Technik für Senioren:Wischen macht schlapp

Die Oma mit iPad gilt als hip. Doch auch wenn die über 50-Jährigen technologisch immer fitter werden, mit der körperlichen Leistungskraft geht es bergab. Das könnte an immer mehr Technik liegen.

Ein Kommentar von Berit Uhlmann

80 ist das neue 70, ach was, das neue 60, wenn nicht gar 50. Wir haben uns längst an die Erfolgsmeldungen aus der Altersforschung gewöhnt. Nun dämpfen Soziologen mit neuen Daten den allgemeinen Optimismus. Während die geistige Leistungskraft der 50- bis 90-jährigen Deutschen zunimmt, geht es mit ihrer körperlichen Fitness offenbar nicht länger bergauf - im Gegenteil: Jüngste Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) zeigen, dass es heute mehr Menschen schwer fällt, Treppen zu steigen, Lasten zu tragen und alltäglichen Wegen nachzugehen als noch vor sechs Jahren. Es scheint, als hätte die betagten Menschen eine Entwicklung eingeholt, die in anderen Altersgruppen allzu bekannt ist. Sie bewegen sich immer weniger, auch weil moderne digitale Technik es ihnen erspart, das Haus zu verlassen. Und das hat Folgen.

Dabei hatten doch viele Experten gehofft, dass digitale Technik die Versorgungskrisen im deutschen Gesundheitswesen lösen. Kinder und Jugendliche, die vor dem Bildschirmen lümmeln, führen zu Besorgnis. Die Oma, die im Ohrensessel über ihr iPad wischt, wirkt einfach nur fortschrittlich. Man stellte sich gerne vor, wie Senioren im Netz ihre Lieferungen bestellen, die Schließanlage ihres smarten Hauses mit der Fernbedienung verriegeln, rechtzeitig ihre Tabletten nehmen, weil die App sie erinnert hat. Und wie sie schon bald ihren Arzt per Webcam konsultieren werden.

Senioren brauchen nicht primär Breitband-Internet, sondern vor allem auch Bewegung

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der zugeschaltete Mediziner dann allerhand Gesundheitsprobleme diagnostizieren wird. Die Couch ist eben nicht der natürliche Platz für ältere Menschen; Bewegungsmangel hat für sie ebenso negative Auswirkungen wie für jüngere Menschen. Deshalb sind heute 20 Prozent aller Über-50-Jährigen fettleibig, Demografen schätzen, dass es in 15 Jahren mehr als 40 Prozent sein werden - mit all den Gesundheitsrisiken, die zu viele Kilos im alternden Körper mit sich bringen. Im höheren Alter gilt: "Use it or lose it." Fähigkeiten, die nicht mehr genutzt werden, verkümmern, Muskeln büßen ihre Stärke ein.

Wer das Haus immer seltener verlässt, verliert soziale Kontakte und die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen. Studien legen nahe, dass Isolation und das Gefühl von Einsamkeit die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Todes um etwa 30 Prozent erhöhen. Eine Gesellschaft, die Senioren bestmöglich helfen will, muss ihnen daher nicht in erster Linie ein Breitband ausbauen, sondern einen breiten Weg aus ihrem Haus. Sie muss ihnen zugestehen, auf diesem Weg auch langsam, schwerfällig und umständlich zu agieren - selbst wenn ihre Bedürfnisse technisch leichter zu befriedigen wären.

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