Tipps für den Einkauf von Kaugummi:Unser täglich Erdöl

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Kann mehr als Blasen machen: Kaugummi (Foto: REUTERS)

Egal, wie viel Natürlichkeit die Hersteller beschwören, Kaugummi ist ein Gemisch chemischer Zutaten, meist auf der Basis von Erdöl. Die Gesundheit kann dennoch profitieren, wenn man weiß, wie man die klebrige Masse einsetzt - und wieder loswird.

Von Berit Uhlmann

Mehr als 40.000 Artikel liegen in einem durchschnittlichen deutschen Supermarkt aus. Welche taugen etwas? Was nützt, was schadet der Gesundheit? Wie sinnvoll sind Bio-Nahrungsmittel und welche Werbefallen stellt die Lebensmittelindustrie dem Konsumenten? In dieser Serie bewerten wir weit verbreitete Lebensmittel für Sie. Teil 20: Kaugummi.

Er gehört zum festen Inventar der Schulen. Unter irgendeiner Bank zeugt mit Sicherheit ein Kaugummi von den strengen Kauverboten an deutschen Bildungseinrichtungen. Für kontraproduktiv hielten manche die Strenge noch vor einigen Jahren. Denn ein paar Studien hatten herausgefunden, dass die fortgesetzte Bewegung des Kiefers Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit stärken kann, da sie die Blutzirkulation steigert. Noch die unbrauchbarste Lateinvokabel ließe sich so ins Hirn mahlen, dachten einige.

Nun kauen Wissenschaftler schon seit Jahren an dem Problem herum, ob der Gummi tatsächlich ein preiswertes und ungefährliches Hirndopingmittel ist. Doch je mehr Versuchspersonen sie die klebrige Masse in den Mund schoben, umso verwirrender wurde das Bild. Manche Studien konnten gar keinen Effekt nachweisen, manche stellten sogar negative Wirkungen auf die geistige Leistung fest. Niederländische Psychologinnen, die die Forschungsliteratur bis ins Jahr 2012 hinein durchsahen, kommen zu dem Schluss: Kaugummi kann derzeit nicht wirklich als Konzentrationshilfe empfohlen werden.

Also den coolen Gummi schnell herunterwürgen, wenn Lehrer oder Chef ins Zimmer kommen? Nur im Notfall. Zwar dürfte ein hin-und wieder verschluckter Kaugummi keine Probleme bereiten. Auch stimmt Omas Warnung: "Das Zeug verklebt Dir den Magen" nicht. Doch im Darm können größere Mengen von Kaugummi einen üblen Pfropf bilden, der zu schwerer Verstopfung führt. Die Fachliteratur kennt einige solcher Fälle. Ein 18 Monate altes Kind hat es sogar geschafft, vier Münzen und Kaugummis zusammen zu verschlingen; das Konglomerat blieb schon in der Speiseröhre hängen. Wegen derartiger Zwischenfälle warnen Kinderärzte davor, Kleinkindern Kaugummis zu geben.

Kaugummi schützt möglicherweise vor Mittelohrentzündung

Wenn er nicht gerade stecken bleibt, kann Kaugummi in größerem Umfang auch die gegenteilige Wirkung auf den Verdauungstrakt haben. Das Süßungsmittel Sorbitol kann schon in Mengen, die etwa fünf Kaugummis pro Tag entsprechen, Blähungen und ab etwa der doppelten Menge Durchfall hervorrufen. Auch der meist enthaltene Zuckeraustauschstoff Xilyt scheint eine solche Wirkung auf manche Menschen zu haben. Ebenso regt wohl auch das Kauen allein die Verdauung an. Ärzte experimentieren recht erfolgreich mit Kaugummis, um nach Bauchoperationen einen trägen Darm wieder in Bewegung zu bekommen.

Es gibt zudem Hinweise, dass Kaugummis bei Kindern der Mittelohrentzündung vorbeugen können. Das Xylit reduziert die verantwortlichen Bakterien im Mundraum. Den am besten belegten Effekt aber hat das Gummigemisch auf die Zähne.

"Kaugummi hat tatsächlich Vorteile für die Zahngesundheit", sagt Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Honorarprofessor an der Universität Greifswald. Das Mahlen der Kiefer regt den Speichelfluss an. Für die Zähne ist Speichel ein Segen: Er reinigt die Mundhöhle, dient der Bakterienabwehr, neutralisiert Säuren und fördert die Remineralisierung der Zähne, hilft also, verlorengegangene Mineralien in den Zahnschmelz wieder einzulagern und ihn damit widerstandsfähiger zu machen.

