankungen dar, die in den Körper eindringen. Sie enden in mehr als der Hälfte der Fälle tödlich, schreibt das Team um Brown, und werden zu 90 Prozent von vier Erregergruppen verursacht: Kryptokokken, Candida, Aspergillus und Pneumocystis. Die Zahlenangaben sind allerdings unsicher, da Pilzerkrankungen fast nie gemeldet werden müssen.

"Während die oberflächlichen Infektionen auch ansonsten gesunde Menschen betreffen, leiden unter den invasiven fast ausschließlich stark geschwächte Patienten", sagt Oliver Kurzai vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena. Ein hohes Risiko haben etwa HIV-Infizierte und Aids-Kranke sowie Menschen während einer Chemotherapie und nach Transplantationen. "Vor allem in der Intensivmedizin wächst das Problem", sagt Kurzai.

Während manche Pilzsporen über die Atemwege in den Körper eindringen, gehören andere zur natürlichen Mikrobengemeinschaft der menschlichen Schleimhäute. Candida ist so ein Fall: Er lebt im Darm fast aller Menschen - normalerweise ohne Schaden anzurichten. Nur wenn der Mensch geschwächt ist, hat der Pilz eine Chance, sich in gefährlicher Weise auszubreiten. "Weil sie immer in uns sind, haben diese Pilze gelernt, Angriffe des menschlichen Immunsystems zu überleben", sagt der Vorsitzende der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft, Martin Schaller von der Uniklinik Tübingen.

Schätzungsweise 400.000 Fälle lebensbedrohlicher Blutvergiftungen pro Jahr gehen der Studie zufolge auf das Konto von Candida, die meisten davon in Industrieländern. Vermutlich ebenso viele Menschen - unter ihnen viele HIV-Infizierte - erkranken an einer Lungenentzündung, die ein Pneumocystis-Pilz verursacht.

Derartige Infektionen lassen sich aus mehreren Gründen oft schwer erkennen und bekämpfen. Die üblichen Nachweismethoden sind bei vielen Erregern nicht zuverlässig. Zudem könnten Resistenzen gegen Medikamente vor allem bei Schimmelpilzen ein zunehmendes Problem werden, sagt Kurzai. Und bei der Entwicklung neuer Arzneien stehen Forscher vor dem Problem, dass Pilze mit dem Menschen enger verwandt sind als etwa Bakterien. Das erschwert es, Angriffspunkte zu finden, die zwar die Krankheitserreger ausschalten, den menschlichen Körper aber verschonen.

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SZ vom 21.12.2012/beu
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