Süddeutsche Zeitung

Tipps für den Einkauf von Tomaten:Mehr als wässrige Holland-Ware

Waren Tomaten früher viel besser? Und ist das Produkt aus Holland tatsächlich so schlecht? Wie Sie gutes Gemüse erkennen und warum Dosensaucen keine schlechte Alternative sind.

Von Berit Uhlmann

Mehr als 40.000 Artikel liegen in einem durchschnittlichen deutschen Supermarkt aus. Welche taugen etwas? Was nützt, was schadet der Gesundheit? Wie sinnvoll sind Bio-Nahrungsmittel und welche Werbefallen stellt die Lebensmittelindustrie dem Konsumenten? In dieser Serie bewerten wir weit verbreitete Lebensmittel für Sie. Teil 18: Tomaten.

Ein weit verbreitetes Vorurteil lautet, Tomaten seien wässriges Gewächshausgemüse, ohne Nährwert und Geschmack. Doch ganz so einfach ist die Einschätzung nicht, schon gar nicht für Ernährungswissenschaftler. Ihr Herz schlug lange Zeit kräftig für die Tomate. Vor allem für das Lycopin, jenen Inhaltsstoff, der in Zell- und Tierversuchen deutliche Hinweise darauf ergeben hatte, dass er Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen könnte. Die EU widmete dem Pflanzenstoff ein fünfjähriges Forschungsprojekt - allein: Am Ende blieben viele Fragen offen. "Wir konnten in Studien am Menschen kaum einen Effekt auf das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen", sagt der Jenaer Ernährungswissenschaftler Volker Böhm, der das Projekt koordinierte. Das heißt nicht unbedingt, dass die Substanz keinerlei Wirkung hat. "Möglicherweise ist der Zeitraum von fünf Jahren einfach zu kurz für eindeutige Ergebnisse", sagt Böhm.

Zugleich ergaben sich während der Untersuchungen neue Hoffnungen: Die Forscher fanden Hinweise, dass die Tomate antientzündlich wirkt. Entzündungsprozesse im Körper sind an der Entstehung etlicher Krankheiten bis hin zum Krebs beteiligt. Wie gut das Gemüse tatsächlich davor schützt, ist jedoch ebenfalls noch offen.

Breite Palette an Inhaltsstoffen

Dennoch hält Böhm alles in allem noch immer viel von der Tomate. Neben dem Lycopin enthält sie vor allem verschiedene Vitamine wie Vitamin C und Folsäure sowie Phenole. "Wir empfehlen, möglichst täglich Tomaten in irgendeiner Form zu essen", so der Wissenschaftler.

Das bedeutet: Das Credo, Gemüse sei immer möglichst roh und pur zu verzehren, gilt im Falle der Tomate nicht. Denn verschiedene Zubereitungsarten machen unterschiedliche Inhaltsstoffe besser verfügbar. Roh bewahren Tomaten die volle Menge Vitamin C. Zerschneiden erhöht den Anteil des verfügbaren Lycopins. Durch Öl - etwa im Salat - werden die die fettlöslichen Vitamine wie Vitamin E besonders gut herausgelöst. Erhitzen wiederum reduziert zwar den Vitamin-C-Gehalt, löst aber weiteres Lycopin aus den Zellwänden. Wer die Zubereitungsarten abwechselt, bekommt die breite Palette der Inhaltsstoffe.

Der Inbegriff der minderwertigen Tomaten lautet Holland-Tomate. Lange Zeit hatte das Gemüse aus dem Nachbarland zu Recht ein schlechtes Image. Die Früchte wurden unreif geerntet, erläutert Christoph Andreas, Agrarwissenschaftler bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Für die Pflanze war dies von Vorteil, weil sie so ihre Kraft schneller in die Bildung neuer Früchte stecken konnte. Vorteilhaft war die Praxis auch für die Bauern, weil sie ihnen zehn bis 20 Prozent mehr Ertrag einbrachte. Das Nachsehen hatten die Kunden, die ein unreifes, geschmackloses Produkt heimtrugen. Und heute? Der Agrarexperte Andreas arbeitet nicht nur mit Tomaten, sondern auch nahe der holländischen Grenze in Straelen. Er ist überzeugt, dass die Holland-Tomaten mittlerweile ebenso reif geerntet wird wie überall sonst. "Das Image war einfach so schlecht, dass die Bauern so nicht weitermachen konnten."

Daran mag nicht jeder glauben. Deutlich angenehmer ist für viele Menschen die Vorstellung von den Tomaten aus Kindheitstagen, die angeblich um vieles intensiver schmeckten. Doch diese Ansicht scheint so pauschal nicht zu stimmen. In einem kleinen Versuch ließen Forscher der Landwirtschaftskammer NRW Versuchspersonen vor einigen Jahren unterschiedliche Tomatensorten verkosten. Dabei schnitten ausgerechnet die alten, heute eher ungewohnt anmutenden Liebhabersorten deutlich schlechter ab als die modernen Exemplare. Das Schwärmen für das Gemüse aus früheren Zeiten ist eher der Nostalgie geschuldet, vermuten die Wissenschaftler.