Doch egal ob schrill bunt oder medizinisch anmutend: Die Spucke bringt jeder beliebige Kaugummi zum Fließen. Damit ist aus Sicht des Zahnmediziners jeder Kaugummi empfehlenswert, solange er keinen Zucker enthält, was beim Großteil der Produkte ohnehin der Fall ist. Ob bestimmte Zusätze, mit denen Hersteller werben, einen zusätzlichen Effekt für die Zahngesundheit haben, ist nicht nachgewiesen, sagt der Experte. Auch die angeblich zahnaufhellende Wirkung, die manche Kaugummi-Hersteller reklamieren, ist wissenschaftlich nicht belegt. Die Konzentration an Bleichmitteln ist in diesen Produkten schon von Gesetzes wegen so gering, dass Oesterreich zweifelt, ob sie überhaupt eine Wirkung haben können.

Der Experte empfiehlt, zur Vorbeugung von Karies vor allem nach dem Essen Kaugummi zu kauen, denn dann ist die Wirkung des Speichels besonders willkommen. Durch die Nahrung und ihren Abbau sind die Zähne vermehrt Säuren ausgesetzt, die den Zahnschmelz schädigen können. "Diesen Säureschock mildert Speichel ab", so Dietmar Oesterreich. Permanentes Kauen dagegen sei nicht ratsam, es könne die Muskulatur übermäßig wachsen lassen und zu Kiefergelenkstörungen führen.

Da zieren Minzeblättchen die Verpackung, da wird die Jahrtausende alte Tradition des Kauens von Baumharzen beschworen: Hersteller geben ihrem Produkt gerne den Anschein des Natürlichen. Doch was wir heute durch den Mund wälzen, dürfte ein Kunststoff-Gemisch sein, das aus Erdöl gewonnen wird. Das klingt nicht vertrauenserweckend und so stehen auf dem Etikett auch nur Begriffe wie Kaumasse oder Gumbase. "Leider sind die Firmen sehr zurückhaltend, was eine transparente Kennzeichnung betrifft. Daher können wir nur davon ausgehen, dass überall dort, wo lediglich Kaumasse/Gumbase deklariert ist, und das Unternehmen nicht explizit auf einen natürlichen Rohstoff hinweist, es sich um petrochemische Stoffe handelt", teilt die österreichische Sektion von Greenpeace mit, die für einen Marktcheck Kaugummis untersucht hat. Damit aus dem Öl eine mundgerechte Masse wird, wird einiges hinzugefügt: Weichmacher, Bindemittel, Farbstoffe und zumeist künstliche Aromen.

Greenpeace geht davon aus, dass es auf dem Markt nur einen Kaugummi gibt, der allein mit natürlichen Zutaten auskommt. Der Rohstoff für seine Kaumasse, wird aus Bäumen im mexikanischen Regenwald aufwendig gewonnen.

Einer der großen Vorteile dieses Kaugummis: Er ist biologisch abbaubar. Dagegen kann ein herkömmlicher Kaugummi, einmal achtlos auf die Straße gespuckt, dort jahrelang kleben.In Erfurt beispielsweise zählten die Stadtwerke vergleichsweise gesittete 25 Kaugummis pro Quadratmeter Straßenpflaster. Am Hamburger Jungfernstieg wollen Reinigungsexperten an ausgewählten Stellen hunderte Kaugummiflecken pro Quadratmeter ausgemacht haben. Vor allem die Bürgersteige vor Fast-Food-Lokalen, Kinos und rund um Mülleimer sind die Hot-Spots des Spuckens.

Die Reinigung derart schmutzigen Pflasters bedeutet den Einsatz teurer Hochdrucktechnik oder ein eher traditionelles Verfahren: knien und kratzen, was nach Angaben der Stadt Erfurt mindestens das 20-fache des Kaugummi-Neuwerts kostet. So kann dies ein lohnenswertes Engagement für die Umwelt sein: Alte Kaugummis konsequent in Papier einwickeln und in den nächstgelegenen Abfalleimer befördern.

Für alle, deren Kaugummi eine besonders große Anhänglichkeit entwickelt, hat die Techniker Krankenkasse Tipps veröffentlicht: Klebt er an Kleidung solle diese in einem Plastikbeutel in ein Gefrierfach gelegt werden, wo der Gummi hart wird und abgemeißelt werden kann. Aus den Haaren löst er sich durch Öl oder Creme und einen Kamm.

Alle Teile dieser Lebensmittelserie lesen Sie hier.

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