Systematischer gingen US-Forscher die Sache 2012 an. In ihren Tests zeigte sich, dass die Sorte allein - egal ob alte oder hochmoderne Züchtung - keinen eindeutigen Einfluss auf den Geschmack hat. Vielmehr stellten die Wissenschaftler innerhalb einer Sorte große Unterschiede zwischen einzelnen Tomaten fest. Mindestens ebenso wichtige Einflussfaktoren scheinen daher Erntezeitpunkt und Lagerung zu sein, so ihre Schlussfolgerung.

Möglichst reif, möglichst frisch

Dabei gilt: Möglichst reife, frische Früchte schmecken besser, sagt Andreas. Wie Sie solche Früchte in den überbordenden Gemüseregalen erkennen, erläutern Ihnen folgende Tipps:

  • Meiden Sie komplett verpackte Tomaten, denn sie erschweren die Begutachtung.
  • Achten Sie auf eine intensive Färbung der Früchte. Eine blasse Farbe bedeutet, dass die Tomate unreif geerntet wurde.
  • Die Frische können Sie am besten bei jenen Tomaten einschätzen, die noch an Rispen hängen. Diese Rispe vertrocknet sehr schnell. Ist sie noch grün und weich, ist die Tomate erst vor kurzem geerntet. Erscheint sie trocken und hart, ist die Frucht schon älter.
  • Riechen Sie an der Rispe. Tomaten selbst duften nicht stark. Der typische Tomatengeruch kommt aus den grünen Stängeln, allerdings nur, wenn das Produkt noch frisch ist.
  • Kaufen Sie nach Möglichkeit Tomaten aus der Region. Sie haben damit größere Chancen auf Frische, da die Transportwege kürzer sind. Außerdem sind heimische Tomaten auch ökologisch sinnvoller.

Auch unter ernährungswissenschaftlichen Gesichtspunkten sind frische, reife Tomaten zu empfehlen. Sie enthalten mehr von den wichtigen Inhaltsstoffen, sagt Böhm. Entscheidend ist für ihn zudem die Jahreszeit: In der natürlichen Tomatensaison, etwa von April bis Oktober, sollten die Tomaten immer frisch gekauft werden - auch wenn sie in Saucen oder Suppen enden. Im tiefsten Winter dagegen, wenn das Gemüse fahl und geruchlos in den Regalen liegt, empfiehlt Böhm für Gerichte aus gekochten Tomaten auf Konserven auszuweichen. Ihr Nährstoffgehalt ist so schlecht nicht, vor allem was das Lycopin betrifft. Die Hersteller der Dosentomaten verwenden Sorten, die natürlicherweise einen hohen Lycopin-Gehalt haben. Ihre Hauptmotivation ist die intensive Farbe, denn es ist das Lycopin, das die Tomaten rot leuchten lässt. Davon profitiert unter Umständen die Gesundheit der Verbraucher - quasi als Nebeneffekt.

Kaum Pestizidrückstände

Ob Bio-Tomaten einen wesentlichen Vorteil für die Gesundheit bieten, ist unklar. Es gibt mehrere Studien, die in ökologisch angebauten Tomaten etwas höhere Konzentrationen an einigen Inhaltsstoffen zeigen konnten. Ob daraus ein robuster Effekt für die Gesundheit erwächst, ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Pestizidrückstände, die prinzipiell gegen konventionelle Ware sprechen, sind bei Tomaten offenbar keine große Gefahr. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wiesen 2011 fast die Hälfte aller getesteten Tomaten gar keine Rückstände auf. Nur bei 1,4 Prozent wurden die Grenzwerte überschritten. Auch Ökotest fand in einer Untersuchung aus dem selben Jahr kaum etwas zu beanstanden.

Zusammengefasst spricht vieles für den Kauf möglichst regionaler, in der Saison geernteter Tomaten. Und damit haben die Nostalgiker in Teilen doch wieder recht. Früher wurden die Tomaten leuchtend rot von ihren Stämmen gepflückt und nicht erst um die halbe Weg gefahren, ehe sie in die Salatschüssel kamen.

Eine Hoffnung müssen Liebhaber des Althergebrachten und Natürlichen jedoch in aller Regel begraben: den Wunsch nach Freilandtomaten aus hiesigen Breiten. In Deutschland ist das Wetter zu nass und zu kühl, um ausreichende Ernten vom Feld zu ermöglichen. Die Tomaten, die im Handel angeboten werden, sind fast immer unter Folien oder Glas gewachsen. Wer es anders haben will, muss sich seine Tomaten im Garten oder auf dem Balkon selbst ziehen.

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